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Wenn Innovationen Marken schwächen

Zunehmende Digitalisierung, branchenfremde Konkurrenten oder agile Start-ups: Die Innovationsfähigkeit von traditionellen Unternehmen ist unverzichtbar, um im globalen Wettbewerb weiter bestehen zu können. Dabei ist das betriebliche Innovationsmanagement darauf ausgerichtet, Ideen in wirtschaftlich erfolgreiche Produkte oder Dienstleitungen umzusetzen. Doch das ist leichter gesagt als getan, denn viele Unternehmen entwickeln ihre Neuheiten zum Selbstzweck und achten nicht auf Kundenwünsche. Damit riskieren sie, ihren Markenwert zu zerstören.

15.08.2017

Wenn Innovationen Marken schwächen zoom

Von Wolfang Schiller

Kein anderes Wort wird heute mehr in der Wirtschaftspolitik, der Wirtschaftspresse und im Marketing verwendet als "Innovation". Innovationen als Ausdruck von Unternehmergeist zur Verbesserung der Marktposition müssen kraftvoll und durchsetzungsstark sein und sollen einen neuen Trend, also eine besonders tiefgreifende und nachhaltige Entwicklung, auslösen. Hat Innovation demnach etwas mit Veränderung und Neuheit zu tun – ist etwas Neues, das verändert, schon eine Innovation?

Schauen wir uns das doch etwas genauer an. Gerade bei Fast Moving Consumer Goods (FMCG) jagt eine angebliche Innovation die andere. Immer Neues überschwemmt den Markt. Doch 70 Prozent davon sind leider Flops, denn bereits 70 Prozent aller neu eingeführten Artikel sind nach zwölf Monaten nicht mehr in den Ordersätzen des Handels. Das ergab eine Studie aus dem Jahr 2006 von GfK und Serviceplan. Und diese erforschte auch gleich die Faktoren für Erfolg und Misserfolg bei Produktinnovationen mit folgendem Ergebnis: Fehler in Kommunikation und Vertrieb sind zu einem viel geringeren Teil verantwortlich als allgemein vermutet. Allein 60 Prozent der Flops scheitern bereits in punkto Innovationsgrad, Preis-Leistungs-Verhältnis, Zielgruppenstruktur und Markenpolitik.

Risiko Vertrauensverlust

Was lernen wir daraus? Innovationen als Selbstzweck, weil die Entwicklungsabteilung einer neuen Technologie huldigt, der Produktmanager unter Druck ist und immer neue Produkte auf den Markt bringen muss oder der Preis wegen Profitgier zu hoch war, sind zum Scheitern verurteilt, wenn sie vom Kunden nicht angenommen werden. Denn der einzige der zählt ist der Kunde. Wenn Unternehmen jedoch unter dem Motto agieren "Der einzige, der stört, ist der Kunde", dann werden eben weiterhin jedes Jahr die meisten der sogenannten Innovationen floppen und die damit verbundenen Entwicklungsgelder unter "Ignoranz" ausgebucht werden müssen.

Produktflops kosten jedoch nicht nur viel Geld, sondern beschädigen auch das Vertrauen der Stakeholder in die jeweilige Marke. Vertrauen als emotionales, soziales und wirtschaftliches Gut ist nicht nur ein Wert an sich, sondern hat auch einen konkreten Geldwert. Kaufen doch 77 Prozent der Menschen Angebote, denen sie vertrauen. Fehlt das Vertrauen, verzichten 51 Prozent gleich ganz auf den Kauf. Und wenn 57 Prozent der Menschen in Deutschland glauben, dass Produkte unfertig auf den Markt kommen, dann muss man schon hellhörig werden. Das ergab zumindest das Trust Barometer der PR-Firma Edelman.

Neues und damit eine Veränderung ist also nicht immer gleich eine Innovation und stärkt oftmals gar nicht die Marke, denn Neues ist nicht unbedingt auch Nützliches. Was ist dann aber eine Innovation und wie können Innovationen für Marken genutzt werden?

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Die Marke als eine nutzenstiftende Erfindung

Innovation ist vom lateinischen Verb innovare (erneuern) abgeleitet. In der Umgangssprache wird der Begriff im Sinne von neuen Ideen und Erfindungen und für deren wirtschaftliche Umsetzung verwendet. Im engeren Sinne resultieren Innovationen erst dann aus Ideen, wenn diese in neue Produkte, Dienstleistungen oder Verfahren umgesetzt werden, die tatsächlich erfolgreiche Anwendung finden und den Markt durchdringen (Diffusion).

Innovation hat also vor allem etwas mit Erfindung zu tun. Eine Erfindung ist wiederum eine schöpferische Leistung, durch die eine neue Problemlösung ermöglicht wird. Von Erfindungen wird besonders oft im Zusammenhang mit technischen Problemlösungen gesprochen, etwa von der Erfindung des Motors oder des Dynamits.

Was hat nun eine Innovation mit einer Marke zu tun? Marken entstehen vor allem aus der Wahrnehmung eines neuen Produktes, das sich einen "Logenplatz" im Kopf von Menschen erobert hat. Denn Marken sind das Ergebnis einer kommunizierten Erfindung, indem Unternehmen ein relevantes Kundenproblem innovativ, also mit neuen Verfahren, Produkten oder Dienstleistungen, lösen. Aber nicht jede Erfindung erzeugt eine neue Kundschaft und damit eine neue Marke. Voraussetzung ist, dass die Innovation sich nicht nur in der Qualität der Produkte darstellt, sondern vor allem den Nutzen für den Kunden erhöht, also die Fähigkeit besitzt, Bedürfnisse zu erzeugen oder Bedürfnisse besser zu befriedigen.

Das drückt sich im sogenannten Innovationsgrad aus. Ist dieser zu niedrig, floppt die Innovation. Das ergab auch die oben angeführte Studie von GfK und Serviceplan: 53 Prozent der neuen Produkte hatten aus Verbrauchersicht nur einen geringen Innovationsgrad. Neuprodukte mit hohem und mittlerem Innovationsgrad hätten dagegen eine nahezu doppelt so hohe Erfolgschance.

Neueinführungen müssen deshalb stets den Neuigkeitswert hervorheben sowie die Qualität und den Nutzen, den der Käufer davon hat. Denn 75 Prozent der Käufer schätzten neue Produkte nur, sofern die Qualität und Leistung verbessert sind. Sind sie nach dem ersten Kauf enttäuscht, sind sie als Kunde verloren. Weitere Werbebemühungen sind vergebens.

Innovationen können deshalb nur für Marken genutzt werden, wenn sie ein signifikantes Problem mit innovativen Produkten, Technologien oder Dienstleistungen lösen und damit den Kunden einen relevanten Nutzen stiften. Den Kunden damit im übertragenen Sinne innovieren, sein Verhalten zu ändern.

Das Unternehmen als Innovator

Nun könnte man der Meinung sein, dass die Entwicklung von Innovationen von den Kunden ausgeht. Man braucht diese nur geschickt befragen und schon hat man die richtigen Hinweise und baut daraus schnell ein tolles Konzept, das reibungslos funktioniert. Kundenorientierung ist hier das neue Zauberwort. Diesen Weg gehen heute einige Unternehmen – man spricht hier von "Open Innovations", die aktive strategische Nutzung der Außenwelt zur Vergrößerung des Innovationspotenzials. Das kann man durchaus machen, sollte dabei aber die folgende Erkenntnis nicht vergessen: Der Ausgangspunkt von Innovationen ist per se nicht die Kundschaft, sondern das Unternehmen, idealerweise mit einem starken Unternehmer, der die Innovation bei den anvisierten Kunden durchsetzt, denn diese stehen dem Neuen im Wesentlichen mit Misstrauen gegenüber (siehe GfK, Innovationsneigung 2004-2015). Das hatte auch Steve Jobs, der Gründer von Apple, erkannt, als er 1982 sagte "Die Kunden wissen gar nicht, was sie wollen, bis wir es ihnen zeigen". Innovationen müssen also neue Kunden und damit einen neuen Markt erschaffen. Unter diesem Gesichtspunkt ist das Entstehen einer Marke immer das Ergebnis einer Innovation.

Letztendlich geht es also darum den Kunden zu innovieren, also neue Bedürfnisse den Konsumenten anzuerziehen. Denn Innovationen müssen nicht einem bestehenden Markt dienen, sondern einen neuen Markt schaffen. Das betrifft zum einen die Erfindung einer neuen Marke mit einem innovativen Produkt und zum anderen der Innovierung einer Marke mit einem neuen oder verbesserten Produkt.
Eine Innovation ist also nur sinnvoll, wenn sie ein signifikantes Problem neu löst, dadurch Menschen begeistert und einen neuen Markt mit einer neuen Marke schafft oder bestehende Kunden noch fester an eine schon bestehende Marke bindet. Eine Innovation, die aus einer neuen technischen Möglichkeit entspringt und deshalb nur den Entwicklungsingenieur begeistert und nicht den Kunden, wäre eine sinnlose Neuerung, denn sie würde ja die Marke nicht stärken.

Innovation durch Markentransfer

Die erfolgreichste Strategie zur Einführung eines innovativen Produktes zur Stärkung einer Unternehmens- oder Produktmarke ist der Einsatz einer Markentransfer-Strategie. Der Vorteil: Man nutzt die bestehende Marke und die von ihr aufgebaute Brand Equity und stellt das neue Produkt unter das bestehende Markendach. Dabei bestehen zwei Möglichkeiten diese Innovationsstrategie umzusetzen: durch Markenerweiterung (Brand Extension) oder durch Produkterweiterung (Line Extension).

Mit einer Brand Extension übertragen Sie Ihre bestehende Marke auf die von Ihnen eingeführte neue Produktart. Ihr Unternehmen geht mit seiner bestehenden Marke demzufolge auf ein neues Produktsegment über.

Auf Dauer kann jedoch ein nicht zu unterschätzendes Risiko auftreten: eine Markenverwässerung durch Überdehnung der Markenkompetenz durch zu viele neue Produktkategorien und dem Ergebnis der Zunahme von Komplexität in der Markenwahrnehmung. Denn je mehr Produktarten Sie mit Ihrem Markentransfer anbieten, desto schwieriger wird es für Ihre Kunden, sich bei dieser breiten Auswahl für ein Produkt zu entscheiden.

Entscheiden Sie sich für die Strategie der Line Extension, gehen Sie nicht so umfassend vor wie mit einer Markenerweiterung, da Sie Ihre bestehende Marke zwar in einem neuen Kundensegment, jedoch in der gleichen Produktgattung vermarkten.

Die Overstretching-Falle

Markenüberdehnungen aus Gier oder Missmanagement sind heute jedoch nicht die Ausnahme, sondern leider die Regel. Ehemals trendige Marken wie Esprit, die Surfermarke Chiemsee oder die Young Fashion-Marke Miss Sixty sind völlig out, da sie ihre Einzigartigkeit verloren haben. Esprit landete auf den Wühltischen von Penny und Lidl. Und selbst eher biedere Marken wie S.Oliver oder Tom Tailor laufen Gefahr, in die "Overstretching-Falle" zu treten. Sie haben ihre Einzigartigkeit bereits gegen Größe eingetauscht: In nahezu jeder deutschen Einkaufsstraße bieten die beiden Wettbewerber heute ihre weitgehend austauschbaren Kollektionen an – und versuchen verzweifelt den Kunden mit einer Billigstrategie in die Läden zu locken.

Innovationen müssen sich jedoch nicht ausschließlich in neuen Produkten darstellen, die sich dann zu Marken entwickeln, sondern können auch bestehende Produkte verbessern, sich also in neuen Qualitäten darstellen und so den Kundennutzen erhöhen. Das vermindert nicht nur die Komplexität im Sortiment, sondern erhöht auch die Kaufbereitschaft und Markentreue. Voraussetzung ist jedoch, dass der nutzenorientierte Leistungssinn der Markenprodukte nicht verloren geht. Steht jedoch der Profit und nicht der Nutzen im Fokus wird das Vertrauen in die Markenleistung mit dem Ergebnis beschädigt, dass die Markentreue weiter abnimmt: So wäre es laut einer Studie von Havas Media (Meaningful Brands 2015) der Mehrheit der Menschen weltweit egal, wenn 74 Prozent der Marken verschwinden würden. 2011 waren es noch 71 Prozent, 2013 schon 73 Prozent.

Innovation durch neue Positionierung

Marken wachsen nicht durch Produkte, sondern durch Kunden. Eine Erkenntnis, die heute oftmals vergessen wird. Und eine der zentralen Ursachen für eine überbordende Flut an neuen Produkten, die zudem oftmals keinen neuen Nutzen stiften, sondern vom Kunden oft als ein "Mehr vom Gleichen", also als austauschbar, wahrgenommen werden.
Starke Marken verzichten deshalb auf nutzlose Innovationen, die nicht aus der einzigartigen Kultur der Marke entwickelt werden und ihre authentische Identität verwässern. Sie kultivieren vielmehr ihren selbstähnlichen eigenen Stil, dem sie treu bleiben und nutzen das bereits im Kopf der Menschen verankerte Bild von der Identität der Marke.

Das Fazit


Unternehmen, die nicht wissen, für was ihre Marke steht und warum Menschen ihre Markenprodukte kaufen sollen, laufen schnell in das existenzbedrohende Risiko der überbordenden Komplexität: Der Entwicklung immer neuer, aber sinnloser Produkte, die mit Sicherheit als teure Flops enden. Steht dann noch als zentrales Motiv nicht der Kundennutzen, sondern der Profit im Fokus, weshalb die Produktzyklen immer kürzer und die Qualität immer schlechter wird, ist dem Unternehmen leider keine lange Lebensdauer beschert.

Wenn also Innovationen nicht den Nutzensinn der Marke kultivieren oder neue Produkte die Wahrnehmungskomplexität beim Kunden erhöhen, schwächen sie die Marke mit folgendem Ergebnis: Die Kaufbereitschaft der Kunden sinkt und die emotionale Bindung der Kunden an die Marke geht verloren. Das Unternehmen verliert damit seine einzige Wertschöpfungsquelle und schlittert in den Bankrott.

Markenstärkende Innovationen sind dagegen immer aus dem Nutzensinn der Marke hergeleitet und auf die Erhöhung des Kundennutzens ausgerichtet. Das betrifft vor allem die Innovierung der Produkte, aber auch die Innovierung der Werbung, der Distribution oder der Preise. Innovationen aus einem fehlgeleiteten Markenverständnis, zur Befriedigung der Bedürfnisse der Mitarbeiter oder Partner, aus Technikgläubigkeit oder aus Profitgier führen dagegen immer zur Schwächung der Marke.

Eine zentrale Erkenntnis sollte aber nicht vergessen werden: Der Mensch will nicht das Neue, sondern das Vertraute besser oder sogar unverändert. Absolut Neues muss demnach erst einmal den Kunden innovieren, sein Verhalten zu verändern, was oftmals gar nicht möglich ist. Und da Innovationen nicht nur auf der Produktebene möglich sind, haben Unternehmen viel mehr Möglichkeiten ihren Kunden zu begeistern.

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Quelle: UD
 

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