„Die transformatorischen Effekte von Technologie und Demografie dominieren“
Der Zukunftskreis des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) sammelt im Rahmen der strategischen Vorausschau Orientierungswissen über mögliche zukünftige gesellschaftliche und technologische Entwicklungen. Roland Benedikter, Experte im Zukunftskreis, beschäftigt sich unter anderem mit dem Verhältnis zwischen Mensch und Maschine – und wie sich dieses Verhältnis zukünftig entwickeln könnte. Teil zwei unserer Interview-Reihe.
09.04.2021
Der Zukunftskreis des Bundesministeriums für Bildung und Forschung ist ja bewusst disziplinübergreifend. Welche Perspektiven bringen Sie ein?
Roland Benedikter: Als multidisziplinär orientierter Sozialwissenschaftler bringe ich die Perspektive der technologischen Innovation ein. Und zwar insbesondere bezogen auf die Mensch-Technologie-Schnittstelle. Technologie ist, davon gehen wir heute aus, nicht nur ein wichtiges Instrument – das war und ist sie von jeher. Die Diskussion über Fragen des Verhältnisses von Mensch und Technologie ist für Institutionen wie den Zukunftskreis deshalb so relevant, weil Technologie und Mensch immer stärker miteinander verschmelzen. Kurz gesagt, sprechen wir vom Übergang der Mensch-Maschine-Interaktion zur Mensch-Maschine-Konvergenz. Durch neue Möglichkeiten passt sich die die Technologie, beispielsweise auf dem Feld der individualisierten Medizin, an uns Menschen an. Zusätzlich beschäftigen mich die Wechselwirkungen und Übergänge zwischen Mensch und Maschine: Eine vor allem ethisch noch genau zu verhandelnde Dimension betrifft die Entwicklung von Gehirn-Maschine-Schnittstellen. Was bedeutet es, wenn wir einerseits Gedanken auf Maschinen und Computer übertragen können, andererseits im Umkehrschluss das menschliche Gehirn immer lesbarer wird? Auch zu dieser Frage mit all ihren ethischen Dimensionen bringe ich Impulse in den Zukunftskreis ein.
Algorithmen unterstützen uns Menschen in immer mehr Bereichen. Allein ein Bewusstsein fehlt Künstlicher Intelligenz bislang. Muss das so bleiben?
Benedikter: Eine höchstinteressante Frage, von der sicherlich die Diskussion in den nächsten Jahrzehnten geprägt sein wird. In der wissenschaftlichen Debatte gehen die Meinungen hierzu durchaus aus-einander. Einerseits heißt es: Ja, und zwar bereits bis zum Jahr 2045, spätestens 2050, werde KI eine Art Selbstreferenz entwickeln, es entstehe gar eine Superintelligenz, so die Begrifflichkeit von Nick Bostrom, dem Leiter des Future of Humanity Institute der Universität Oxford.
Auf der anderen Seite gibt es jedoch genauso Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die uns hier zum Abwarten mahnen. Wie könne man, so ein Argument aus dieser Richtung, maschinelles Bewusstsein beurteilen, solange noch nicht einmal menschliches Bewusstsein in allen Details erforscht ist? In dieser zweiten Richtung geht man eher von einem funktionalen Bewusstein als technologisch maximal erreichbares Entwicklungsstadium aus. Ich persönlich glaube, dass sich Maschinen in Richtung eines solchen funktionalen Bewusstseins entwickeln werden, in absehbarer Zeit jedoch nicht in dem Sinne, dass die Maschinen ausschließlich zu sich selber „Ich“ und zu jedem anderen Gegenüber „Du“ sagen können.
Wie könnten weitere Digialisierungsschritte das Verständnis von der Endlichkeit des Lebens verändern, das in unserer Gesellschaft dominiert?
Benedikter: Wir werden ganz sicher in den kommenden Jahrzehnten Zeugen einer technologiebedingten Revolution des Verständnisses von Leben, Lebensverläufen und von Lebensdauer werden. Schon heute gibt es, beispielsweise durch Unternehmensgründungen auf dem Feld der Biotechnologie, starke Bestrebungen, die menschliche Lebensdauer zu verlängern – mittels intrusiver, also eindringender Technologie wie Nanobestandteilen, Zellmodifikationen, Implantaten oder durch die Substitution von menschlichen Körperteilen. Dass der Tod mit unseren derzeitigen Möglichkeiten innerhalb der Generationen, die wir derzeit überblicken, besiegt werden kann, das glaube ich zwar nicht, aber man wird ein neues Verständnis der menschlichen Lebensdauer entwickeln. Und diese Lebensdauer wird sich ganz sicher stark ausdehnen.
In diesem Zusammenhang werden wir in den kommenden Jahren auch einen Wandel des Anspruchs der Gesundheitsindustrie beobachten können: Von der Heilung von Krankheiten wird sich das Aufgabenfeld immer stärker in Richtung Optimierung und Perfektionierung des gesunden Körpers entwickeln – mit allen zivilisatorischen Folgen, die eine solche Entwicklung mit sich bringt.
Welche grundsätzlichen Entwicklungen dürften für uns als Gesellschaft in Zukunft wichtiger, welche weniger wichtig werden?
Benedikter: Sechs große Dimensionen bestimmen die Zukunft: Wirtschaft, Politik, Kultur, Religion, Demografie und Technologie. Und von diesen sechs Dimensionen werden, so meine Einschätzung, in den vor uns liegenden Jahrzehnten vor allem Technologie und Demografie enorme transformatorische Effekte haben.
Ich glaube, dass neben jenem Prozess, dem einige Kollegen und ich den Begriff Re-Globalisierung gegeben haben, vor allem die demografische Dimension von Bedeutung sein wird. Das bedeutet, dass einerseits die Bevölkerungen in allen entwickelten Ländern älter werden. Andererseits sorgen weltweite Migrationsbewegungen für eine Neujustierung der Bevölkerungsstrukturen. Wir haben es also einerseits mit einer Ent- und Re-Kulturalisierung durch Wanderungsbewegungen zu tun und auf der anderen Seite mit in alternden Gesellschaften zunehmenden Generationenkonflikten. Beides wird zusammengenommen gesellschaftliche Verhandlungsprozesse stark, ja durchaus an zentraler Stelle, beschäftigen.
Über Roland Benedikter:
Roland Benedikter promovierte in Soziologie und Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin sowie in Erziehungswissenschaft an der Universität Innsbruck. Derzeit ist er Gastforschungsprofessur für multidisziplinäre Politikanalyse am Willy-Brandt-Zentrum der Universität Wroclaw/Breslau und seit 2017 Co-Leiter des EURAC Research Center for Advanced Studies, Bozen. Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind politische Antizipation, kontextuelle Politikanalyse und globale Systemverschiebung.
Über die „Strategische Vorausschau“:
Die Strategische Vorausschau ist für das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ein wichtiges Instrument, um frühzeitig Orientierungswissen über mögliche zukünftige gesellschaftliche und technologische Entwicklungen zu bekommen. Ziel ist es, die richtigen Weichen zu stellen, um künftigen Herausforderungen frühzeitig zu begegnen. Hierfür wurde der sogenannte Zukunftskreis berufen: 16 Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Disziplinen beraten das BMBF hinsichtlich Zukunftstrends. Aber auch den Bürgerinnen und Bürgern bieten die Ergebnisse der Vorausschau eine gute Orientierung für die Zukunft. Mehr Informationen finden Sie hier.