Folgen des Freihandels auf dem Textilmarkt
Chancen und Risiken des globalen Freihandels werden weiter kontrovers diskutiert. Im Fokus stehen dabei die stockenden Verhandlungen und möglichen Folgen der geplanten Freihandelsabkommen TTIP und CETA. Angesichts der gesellschaftlichen Brisanz des Themas, lohnt es sich einen Blick auf den seit Ende 2004 weitgehend liberalisierten Weltmarkt für Textilien und Bekleidung zu werfen. Welche Auswirkungen hatte das Auslaufen des Welttextilabkommens vor über zehn Jahren auf die Beschäftigten in den wichtigsten Produktionsländern? Dieser Frage geht eine neue Studie der Otto Brenner Stiftung nach, die von Südwind-Mitarbeiterin Dr. Sabine Ferenschild in Kooperation mit der Volkswirtin Julia Schniewind verfasst wurde.
07.04.2016
Anknüpfend an Vorgängerstudien aus den Jahren 2004 und 2009 überprüft die Untersuchung zentrale Prognosen über die Folgen der Handelsliberalisierung auf dem Welttextilmarkt. Prognostiziert wurden unter anderem ein Wachstum des Textil- und Bekleidungshandels sowie eine massive Verlagerung der Produktion nach China. Außerdem war vorhergesagt worden, dass der aus dem Freihandel resultierende Kampf um Marktanteile zu einem sozialen Wettlauf nach unten, auf dem Rücken der Beschäftigten, führen werde.
Die Studie untersucht nun die Folgen von zehn Jahren Handelsliberalisierung auf dem Weltmarkt für Textilien und Bekleidung am Beispiel von sieben Ländern (Bangladesch, China, Indien, Indonesien, Kambodscha, Türkei, Vietnam) und der EU. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass es, wie prognostiziert, zu einer Ausweitung des Welthandels und massiven Verlagerungen nach China gekommen ist.
Außerdem seien die negativen Folgen eines sozial unregulierten Freihandels deutlich zu spüren: „Die Arbeitsbedingungen der Näherinnen und Näher, die für Hungerlöhne die Kleidung der großen Textilmarken herstellen, verdeutlichen, dass Freihandel in der Regel nicht zum Nutzen aller Beteiligten funktioniert. Wohlstand ist für die Arbeitnehmer-innen und Arbeitnehmer in den meisten Produktionsländern weiter eine Illusion. Die Studie zeigt, dass der Schutz der Beschäftigten in den Mittelpunkt rücken muss“, so Otto Brenner Stiftung und IG Metall im Vorwort der Studie.
Gewinner und Verlierer
Gewinner des Freihandels sind vor allem die großen Marken-Unternehmen, während die Beschäftigten immer noch überwiegend unter unzumutbaren Arbeitsbedingungen und Billiglöhnen leiden. Dies gelte auch für Länder, die ihre Marktanteile im vergangenen Jahrzehnt steigern konnten (China, Bangladesch, Indien, Vietnam, Kambodscha und die Türkei). In allen untersuchten Produzentenländern waren Beschäftigte und Gewerkschaften mit Betriebsverlagerungen, Entlassungen und Einschränkungen der Vereinigungsfreiheit konfrontiert.
Gleichzeitig weist die Studie darauf hin, dass das vergangene Jahrzehnt auch ein Jahrzehnt zunehmender Arbeitskämpfe und wachsenden Widerstands von Gewerkschaften und Zivilgesellschaft gegen unzumutbare Arbeitsbedingungen war. Es gebe, so die Autorinnen, „keine Beobachtung sozialer Auswirkungen der Liberalisierung unter Laborbedingungen.“ Es lasse „sich nur vermuten, dass ohne den Widerstand der Beschäftigten die Löhne in den Schwerpunktländern niedriger, die Arbeitsplätze unsicherer, die Arbeitsbedingungen insgesamt prekärer und Gewerkschaften in ihrem Engagement noch stärker eingeschränkt wären, als sie es heute sind.“
Inhalt
Neben der Überprüfung der Auswirklungen von zehn Jahren Handelsliberalisierung bietet die Studie für alle am Textil- und Bekleidungssektor Interessierten einen aktuellen Überblick über die Entwicklung des Welthandels, die wichtigsten Lieferländer sowie Herausforderungen und Strategien der Schwerpunktländer bzw. -regionen.
Wichtige Quelle der Untersuchung sind qualitative Interviews, die die Autoren mit Experten von Gewerkschaften und Nicht-Regierungsorganisationen geführt haben.