Wie die EU mit Unternehmen bei Menschenrechten kungelt
Mehr als 100 internationale Organisationen und soziale Bewegungen treffen sich derzeit in Genf, um für einen UN-Vertrag zu kämpfen, der transnationale Unternehmen für ihre Menschenrechtsverletzungen verantwortlich machen soll.
16.10.2018
Die Recherche von Amis de la Terre/Friends of the Earth France, CETIM, Observatoire des multinationales und des Transnational Institute (TNI) zeigt, dass die EU diesen Prozess behindert. In der Studie wird gezeigt, dass die Europäische Union die gleichen Argumente wie die Unternehmenslobbys anwendet und hartnäckig freiwillige und ineffektive Leitlinien verteidigt. Der Bericht enthält auch eine Sammlung von Fallstudien, welche mit konkreten Fakten den Diskursen widerspricht, dass die europäischen Unternehmen „grün“ und „verantwortlich“ darstellen.
Die Fallstudien zeigen, dass es dringend notwendig ist, einen international verbindlichen Vertrag zu verhandeln, um die Lücken in der nationalen und internationalen Gesetzgebung zu schließen. Man muss eine Antwort auf die komplexen Rechtsstrukturen transnationaler Konzerne finden, um Mutter- und Outsourcing-Unternehmen für ihre Aktivitäten auf der ganzen Welt verantwortlich zu machen.
Verbindlicher Vertrag in Arbeit
Aktuell findet die vierte Sitzung der zwischenstaatlichen Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen statt, die mit der Ausarbeitung eines verbindlichen Vertrags über transnationale Unternehmen und Menschenrechte beauftragt ist. Die Staaten werden auf der Grundlage eines „Grundlagenentwurfes (engl. draft zero)“ verhandeln, der in diesem Sommer veröffentlicht wurde.
In den letzten vier Jahren hat die EU den Prozess in Richtung Vertrag behindert. Die EU hat u.a. die Beteiligung von Unternehmen an den Verhandlungen gefordert. Sie setzt damit eine Entwicklung in Brüssel und bei den Vereinten Nationen fort, die Beteiligung des Privatsektors zu legitimieren und Unternehmen aufzufordern, die für sie geltenden Vorschriften „mitzuschreiben“.
Juliette Renaud von Amis de la Terre/Friends of the Earth France aus Frankreich: „Die EU parodiert in dieser UN-Arbeitsgruppe lediglich internationale Unternehmenslobbygruppen wie die Internationale Handelskammer (International Chamber of Commerce) oder die Internationale Arbeitgeberorganisation (International Organisation of Employers), indem sie die gleichen Argumenten und manchmal genau die gleichen Worte benutzt. Die jüngste Verabschiedung des französischen Gesetzes über Sorgfaltspflichten, das durch den heftigen Widerstand des privaten Sektors verzögert und geschwächt wurde, beweist, dass die Unternehmenslobbys alles tun werden, um die Ambitionen des künftigen Vertrags zu schwächen und die Verhandlungen scheitern zu lassen. Es sollten Maßnahmen ergriffen werden, um den UN-Prozess vor schädlichen Einflüssen der Unternehmen zu schützen.“
Raffaele Morgantini vom CETIM aus der Schweiz weist darauf hin, dass „die Lobbyarbeit der Privatwirtschaft immer eine zentrale Rolle gespielt hat, Verhandlungsversuche zu verbindlichen Rechtsnormen für transnationale Unternehmen (TNCs) zu verhindern, da diese als Bedrohung ihrer wirtschaftlichen Interessen und Profitmaximierung angesehen werden. Sie sind heute ein integraler Bestandteil des Systems der Vereinten Nationen. Die Strategie der TNCs und ihrer Interessengruppen lässt sich in zwei Hauptelemente unterteilen: die Delegitimierung des Vertragsprozesses und die Ausübung von Druck, Erpressung und/oder von Drohungen gegen Staaten. Wir müssen uns diesem destruktiven Dynamik widersetzen und die Kontrolle über das System der Vereinten Nationen zurückgewinnen: Die Zukunft der Demokratie und der sozialen Gerechtigkeit steht auf dem Spiel.“
Der Staat als Gefangener
Mónica Vargas vom europäischen Transnational Institut (TNI) kommentierte: „Ein robuster, verbindlicher Vertrag über TNCs in Bezug auf die Menschenrechte wird ein entscheidender Schritt auf dem Gebiet der internationalen Menschenrechtsgesetzgebung sein. Die Verhandlungen über den Vertragstext, die diese Woche in Genf beginnen, werden einen unvergleichbaren Fahrplan eröffnen, der das Ende der freiwilligen und ineffektiven Selbstregulierung der Unternehmen und das Ende der Gefangennahme des Staates (corporate capture) durch Unternehmen markiert. Die Fallstudien über europäischen TNCs in diesem Bericht zeigen, wie sich die Straffreiheit der Unternehmen derzeit durchsetzt und dazu führt, dass den betroffenen Gesellschaftsgruppen, Gerechtigkeit verweigert wird. Es ist nun die Zeit gekommen, entschlossen zu handeln, um die unternehmerische Gefangennahme des Staates zu beenden. Das ist unser Aufruf an die EU-Mitgliedstaaten und alle Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen.“
Dies Studie ist der erste große Bericht, der vom neu gegründeten Netzwerk ENCO (European Network of Corporate Observatories/Europäisches Netzwerk für Konzernbeobachtung) initiiert wurde. „Diese Veröffentlichung wäre ohne die Recherche und die Beiträge vieler zivilgesellschaftlicher Organisationen und Medien aus Europa und dem globalen Süden nicht möglich gewesen“, sagt Olivier Petitjean vom Observatoire des multinationales aus Paris. „Diese Art der Zusammenarbeit ist entscheidend, um die Schönfärberei der Unternehmen aufzudecken und die Perspektiven der betroffenen Gemeinschaften, Arbeiter und europäischen Bürger in die Debatte einzubringen, was die offiziellen Vertreter der EU offensichtlich nicht tun.“