EU-Lieferkettengesetz muss Umweltgerechtigkeit gewährleisten
Ende Februar hat die EU-Kommission ihren Entwurf für ein Lieferkettengesetz vorgelegt. Damit sollen Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung in ihren Lieferketten zur Verantwortung gezogen werden. Während dieses Gesetz ein äußerst lobenswertes Ziel verfolgt, weist der aktuelle Entwurf ernsthafte Schwächen auf.
11.04.2022
Die Stärkung der Rolle der EU-Kommission – etwa durch eine stärkere Berücksichtigung der Warnungen von Interessengruppen, die regelmäßige Überwachung der Einhaltung der Vorschriften in Erzeugerländern sowie beim Umgang mit Regierungen, die es versäumen, strukturelle Risiken anzugehen – kann dazu beitragen, Menschenrechtsverstöße und Umweltzerstörung in Lieferketten zu reduzieren und einen sichereren, nachhaltigeren und gerechteren europäischen Markt zu schaffen.
„Das Ziel des Gesetzesvorschlags ist sehr zu begrüßen", so Steve Trent, CEO und Gründer der Environmental Justice Foundation. „Doch um dieses Gesetz zukunftssicher zu machen, müssen Interessensgruppen, Bürger:innen und andere in der Lage sein, die EU-Kommission auf Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen aufmerksam zu machen. Dieses Wissen aus erster Hand ist unersetzlich, doch derzeit gibt es keine Möglichkeit dafür."
Auf der Grundlage des derzeitigen Gesetzesvorschlags können entsprechende Meldungen nur über nationale Behörden erfolgen. In Anbetracht der Tatsache, dass globale Lieferketten oft mehrere Zugangspunkte zum EU-Markt haben, ist dies nicht sinnvoll.
Darüber hinaus müsse ein Teil der Rolle der Kommission darin bestehen, mit Regierungen zusammenzuarbeiten, die es versäumen, Risiken anzugehen und zu reduzieren. „Diese Zusammenarbeit, bei der die EU die Länder darin unterstützt, Regelungen zu schaffen, die Umweltgerechtigkeit fördern, ist eine globale Stärke der EU und sollte im Mittelpunkt der Richtlinie stehen. Doch auch dies fehlt im aktuellen Gesetzesentwurf", so Trent weiter.
Schließlich sollten jegliche Risiken, die mit Lieferketten verbunden sind, von der Kommission überwacht werden, durch jährliche Berichte, die alle Länder abdecken. Der derzeitige Entwurf sieht ein solches zentralisiertes Monitoring nicht vor, obwohl es für Unternehmen, die Risiken bei ihren ausländischen Lieferanten nicht einschätzen können, wichtig wäre.
Geltungsbereich der Richtlinie muss überarbeitet werden
Auf der Grundlage Unternehmenskenndaten – Umsatz, Anzahl der Mitarbeitenden, vorab festgelegte Sektoren – schätzt die Kommission, dass der Vorschlag lediglich 13.000 Unternehmen in der EU und 4.000 Unternehmen aus Drittländern erfasst. Vor dem Hintergrund sich schnell verändernder globaler Lieferketten sollte der Geltungsbereich der Richtlinie jeweils innerhalb kürzerer Zeiträume überarbeitet werden können.
Die EU-Verordnung zur Verhinderung der illegalen, nicht gemeldeten und unregulierten Fischerei, die seit über einem Jahrzehnt in Kraft ist, ermöglicht es Beteiligten, die Europäische Kommission im Falle eines möglichen Verstoßes direkt zu informieren. Die Kommission kann diese Meldungen anschließend analysieren und Mitgliedstaaten Empfehlungen für ein rasches Handeln aussprechen. Dieses Vorgehen kann als Vorbild dienen, um das EU-Lieferkettengesetz in dieser Hinsicht zu verbessern.
Darüber hinaus sollte die EU-Kommission regelmäßig überwachen, wie Drittländer mit Umwelt- und Menschenrechtsrisiken umgehen, um Unternehmen bei ihren Sorgfaltspflichten zu unterstützen. Außerdem sollte sie mögliche Vorfälle analysieren und sowohl mit Mitgliedstaaten als auch betroffenen Drittländern zusammenarbeiten, um Lösungen zu finden. Dazu sollte auch die Möglichkeit gehören, den Großhandel mit Produkten zu verbieten, die nachweislich mit Umweltzerstörung und Menschenrechtsverstößen in Verbindung stehen, wenn die Regierung des Erzeugerlandes es versäumt, diese Risiken zu vermeiden. Gleiches gilt für die zivilrechtliche Haftung von Unternehmen, die keine Schritte unternehmen, um Verstöße in ihren Lieferketten zu unterbinden.
EU-Vorschlag muss korrigiert werden, damit er den Menschen und dem Planeten nutzt
Auch Oxfam kritisiert, dass das neue Gesetz nur für eine kleine Gruppe sehr großer Unternehmen gelten soll. Im Gegensatz zu den anfänglichen Ambitionen der EU-Kommission enthalte der Vorschlag keine Reformen der Pflichten des Managements von Unternehmen.
Franziska Humbert, Expertin für Wirtschaft und Menschenrechte bei Oxfam Deutschland, kommentiert: „Der Vorschlag der Europäischen Kommission lässt zu wünschen übrig. Das neue Gesetz würde beispielweise nur für ein Prozent der Unternehmen in Europa gelten. Menschenrechte und Umweltschutz müssen aber für alle Unternehmen verpflichtend sein - nicht nur für die größten. Oxfam begrüßt jedoch, dass eine Haftungsregelung im Entwurf vorgesehen ist. Sie ist ein Hoffnungsschimmer für Arbeiter:innen, die Gesundheitsschäden erlitten haben, weil sie zum Beispiel Bananen für deutsche Supermärkte ernten und dabei ohne Schutzkleidung giftigen Pestiziden ausgesetzt sind. Damit diese Menschen ihre Schäden jedoch wirklich vor deutschen Gerichten einklagen können, braucht das Gesetz nun eine effektive Ausgestaltung, zum Beispiel eine Beweislastumkehr zugunsten der Arbeiter:innen."
Marc-Olivier Herman, Leiter des Bereichs Gerechtes Wirtschaften bei Oxfam in Brüssel: „Dass die Reformen zu den Pflichten des Managements von Unternehmen und deren Vergütungspraxis auf Eis gelegt wurden, ist eine verpasste Chance von historischem Ausmaß, insbesondere angesichts der aktuellen Klima- und Ungleichheitskrise. Der Vorschlag trägt den Fingerabdruck der regressiven Wirtschaftslobby: Er ist zu schwach um zu gewährleisten, dass Managements von Unternehmen über die unmittelbare finanzielle Rendite hinausschauen und bei ihren strategischen Entscheidungen auch die Umwelt, das Klima und die Menschenrechte berücksichtigen. Es ist nun wichtig, dass der Vorschlag von der EU-Kommission und den Mitgliedsstaaten so verbessert wird, dass das Gesetz auch wirklich den Menschen und dem Planeten nutzt."