„Die Nachrüstung von Diesel-Fahrzeugen wäre eine sinnvolle Maßnahme“
Die Diesel-Debatte nimmt kein Ende. Ob die jüngsten Kabinettsbeschlüsse eine Lösung für Fahrverbote, Entschädigung und Umwelt sind, bleibt abzuwarten. Umgesetzt wird die Politik in jedem Fall auf Landes- und Kommunalebene. Wir sprachen mit Ursula Heinen-Esser, Umweltministerin des Landes Nordrhein-Westfalen, darüber, wie sie Fahrverbote in NRW verhindern möchte und warum beim Thema Nachhaltigkeit alle an einem Strang ziehen müssen.
05.10.2018
UmweltDialog: Frau Heinen-Esser, zurzeit wird viel über das Diesel-Fahrverbot diskutiert. Dieselmotoren sind jedoch nicht die einzigen Luftverschmutzer; auch Braunkohle, Industrie und Schifffahrt emittieren Schadstoffe. Wie wollen Sie die Luftqualität in NRW verbessern?
Ursula Heinen-Esser: Wir wollen die Luftqualität und damit den Gesundheitsschutz in NRW weiter verbessern. Um dies zu erreichen, gibt es nicht die eine Maßnahme. Die Summe der Maßnahmen wird zum Erfolg führen. Dazu gehört auch die Senkung der Stickstoffdioxid-Emissionen von Schiffen, die in Rheinstädten wie Köln und Düsseldorf rund 20 beziehungsweise 30 Prozent der Emissionen verursachen. Dazu gehören insbesondere aber auch nachhaltige Mobilitätskonzepte in den Ballungszentren. Einige innovative Projekte habe ich über den Sommer besucht, viele mit großem Potenzial.
Zentrale Instrumente der Luftreinhaltepolitik sind die Luftreinhaltepläne. Zum Beispiel sieht der Entwurf des Luftreinhalteplans Düsseldorf, der im September öffentlich zur Kommentierung auslag, mehr als 60 Maßnahmen vor. Diese reichen von der Modernisierung der Busse über Maßnahmen zum Verkehrs-, Parkraum- und Mobilitätsmanagement bis hin zum Ausbau von Radwegen und der Förderung von Elektromobilität. Und weitere Aktivitäten werden folgen, deren Minderungspotenzial derzeit teils noch nicht genau quantifiziert werden kann – etwa die Umsetzung der Ergebnisse und Förderprogramme des nationalen Dieselgipfels sowie die aktuellen Überlegungen zur Hardware-Nachrüstung.
Ziel ist es, dass Anfang 2019 Luftreinhaltepläne in Kraft treten, die den Gesundheits-, Umwelt- und Verbraucherschutz gleichermaßen gewährleisten und die Einhaltung der Grenzwerte für Stickstoffdioxid sicherstellen.
Die Einführung von Diesel-Fahrverboten in NRW ist auch nach dem Frankfurter Urteil sehr wahrscheinlich. Sie wollen das verhindern. Wie soll das funktionieren?
Heinen-Esser: Die Nachrüstung von Diesel-Fahrzeugen wäre eine sinnvolle und hilfreiche Maßnahme zur Reduzierung der Stickstoffdioxid-Belastung und zur Vermeidung von Fahrverboten. Offenbar hat sich diese Haltung mittlerweile in Bund und Ländern durchgesetzt. Dies ist sehr erfreulich.
Seit letztem Montag gibt es Klarheit, wo, wie und unter welchen Voraussetzungen neue Umtausch- und Nachrüstoptionen kommen werden. Es gibt einerseits neue Kaufanreize für Diesel-Besitzer, andererseits technische Nachrüstungen in den Ballungszentren mit hohen Luftverschmutzungen und deren Einzugsgebieten.
Das Beispiel Nachrüstung von ÖPNV-Bussen zeigt, dass schnell gehandelt werden kann. Mit Hardware-Nachrüstungen könnte der Stickoxidausstoß massiv gesenkt werden. Fahrverbote, so hat das Bundesverwaltungsgericht geurteilt, können nur die Ultima Ratio sein. In der Konsequenz ist es der Auftrag, alle Maßnahmen und Potenziale auszuschöpfen, die einen geringeren Eingriff in die Rechte der Bürgerinnen und Bürger bedeuten als Fahrverbote. Dazu zählt auch die Nachrüstung von Diesel-Fahrzeugen, die im Sinne der Verhältnismäßigkeit einen geringeren Eingriff bedeutet als Fahrverbote.
Was die Kostenfrage betrifft: Eine Grundlage der Umweltpolitik ist das Verursacherprinzip. Demnach liegt die Verantwortung primär bei der Automobilindustrie. Wenn die Motoren aber rechtmäßig zugelassen sind, kann man die Hersteller nicht so einfach zur Kostenübernahme verpflichten. Hier müssen pragmatische Lösungen gefunden werden.
Die Elektromobilität gilt derzeit als die Lösung für nachhaltige Mobilität. Wenn der Strom dafür aus fossilen Brennstoffen kommt, hat das mit Nachhaltigkeit nicht mehr viel zu tun. Wie können Elektromobilität und Nachhaltigkeit einhergehen?
Heinen-Esser: Ich bin davon überzeugt, dass die Elektromobilität in den kommenden Jahren einen Boom erfahren wird. Die Nachfrage wird anziehen, passende und finanzierbare Autos stehen kurz vor der Markteinführung. Aber sicher: Es wäre absurd, wenn wir unsere E-Autos mit Atomstrom aus Tihange aufladen würden, um unsere Luftreinhaltepläne einhalten zu können. Hier benötigen wir eine Gesamtstrategie für eine nachhaltige Mobilität der Zukunft.
Diese wird durch neue Technologien getrieben sein, in einer Mischung aus E-Autos, Brennstoffzelle oder eben nur nach Bedarf per Car-Sharing. Das Problem ist: Wir haben zu lange auf die herkömmlichen Antriebe gesetzt. Aber ich registriere auch einen Sinneswandel: Früher war der Führerschein ein Lebensziel oder das eigene Auto. Heute gibt es andere Ziele und Statussymbole.
Der Schlüssel für eine erfolgreiche Nachhaltigkeitspolitik heißt: Zusammenarbeit!
Sie waren in verschiedenen Ministerien auf Bundes- und Länderebene tätig. Da haben Sie sicher viele und unterschiedliche Erfahrungen machen können. Wie geht man Ihrer Einschätzung nach das Thema Nachhaltigkeit am besten an?
Heinen-Esser: Der Schlüssel für eine erfolgreiche Nachhaltigkeitspolitik heißt: Zusammenarbeit! Dabei gilt weiterhin der Leitsatz „Global denken und ganz praktisch lokal Handeln“. Wichtig ist das Zusammenwirken vieler Akteure vor Ort. Denn den „Local Authorities“ in den Kommunen fällt schon mit der Agenda 21 eine prominente Rolle bei der Umsetzung von Nachhaltigkeitsstrategien zu.
Und hier setzt auch mein Ministerium an: Wir unterstützen die Kommunen bei verschiedenen Nachhaltigkeitsthemen – in diesen Monaten z.B. durch Regionalkonferenzen zum drängenden Thema der Klimaanpassungsmaßnahmen vor Ort. Dass Städte wie Münster, Eschweiler und Saerbeck den Deutschen Nachhaltigkeitspreis für Städte und Gemeinden erhalten, zeigt, dass das Thema Nachhaltigkeit in NRW in den Kommunen angekommen ist. Während des Deutschen Nachhaltigkeitstages am 7. Dezember 2018 in Düsseldorf stellen die Siegerinnen und Sieger des Deutschen Nachhaltigkeitspreises ihre nachhaltigen Projektideen vor.
Die Nachhaltigkeitsstrategie für das Land NRW wird derzeit neu ausgerichtet. Bei welchen Themen sehen Sie hier den größten Bedarf an Nachjustierung?
Heinen-Esser: Nachhaltigkeit ist ein Leitprinzip der Landesregierung und ein ressortübergreifendes Querschnittsthema. Unsere ökologische Verantwortung zur Bewahrung der Schöpfung und ökonomische Vernunft müssen wir eng mit sozialer Gerechtigkeit verknüpfen.
Nur durch ein abgestimmtes Vorgehen mit dem Bund werden wir auf allen Ebenen unsere ambitionierten Ziele erreichen können. Dazu ist es wichtig, die NRW-Nachhaltigkeitsstrategie auch an den Zielen des Bundes auszurichten.
Nordrhein-Westfalen hat aber Besonderheiten zu bieten, die spezielle Anforderungen an seine nachhaltige Entwicklung stellen. So konzentrieren sich fünf Millionen Menschen im größten Ballungsraum Deutschlands, dem Ruhrgebiet. Deshalb engagieren wir uns zum Beispiel für spezifische Nachhaltigkeitsprojekte zum Ausbau grüner Infrastruktur, einer wichtigen thematischen Säule der Ruhrkonferenz für den Ballungsraum Ruhrgebiet.
Vielen Dank für das Gespräch!
Lesen Sie hier ein weiteres Interview mit NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser zum Thema Klimawandel, das am 02. Oktober 2018 bei UmweltDialog erschienen ist.