Klimaneutral in die Zukunft
Wenn der Verkehr bis zum Jahr 2050 komplett klimaneutral werden soll, steigen die Kosten für den Autofahrer voraussichtlich. Allerdings macht es keinen großen Unterschied, ob ein Mittelklasse-Pkw einen batterieelektrischen Antrieb, eine Brennstoffzelle oder einen mit E-Kraftstoffen betriebenen Verbrennungsmotor an Bord hat. Das ist ein Ergebnis einer umfassenden Studie, in der die Forschungsvereinigung Verbrennungskraftmaschinen (FVV) die technischen und wirtschaftlichen Optionen für einen klimaneutralen Verkehr untersucht hat.
05.10.2018
„Mit der Studie legen wir die Grundlage für eine technisch fundierte Diskussion der Optionen für einen klimaneutralen Straßenverkehr“, sagt FVV-Geschäftsführer Dietmar Goericke. „Die Weichen müssen in den kommenden Jahren gestellt werden, wenn wir unsere Klimaziele bis zum Jahr 2050 erreichen wollen.“
Um die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens zu erreichen, muss der Straßenverkehr bis zum Jahr 2050 weitgehend klimaneutral werden. Dabei reicht es nicht, allein das im Straßenverkehr ausgestoßene Kohlendioxid (CO2) zu betrachten. Vielmehr muss die Gesamtkette von der Stromgewinnung über Herstellung des Energieträgers bis zum angetriebenen Rad im Fahrzeug analysiert werden. Genau das hat ein branchenübergreifender Expertenkreis der FVV unter Leitung von Dr. Ulrich Kramer, Ford-Werke, getan. Ihm gehörten zeitweise mehr als 40 Fachleute aus verschiedenen Branchen an. Die Studie „Defossilisierung des Transportsektors“ untersucht die Erzeugung, Verteilung und Nutzung für drei Kombinationen von Antrieb und Energieträger: Erstens die direkte Stromnutzung im batterieelektrischen Antrieb, zweitens die Wasserstoffherstellung per Elektrolyse und dessen Nutzung in einer Brennstoffzelle und drittens die Verwendung klimaneutral hergestellter Flüssig- oder Gaskraftstoffe im Verbrennungsmotor. Für jeden Pfad wurden dabei die Minimal- und die Maximalkosten auf Basis der zugrundeliegenden Herstellungsverfahren detailliert von Ingenieuren und Naturwissenschaftlern berechnet.
Offshore-Windparks als Energielieferanten
Ausgangspunkt der Studie ist der für die Mobilität in Deutschland tatsächlich benötigte mechanische Energiebedarf, um die heutige Verkehrsleistung – einschließlich des Straßengüterverkehrs – zu erbringen. Diesen Bedarf taxieren die Experten auf 143 Terrawattstunden (TWh). In einem Szenario, in dem alle Pkw über einen batterieelektrischen Antrieb verfügen und Lkw auf den Autobahnen durch Oberleitungen mit Strom versorgt werden, müssten zwischen 249 und 325 Terrawattstunden Strom zusätzlich erzeugt werden. Das entspricht etwa der Hälfte des heutigen deutschen Verbrauches an elektrischer Energie. Der zusätzlich benötigte Strom könnte beispielsweise durch die Errichtung von 10.000 bis 15.000 neuer Offshore-Windräder der Fünf-Megawatt-Klasse erzeugt werden.
In dem auf Wasserstoff und Brennstoffzelle basierenden Szenario unterscheiden sich Minimal- und Maximalwert deutlicher. Im Bestfall müsste bei zentraler Elektrolyse 502 Terrawattstunden zusätzlicher Strom erzeugt werden. Wird der Wasserstoff dezentral an den Tankstellen hergestellt, kann dieser Wert auf bis zu 703 Terrawattstunden steigen. Für die Energiebilanz der E-Kraftstoffe ist entscheidend, welcher der vielen möglichen Herstellpfade und Ausgangsstoffe genutzt wird. Von den acht untersuchten Antriebs-/Kraftstoffkombinationen schneidet E-Methan am günstigsten ab. Wird das für den Prozess benötigte Kohlendioxid aus den Abgasen von Industrieanlagen gewonnen, beträgt der Strombedarf minimal 625 Terrawattstunden. Der Wert kann sich mehr als verdoppeln, wenn ein komplexerer Flüssigkraftstoff, der in einem aufwendigeren, mehrstufigen Verfahren hergestellt wird, zum Einsatz kommt und das Kohlendioxid aus der Luft abgeschieden wird.
E-Methan-Fahrzeuge am günstigsten
Die in der Studie ermittelten Mobilitätskosten unterscheiden sich trotzdem nur wenig. Den geringsten Wert für einen Pkw erreicht ein mit E-Methan betriebenes Fahrzeug mit 28,4 Cent pro Kilometer. Elektro-Pkw und Brennstoffzellenfahrzeuge folgen dicht auf mit 29,4 und 29,9 Cent pro Kilometer. Die Studie zeigt auch, dass die Mobilitätskosten von den Fahrzeuganschaffungskosten dominiert werden. Sehr deutlich unterscheiden sich die Szenarien hinsichtlich des gesamtwirtschaftlich notwendigen Investitionsbedarfs für die Bereitstellung der erneuerbaren Energie, die Kraftstofferzeugungsanlagen, den Infrastrukturaufbau und die über 20 Jahre kumulierten Mehrkosten der Fahrzeugflotte gegenüber dem Basisfahrzeug mit Ottomotor. Er schwankt zwischen knapp 300 und rund 1.700 Milliarden Euro. Auch hier haben die über 20 Jahre kumulierten Fahrzeugmehrkosten einen deutlich höheren Anteil als die Investitionen in die Infrastruktur für Strom- und Kraftstoffherstellung.
Die FVV-Studie stellt neben den technischen und wirtschaftlichen Optionen für klimaneutrale Energieketten eine Vielzahl weiterer Ergebnisse bereit. So wurden die Risiken, die mit der Distribution und der Nutzung neuer Kraftstoffe im Fahrzeug verbunden sind, eingehend analysiert. Das Ergebnis: Zwar weist jeder Technologiepfad spezifische Risiken auf, technisch sind jedoch alle untersuchten Wege beherrschbar. Schließlich identifizieren die Experten den Forschungsbedarf, der bei der Produktion der Energieträger, der Energiebereitstellung sowie in der Fahrzeug- und Antriebstechnik noch besteht. Für eine effiziente Herstellung alternativer Energieträger gilt es demnach, vor allem den Wirkungsgrad bei dynamischem Anlagenbetrieb zu verbessern. Auch bei den Antrieben stellt eine weitere Optimierung des Wirkungsgrads unter realen Betriebsbedingungen ein wichtiges Forschungsfeld dar. Eine Besonderheit einiger untersuchter E-Kraftstoffe liegt in ihrer Zumischbarkeit zu fossilen Kraftstoffen, mit der die Klimabilanz von Bestandsfahrzeugen unmittelbar verringert werden kann. Auch hierzu empfehlen die Experten eine forcierte Forschungsförderung.