Auf der letzten Meile in die Pedale treten
Immer mehr Lieferfahrzeuge sorgen in den Innenstädten für „dicke Luft“. Dabei könnten viele Pakete auf der „letzten Meile“ umweltschonend mit dem Lastenrad zugestellt werden. Wie gut das funktioniert, wurde vielfach erprobt. Für Unternehmen wie memo oder Kyocera ist das Paket-Pedelec schon Normalität. Kurz vor der Serienreife steht ein neuartiger Lasten-Drahtesel von Schaeffler.
19.03.2020
3,6 Milliarden Pakete karrten die Unternehmen des Bundesverbands Paket- und Expresslogistik (BIEK) 2019 durch die Gegend. Tendenz steigend! Trotz sparsamerer Motoren steigen deswegen die CO2-Emissionen durch den Güter- und Lieferverkehr weiter an, berichtet das Umweltbundesamt.
Besonders gravierend sind die Belastungen in den Städten. Rund ein Drittel des Verkehrsaufkommens wird dort nach Informationen des BUND durch Güter- und Lieferverkehr verursacht. Der Umweltverband fordert: „Urbaner Lieferverkehr kann und muss stadtverträglich werden! Gerade auf der ,letzten Meile‘, also auf dem Weg zu den Endverbrauchern, können Transporte bedeutend klimafreundlicher, effizienter und sauberer werden.“
Lieferverkehr auf umweltfreundliche Transportmittel verlagern
Eine Schlüsselrolle bei der klimafreundlicheren Zustell-Zukunft spielen Lastenräder mit Elektroantrieb. Der BUND selbst führt dazu das Projekt „Klimafreundlicher Lieferverkehr für saubere und lebenswerte Städte“ durch. Die Bergische Universität Wuppertal wiederum testet im Projekt „Logistische Optimierung der City-Belieferung mit Lastenrädern“ (LOOP) in Düsseldorf und Wuppertal eine urbane Logistikinfrastruktur mit „Mikrodepots“. Lieferdienste stellen diejenigen Waren, die sich für die Lastenrad-Zustellung eignen, in kleine, über die Stadt verstreute Zwischenlager zu. Auf der letzten Meile kommen dann Cargo Bikes zum Einsatz.
Wie Erfolg versprechend eine Logistikstruktur aus Mikrodepots und Lastenrad-Flotte ist, zeigen Pilotprojekte wie das 2019 abgeschlossene „KoMoDo“ in Berlin, wo fünf beteiligte Paketdienste 160.000 Pakete zustellten, oder ein bereits zwei Jahre vorher beendetes Vorhaben in Nürnberg.
Nürnberg ist ein Zentrum der Cargo-Bike-Logistik
In der Franken-Metropole waren DPD und GLS die Projektpartner. Allein DPD transportierte nach eigenen Angaben während der Projektlaufzeit 80.000 Pakete. „Angesichts von drohenden Zufahrtsbeschränkungen wird die Entwicklung solcher nachhaltigen City-Logistik-Lösungen immer wichtiger“, sagt Gerd Seber, Group Manager Sustainability & Innovation bei DPD Deutschland, dazu. Noch vor dem offiziellen Projektende entschied DPD, die Lieferung mit zunächst drei Cargo-Bikes in Nürnberg dauerhaft beizubehalten.
Eine wichtige Erkenntnis des Nürnberger Pilotversuchs führte gleich zum Folgeprojekt „LEV@KEP“: Die meisten herkömmlichen Lastenbikes sind nämlich den hohen Belastungen des professionellen Lieferverkehrs nicht gewachsen. Benötigt werden spezielle „Light Electric Vehicles“ mit stabileren und belastbareren Rahmen, Bremsen, Reifen und Ketten.
In die Entwicklung des besonderen Paket-Pedelecs brachte sich nun auch der Automobilzulieferer Schaeffler ein. Er verfügte bereits seit 2017 über ein Konzept für ein vierrädriges Cargo Bike, das mittlerweile unter dem Namen „Bio-Hybrid“ weiterentwickelt wird. Die Breite des Gefährts von 85,5 Zentimetern ist an die übliche Radwegebreite angepasst. Die Reichweite soll bis zu 100 Kilometern betragen. Aktuell wird der Bio-Hybrid in der Praxis erprobt. Die Serienproduktion soll laut Schaeffler Ende 2020 starten.
Kyocera-Produkte kommen in Münster mit dem Fahrrad
Alltag ist die Lastenrad-Lieferung hingegen schon für die Kunden von Kyocera Document Solutions in Münster. Der dortige Kyocera-Partner Isfort GmbH & Co. KG baut seit einiger Zeit auf die Dienste der „Leezenkiepe“, eines ebenfalls zur Isfort-Gruppe gehörenden Unternehmens. In einem Radius von 15 Kilometern um das Isfort-Logistikzentrum herum erhalten die Münsterschen Kyocera-Kunden ihr Büromoaterial „super nachhaltig“ per elektrisch betriebenem Lasten-Drahtesel „direkt auf den Schreibtisch, in den Schrank oder in den Drucker“, erzählt Geschäftsführerin Daniela Isfort. Auch bei der Verpackung agiert der alternative Lieferdienst nachhaltig und verwendet Mehrwegbehälter.
Lesen Sie zur Leezenkiepe auch unsere Reportage „Einzelhandel in der Corona-Krise: Cargobikes boomen“.
Das Lastenrad passt gerade in Münster, das lange die ADFC-Rangliste der fahrradfreundlichsten Städte anführte, gut ins Straßenbild. Weil Fahrräder dort viele Verbindungen nutzen können, die dem Verbrenner-Verkehr versperrt sind, ist die Leezen-Lieferung oft sogar besonders schnell. Neben Kyocera nutzen auch weitere lokale Unternehmen wie ein Fleischverarbeiter, eine Gärtnerei oder ein Kaffeeröster die Logistikdienstleistungen der Leezenkiepe.
memo liefert in immer mehr Städten mit dem Lastenrad
Geradezu ein „alter Hase“ auf dem Gebiet der Lastenrad-Lieferung ist der Versandhändler für nachhaltige Büro- und Alltagsprodukte memo. Ende 2016 starteten die Greußenheimer in Berlin eine erste testweise Kooperation mit einem Radlogistik-Anbieter. Mit Erfolg: Schon ein Jahr später stellte memo innerhalb des S-Bahn-Rings 10.500 Pakete mit dem Rad zu. Auch in Stuttgart und Frankfurt am Main setzt memo seitdem Radkuriere ein. Als Kunde von DPD war man zudem am Nürnberger Lastenrad-Pilotprojekt beteiligt.
Natürlich sei die Zustellung per Cargo Bike etwas teurer, räumte memo-Logistik-Vorstand Frank Schmähling 2018 auf UmweltDialog ein. Dem stünden aber Vorteile gegenüber: Die mit Ökostrom „betankten“ Tret-Stromer kommen innerstädtisch oft schneller ans Ziel als „Benzinkutschen“ und werden auch nicht durch Diesel-Fahrverbote aufgehalten. Außerdem wurde die Erstzustellquote durch direkte Abstimmung mit den Kunden auf 96 Prozent erhöht – zehn Prozent besser als bei herkömmlichen Paketdiensten.