Falsche Industrie-Romantik hilft dem Auto nicht
Der Unternehmer und eAuto-Pionier Jörg Heynkes hat in einem aktuellen Gastbeitrag für den Berliner Tagesspiegel die anhaltende Diskussion über staatliche Hilfen für die deutsche Automobilindustrie bewertet. Hier die wichtigsten Passagen.
29.05.2020
von Jörg Heynkes
Beim Gipfel im Kanzleramt ließen die Autobosse wieder einmal die Motoren röhren: „Konjunkturbelebende Maßnahmen“ müssen her. „Kaufprämien“ sollen wegen des Umsatzeinbruchs zum Autokauf animieren. Fakt ist: Die Lobby von 800.000 direkten und bis zu einer Million indirekten Arbeitsplätzen konnte sich bislang immer so routiniert durchsetzen, dass sie Angela Merkel sogar noch in der Diesel-Affäre den wenig schmeichelhaften Titel „Autokanzlerin“ einbrachte...
Es ist höchste Zeit, sich aus der Geiselhaft der Autolobby zu befreien, denn es ist ökonomisch wie ökologisch klug, der Branche klare Bedingungen zu stellen und sie dann hierbei zu unterstützen. Diese Härte hilft sogar den mittelbar Beschäftigten, ob man nun mit 800.000 oder zehn Millionen rechnet. Ein bisschen ist es beim Auto wie bei der Kohle: Falsche Industrie-Romantik mit Rücksicht auf deutsche Wirtschaftsgeschichte macht noch keine Zukunft...
Man muss nicht ritualisiert Elon Musk bemühen, um wissen zu können, dass sich unser wichtigster Industriezweig in seiner Größe mindestens halbieren wird, weil das Auto der Zukunft ein Smartphone auf Rädern mit Elektroantrieb sein wird - und kein Verbrenner mehr, der in öligen Autowerkstätten bestenfalls ein Service-Update bekommt. Klar, wir brauchen Autos. Aber wir brauchen andere Autos: Sauber, leise, langlebiger und effizient im Verbrauch...
Neukäufe werden zu etwa zwei Dritteln von Unternehmen und Selbständigen getätigt. Davon werden die allermeisten Fahrzeuge zwischen drei und fünf Jahren geleast. Da sind „Spontankäufe“ wegen einer Kaufprämie völlig unlogisch. Eine sinnvolle Beförderung des notwendigen Wandels, wäre die Reduzierung der Besteuerung von Dienstfahrzeugen für reine e-Autos auf null Prozent. Dies würde einen echten Schub bringen. Doch Elektromobilität macht wiederum nur Sinn, wenn auch der Strom grün und günstig ist. Deshalb sollte der Ausbau der Erneuerbaren Energien massiv vorangetrieben werden und die Stromsteuer halbiert werden, damit das e-Auto nicht teuren Kohlestrom tanken muss...
Mindestens ebenso wichtig: der dringend notwendige Ausbau der Ladeinfrastruktur mit superschnellem Laden an den Autobahnen mit 250 bis 350 Kliowatt, schnellem Laden in den Städten an den Hotspots des Einkaufens mit 50 bis 150 Kilowatt, dreiphasigem Laden mit elf bis 22 Kilowatt überall in den Städten - und einphasigem Laden von zwei bis 3,5 Kilowatt in allen Tiefgaragen, an Wohngebäuden und in Wohngebieten. Vor allem aber auch auf den Parkplätzen der Unternehmen, damit die Mitarbeiter während der Arbeitszeit laden können. Hier sollten die Unternehmen in die Pflicht und unterstützt werden...
Die Automobilindustrie befindet sich auf globaler Ebene in einem nie dagewesenen Transformationsprozess hin zu Vernetzung, autonomem Fahren und Elektromobilität... In den kommenden zehn bis 15 Jahren werden wir in das Zeitalter der „Schwarmmobilität“ kommen, in dem der Individualbesitz von Fahrzeugen eingetauscht wird in die Dienstleistung und Service-Frage an den Schwarmbetreiber: Wie und mit welchem Fahrzeug komme ich am komfortabelsten von A nach B? Auf Knopfdruck, sicher, preiswert und von jedermann nutzbar...
Anfang Juni wollen Autoindustrie und Bundesregierung noch einmal über „konjunkturbelebende Maßnahmen“ beraten. Was wir dann brauchen ist eine echte „Wiederbelebung“ der deutschen Autoindustrie. Mit klaren Bedingungen und Investitionen in die Zukunft. Das Kanzleramt nennt so etwas verschwurbelt „Modernisierungsbeitrag in Richtung innovativer Fahrzeugtechnologien“. Das ist der richtige Weg aus der Geiselhaft, denn sonst ist der Patient „Autoindustrie“ schneller tot als der neue Leasingvertrag läuft.