Elektromobilität: Schnell laden mit gebrauchten E-Fahrzeug-Batterien
Die Hochschule Fulda und die OsthessenNetz GmbH haben einen intelligenten Second-Life-Batteriespeicher entwickelt, der ebenso umweltschonend wie netzdienlich ist. Mit ihm lässt sich das Angebot an Schnellladesäulen auch bei geringem Netzausbau und geringer Netzanschlussleistung realisieren – in ländlichen Gegenden zum Beispiel.
04.04.2023
Den Ausbau der Schnellladeinfrastruktur voranbringen und dabei Umwelt und Ressourcen schonen – wie das funktionieren kann, zeigt der Prototyp eines Second-Life-Batteriespeichers, der kürzlich im osthessischen Fulda ans Netz gegangen ist. Entwickelt haben ihn Wissenschaftler der Hochschule Fulda in Kooperation mit Ingenieur:innen ihres Praxispartners OsthessenNetz GmbH. Gefördert wurde das Projekt durch die HessenAgentur aus Mitteln des Förderprogramms Elektromobilität in Hessen.
Ein zweites Leben für ausgediente Batterien
Die Lösung verlängert den Lebenszyklus von Lithium-Ionen-Batterien aus der Elektromobilität und bindet diese in ein zweites Anwendungsszenario ein. Denn in der Regel haben die ausgedienten E-Fahrzeug-Batterien noch eine Restkapazität (State-of-Health) von etwa 85 Prozent oder mehr.
Die Batterien sind in einen Container verbaut und damit flexibel an verschiedenen Netzknotenpunkten einsetzbar. Als eine Art Puffer speichern sie Energie, wenn besonders viel davon im Stromnetz verfügbar ist und geben sie wieder ab, wenn erforderlich. So wird schnelles Laden von E-Fahrzeugen möglich, ohne dass das Energienetz am Anschlusspunkt überlastet wird
„Batteriespeicher sind gut geeignet, um die starken Auswirkungen auf die Netze abzumildern, die sich durch fluktuierende Einspeisung von Sonnen- und Windkraftanlagen auf der einen und durch kurzfristig hohen Leistungsbedarf, etwa durch Ladeparks auf der anderen Seite ergeben“, weiß Dipl.-Ing. Sven Kunkel, Projektverantwortlicher auf Seiten des lokalen Netzbetreibers Osthessennetz GmbH. „Teurere Maßnahmen zur Netzstabilisierung und Versorgungssicherheit lassen sich damit minimieren oder teilweise verhindern.“
Integration ins Netz durch intelligente Leistungsteuerung
Mit seinem Team hat Projektleiter Professor Dr.-Ing. Ulf Schwalbe von der Hochschule Fulda ein speziell auf das Second-Life-System ausgelegtes Energiemanagementsystem zur intelligenten und effizienten Betriebsführung des Batteriespeichers entwickelt. Steuerungs- und Regelungsalgorithmen sorgen dafür, dass der Speicher nachlädt oder wieder in das Netz entlädt, wenn es zur Stromnetzentlastung erforderlich ist. Das System lässt sich auch als Zwischenspeicher für eine Photovoltaikanlage konfigurieren. Weiterhin ist der flexible Einsatz als Unterbrechungsfreie Stromversorgung (USV) möglich. Der Speicher kann damit auch klassische Notstromaggregate teilweise ersetzen.
„Wir sind in den Anwendungsmöglichkeiten sehr flexibel. Das System passt sich durch seine intelligenten Algorithmen automatisch auf den Anwendungsfall an und verfügt über Selbstdiagnosealgorithmen zur Überwachung der Batterien. Es sind nur sehr wenige Parameter bei Inbetriebnahme einzustellen“, erläutert Schwalbe.
„Mit dieser Lösung können wir die Nutzung der regenerativen Energien weiter ausbauen“, ist der Wissenschaftler überzeugt. „Gleichzeitig leisten wir einen Beitrag, um die Abhängigkeit von Rohstoffimporten zu verringern.“ Mit zunehmender Elektromobilität könne die Lösung ihr Potenzial stärker ausspielen: „Jeder weitere Batteriespeicher, der mit regenerativer Energie gespeist wird, verbessert die Ökobilanz elektrischer Mobilität signifikant.“
Der Prototyp stellt zwei Ladepunkte mit Gleichstrom und zwei mit Wechselstrom für das Fahrzeugladen bereit und hat eine nutzbare Kapazität von 180 Kilowattstunden sowie eine Ladeleistung von bis zu 150 Kilowatt für moderne Elektrofahrzeuge. Zum Vergleich: Die Wallbox in der heimischen Garage hat eine Ladeleistung von elf Kilowatt. Der Container ist gegen Diebstahl und Vandalismus gesichert und bietet eine hohe Anschlagssicherheit aufgrund von intelligenter Selbstdiagnose und eines robusten Aufbaus.
Skalierbare Lösung für verschiedene Anwendungsszenarien
Das System verspricht eine Skalierbarkeit auf bis zu einer Megawattstunde Kapazität und bis zu 400 Kilowatt Ladeleistung pro Ladepunkt. Das Forschungsteam will nun die Erfahrungen mit dem Prototyp nutzen, um einen dezentral und universell einsetzbaren, ortsflexiblen, modularen Batteriespeicher mit einer Kapazität von etwa einer Megawattstunde zu entwickeln – ebenfalls aus gebrauchten Lithium-Ionen-Batterien aus der Elektromobilität. Damit ließe sich zum Beispiel auch der Einfluss von Ladeparks an Autobahnen auf das elektrische Netz reduzieren.
Darüber hinaus arbeitet das Fuldaer Forschungsteam daran, die verschiedenen Anwendungsszenarien wie Netzflexibilisierung, Spannungsglättung, Einspeise-Pufferung aus erneuerbaren Energieanlagen, Leistungsbereitstellung für Hochleistungsverbraucher oder Bereitstellung von Regelleistung bestmöglich miteinander zu kombinieren.
Eingesetzt werden kann die Lösung schon jetzt an Autobahnraststätten und Tankstellen ohne ausreichenden Netzanschluss. Aber sie ist auch für kleine, mittlere und große Firmen interessant, ebenso für Einkaufszentren, Vermarkter von Großveranstaltungen und Betreiber von Solar- und Windkraftanlagen – auch Kleinbetriebe –, die überschüssig Strom produzieren und diesen als Ladestrom nutzen wollen.