Nestlé Symposium: „Die aufkommende Nahrungs- und Ernährungskrise“

Aktuellen Zahlen der Welternährungsorganisation (FAO) zufolge leiden derzeit über eine Milliarde Menschen an chronischem Hunger, das ist jeder sechste Mensch auf der Erde. Die Weltwirtschaftskrise und der Klimawandel verschärfen das Problem noch weiter. Der schweizer Nahrungsmittelhersteller Nestlé hatte anlässlich des „International Congress of Nutrition“ in Bangkok zu einem Symposium geladen. Experten unterschiedlicher Disziplinen sprachen über die aktuelle Nahrungsmittelkrise, Reaktionen darauf und mögliche Antworten auf die Herausforderungen der Zukunft.

16.10.2009

Nestlé Symposium beim „International Congress of Nutrition“, Foto: Nestlé
Nestlé Symposium beim „International Congress of Nutrition“, Foto: Nestlé

Die globale Wirtschaftskrise hat zur Folge, dass in diesem Jahr „rund hundert Millionen Menschen zusätzlich in Armut und Hunger gestürzt" werden, verdeutlicht Jacques Diouf, Chef der FAO, das derzeitige Problem. Diese „stille Hungerkrise“ sei nicht nur eine Katastrophe für die betroffenen Menschen, sie stelle zunehmend eine Gefahr für Sicherheit und Frieden in der Welt dar, fügt er hinzu. Im Rahmen des „International Congress of Nutrition“ in Bangkok bat Nestlé nun drei Experten, die sich mit unterschiedlichen Bereichen der Thematik Ernährung befassen, zu einer Bestandsaufnahme der Situation. Das Ziel: Anregungen auszutauschen, wie die Gesellschaft innovative und zeitgerechte Lösungen finden kann, um den Einfluss der Wirtschaftskrise auf die Ernährungssicherheit in der Welt einzudämmen und den Hunger generell zu reduzieren. Geladen waren der Ernährungsexperte Dr. Patrick Webb von der Tufts University in Boston, die agrarpolitische Expertin Marie Ruel von dem International Food Policy Research Institute (IFPRI) und Dr. Niels Christiansen, Vizepräsident von Nestlé, als Vertreter der Nahrungsmittelindustrie.

„Der dramatische Anstieg der Lebensmittelpreise hat vielen Menschen die Nahrungsgrundlage entzogen“, stellt Patrick Webb in seinem Eröffnungsreferat fest. Im Jahr 2008 stiegen die Preise für Getreide teilweise um über 50 Prozent, so die Zahlen der FAO. Zwar seien die Lebensmittelpreise in den vergangenen Monaten weltweit wieder gefallen, auf den lokalen Märkten der Entwicklungsländer blieben sie aber verhältnismäßig hoch, erläutert Webb die immer noch angespannte Situation. Die Experten sind sich einig: dieser rasante Preisanstieg ist ein Kernproblem der aktuellen Ernährungskrise. Eine genaue Analyse und Gewichtung der Ursachen für diesen Anstieg fällt dagegen schwerer. Biokraftstoffe, die den Anbau von Nahrungsmitteln verdrängen, der gestiegene Nahrungsmittelimport von bevölkerungsreichen Ländern wie China und Indien, der verringerte Export einiger Nahrungsmittelproduzenten, die Folgen des Klimawandels, Spekulationsblasen an der Börse aber auch eine falsche Subventionspolitik werden als mögliche Faktoren genannt.

Einig ist man sich darüber, dass die Informationen und Daten über die Nahrungsmittelkrise von 2006 bis 2008 nicht ausreichen, um einen abschließenden Überblick über die Situation zu bekommen. Webb konstatiert: „Uns fehlt es sowohl auf globaler als auch auf lokaler Ebene an Informationen, welchen Zugang Menschen zu Nahrungsmitteln haben“. Und auch Marie Ruel, Direktorin des Bereichs Armut, Gesundheit und Ernährung am IFPRI, betont, dass eine interdisziplinär angelegte Datenerfassung wichtig sei um genauer herauszufinden, welchen Einfluss sowohl die Nahrungsmittelkrise als auch die Wirtschaftskrise auf die Situation der ärmsten der Armen hat. Nur so könne man künftige Krisen vorhersagen und Hilfe koordinieren. Denn darin sind sich Webb und Ruel einig: „Die nächste Krise wird kommen.“

Foto: Marion Book
Foto: Marion Book

Niels Christiansen geht in seiner Einschätzung über kommende Missstände noch weiter hinaus. Für ihn hat die nächste Nahrungskrise bereits begonnen. Schuld sei die zunehmende Problematik in der Wasserversorgung. „Wir verbrauchen zu viel, auch in der Nahrungsmittelproduktion“, unterstreicht Christiansen. Neben diesem Problem sieht Christiansen vor allem in den Agrarsubventionen der Industriestaaten, in mangelnden Investitionen in ländliche Entwicklung und in der rasant zunehmenden Herstellung von Getreide basierten Biokraftstoffen die Probleme der Zukunft. Solange es für Unternehmen wie Nestlé beispielsweise billiger sei Stärke in der Elfenbeinküste zu kaufen, die aus Kartoffeln in der EU hergestellt wurde, werde sich die Situation für die Bauern in den Entwicklungsländern nicht ändern, erläutert Christiansen die Folgen europäischer Subventionspolitik. „Unserer Meinung nach ist das eine falsche Politik, die geändert werden muss, will man der weltweiten Nahrungs- und Wasserkrise Rechnung tragen“, verdeutlicht er die Sichtweise des Unternehmens. Eine solch deutliche Positionierung wünscht sich der Nestlé Vizepräsident auch von anderen Unternehmen. „Wir fordern alle Unternehmen auf, sich ebenfalls zu engagieren.“ Einen Anfang sieht er in der wachsenden Teilnehmerzahl des Global Compact und in der Unterzeichnung des CEO Water Mandates. Jedes Unternehmen müsse darauf achten, in der eigenen Wertschöpfungskette weniger Wasser zu verbrauchen und damit den Druck auf den Nahrungsmittelmarkt zu reduzieren, so Christiansen.

Darüber hinaus müssten gerade Nahrungsmittelkonzerne im Hinblick auf die Ernährungskrise ihre Produkte überdenken. Christiansen betont, dass die neuen, der Weltwirtschaftskrise geschuldeten, ökonomischen Voraussetzungen die Ernährungssituation in doppelter Weise belasten. Auf der einen Seite trifft es die, die ohnehin nichts haben, am schlimmsten. Hunger und Mangelernährung sind die Folgen. Diejenigen, die weniger haben, greifen auf günstigere Nahrungsmittel mit höherem Kaloriengehalt zurück, wodurch eine stärkere Verbreitung von Adipositas (Fettleibigkeit) entstehen kann. Nestlé versuche, diesen Tendenzen zum einen mit einem Angebot nährstoffreicherer und günstigerer Produkte und zum anderen mit der Herstellung gesünderer Produkte zu begegnen. Christiansen weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass diese Problematik keiner Grenze zwischen Industrie- und Entwicklungsländern folgt: „Auch Menschen in Bangladesh leiden an Übergewicht“. Mit dieser doppelten Herausforderung beschäftige sich Nestlé in vielen Forschungseinrichtungen. Im Allgemeinen orientiere sich Nestlé in allen Bereichen an dem Unternehmensgrundsatz „Creating Shared Value“, denn bezogen auf die Ernährungskrise sei es wichtig „mehr als nur Vorschriften einzuhalten und nachhaltig zu wirtschaften, wir müssen auch einen Mehrwert für die Gesellschaft generieren.“

Auf der mit 3000 erwarteten Teilnehmern aktuell wichtigsten globalen Ernährungskonferenz „International Congress on Nutrition“ war Nestlé mit einem weiteren Symposium zum Thema „Verbesserung der öffentlichen Gesundheit durch nährstoffreiche Nahrung“ vertreten. Beide Symposien sind als Webcast zugänglich.

Quelle: UD
 

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