Flüchtlingsengagement neu ausgerichtet
Auch nach über einem Jahr Flüchtlingshilfe in Deutschland ist das Thema aktueller denn je. Die Herausforderungen für Unternehmen, die ich nachhaltig engagieren wollen, sind hoch. Spracherwerb und zielgerichtete Angebote sind die wichtigsten Erfolgsfaktoren für eine gute Integration.
07.02.2017
Im August 2015 hat der Vorstand der Deutschen Telekom unmittelbar auf die stark wachsende Anzahl Zuflucht suchender Menschen in Deutschland reagiert und die Task Force „DT hilft Flüchtlingen“ gebildet. Der Fokus der Task Force lag vor allem auf der Ersthilfe. Erste wirksame Maßnahmen waren die Versorgung vieler Erstaufnahmeeinrichtungen mit WLAN, die Bereitstellung von Immobilien, die Personalvermittlung von Beamten an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und ein Onlineportal. Neben Praktikums- und Ausbildungsplätzen wurden in der Folge auch spezielle Stipendien für die Telekom-eigene Hochschule für Telekommunikation in Leipzig an Flüchtlinge vergeben. Viele Mitarbeiter haben sich zudem ehrenamtlich engagiert und wurden dabei von der Deutschen Telekom finanziell, mit Freistellungen und mit Infrastruktur unterstützt.
Lag der Schwerpunkt im Jahr 2015 noch auf dem Ankommen und der ersten Orientierung, stand in 2016 die Klärung von Aufenthaltsstatus, Wohnort und Integration in Umfeld und Arbeitsmarkt in Deutschland im Mittelpunkt. „Blicken wir auf unser bisheriges Engagement zurück, so konnten wir in der Phase des Ankommens auf Basis unserer Kernkompetenzen viel Unterstützung bieten. Doch nun müssen wir uns neu ausrichten. Die nachhaltige Integration von Flüchtlingen in den deutschen Arbeitsmarkt stellt sich als eine viel größere Herausforderung dar, als ursprünglich angenommen“, so Barbara Costanzo, Leiterin der Einheit Group Social Engagement und Verantwortliche für die Task Force „DT hilft Flüchtlingen“ bei der Deutschen Telekom AG.
Um die Integration in den Arbeitsmarkt zu fördern gründete die Telekom 2016 gemeinsam mit Henkel, der Deutschen Post / DHL und der Bundesagentur für Arbeit die Initiative „Praktikum PLUS Direkteinstieg“.
Nach aktuellen Erkenntnissen verfügen ca. 86 Prozent der geflüchteten Menschen über keine formale berufliche Qualifikation oder zumindest über keine, die in Deutschland Anerkennung findet. Damit sind viel weniger Fachkräfte nach Deutschland gekommen als zunächst angenommen. Praktikum PLUS Direkteinstieg richtet sich an genau diese Zielgruppe. An Flüchtlinge mit Integrationshemmnissen wie nicht abgeschlossene Ausbildung im Herkunftsland, aber gutem Potenzial: Flüchtlinge mit Berufserfahrung, die einen direkten Einstieg in den deutschen Arbeitsmarkt anstreben. Bundesweit werden insgesamt zunächst 100 Stellen von den drei beteiligten Unternehmen angeboten. Ziel ist es, in einem Zeitraum von 2,5 Jahren die berufliche Perspektive zu verbessern und die Chancen für den deutschen Arbeitsmarkt zu erhöhen. Die ersten sechs Monate werden als Orientierungsphase in Form von Praktika umgesetzt, an die sich unmittelbar eine befristete Anstellung für zwei Jahre anschließt. Das Besondere dabei: Die Integration in das Arbeitsleben erfolgt bei gleichzeitiger Fortsetzung der Teilnahme an Integrations- und Sprachkursen und der Einstieg über die beiden Phasen bietet die Möglichkeit eines niederschwelligen Übergangs in die Arbeitswelt, da die Verantwortung im Job langsam ansteigt.
„Ohne den Erwerb der deutschen Sprache können wir in einem Unternehmen wie unserem, in dem das gesprochene und geschriebene Wort zu den wichtigsten Arbeitsinstrumenten gehört, keine Perspektive bieten“, so Barbara Costanzo.
Nicht nur der Spracherwerb, der deutlich länger dauert als zunächst angenommen, stellt sich als große Hürde heraus. Auch die verschiedenen Aufenthaltsstatus machen es Unternehmen nicht leicht, passende Angebote für Flüchtlinge zu schaffen. Die rechtliche Lage ist komplex, zusätzlich stellen sich ändernde rechtliche Rahmenbedingungen Unternehmen, die in gut abgestimmten Prozessen arbeiten müssen, immer wieder vor neue Herausforderungen. Sich darauf einzulassen erfordert ein Umdenken− Standardprozesse müssen oft auch für kleine Zielgruppen angepasst werden, selten sind hierfür notwendige Ressourcen vorgehalten. Auch haben die Menschen aus der Zielgruppe häufig andere Erfahrungen mit dem Einstieg in den Arbeitsmarkt. Eine irakische Praktikantin der Deutschen Telekom formuliert es so: „Wenn Du bei uns Koch sein willst, denn gehst Du in ein Restaurant und bist es! Ausbildung und die vielen Bezeichnungen für Berufe kennen wir nicht.“ Zudem haben viele junge Flüchtlinge sich nicht damit auseinander gesetzt, was sie einmal beruflich tun möchten. In Deutschland ist dies in jeden Lehrplan von weiterführenden Schulen inklusive berufliche Praktika und vieles mehr eingebunden. Auch im privaten Umfeld spielt die Frage: „Was möchtest Du einmal werden?“ von Kindesbeinen an eine wichtige Rolle. Das ist in den Herkunftsländern vieler Flüchtlinge nicht selbstverständlich.
Mit der Neuausrichtung des Flüchtlingsengagements will die Deutsche Telekom insbesondere auch eine Erhöhung der Bewerberzahlen erreichen. Nur mit einer ausreichenden Anzahl an Bewerbungen können die Kandidaten gefunden werden, die gut zur Stelle und ins Unternehmen passen.
Auf Basis der Erfahrungen und Erfolge der ersten Projektphase wird auch das Flüchtlingsportal neu ausgerichtet und mit neuen Partnern fortgeführt. Das Engagement der Mitarbeiter wird verstärkt für die Integration der neuen Kollegen eingesetzt, indem diese zum Beispiel Flüchtlinge beim Spracherwerb unterstützen.
Kooperationen mit Firmen, aber auch NGOs helfen dabei, Erfahrungen besser nutzbar zu machen und Angebote noch besser zu positionieren und auszubauen. So wird es bei der Telekom eine neue Kooperation mit help e.V. geben, die Menschen auch in den Herkunftssprachen unterstützt, sofern sie dies wünschen. Diese wird das langjährig erprobte Angebot zur Mitarbeiter- und Führungskräfteberatung auch in psychosozialen Fragestellungen über die B.A.D GmbH ergänzen.
Um ihr gesellschaftliches Engagement zielgerichtet weiterzuentwickeln, nutzt die Telekom den regelmäßigen Austausch mit anderen Unternehmen, NGOs, Behörden, Ehrenamtlern, Menschen aus der Zielgruppe sowie Experten. Gemeinsam werden Ideen diskutiert und Problemstellungen − wie die derzeit noch mangelnde Anzahl an Bewerbern − aus verschiedenen Perspektiven betrachtet, um neue Lösungsansätze zu entwickeln und zu erproben.
„Für das Jahr 2017 rechnen wir mit einer großen Anzahl von Menschen, die nach der Teilnahme an Sprach- und Integrationskursen bereit sind für den Einstieg in den Arbeitsmarkt. Darauf richten wir uns aus. Weil wir als eines der führenden DAX-Unternehmen Verantwortung übernehmen und weil wir wissen, dass die Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, die uns alle angeht“, so Barbara Costanzo.
Im Original ist der Text im Jahrbuch "Global Compact Deutschland 2016" erschienen.