Schweden nach der Wahl: Klimafragen gewinnen an Bedeutung
Bei der Parlamentswahl am 14. September haben die Schweden entschieden: Die konservative Regierungskoalition um Regierungschef Fredrik Reinfeldt muss nach acht Regierungsjahren abtreten. Mit 31 Prozent der Stimmen ging die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Schwedens (SAP) als Sieger aus der Wahl hervor. Zentrale Themen im Vorfeld der Wahl waren Bildung, Gesundheit und Arbeit. Aber auch Fragen der Umwelt- und Klimapolitik sowie der Gleichstellung standen bei den Wählern zur Abstimmung.
30.09.2014
Höhere Ausgaben für Schulen und Krankenhäuser sowie für den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit – das sind die Versprechen der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Schwedens, kurz: Sozialdemokraten (S), die seit 2012 von Stefan Löfven geführt wird. Großen Zuspruch erhielten auch die fremdenfeindlichen Rechtspopulisten, die mit 12,9 Prozent der Stimmen drittstärkste Partei im Reichstag geworden sind. Im Vergleich zu 2010 verdoppelten sie ihr Ergebnis. Allerdings schloss Löfven Gespräche mit den Rechtspopulisten aus. Mitte September trafen sich die Sozialdemokraten daher mit der Umweltpartei Die Grünen (MP) in Stockholm zu ersten Regierungsverhandlungen.
Zentrale Wahlkampfthemen waren die relativ hohe (Jugend-) Arbeitslosigkeit und die sinkende Qualität im Bildungs- und Gesundheitssystem. Zwar sind die Schweden laut einer Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) im Allgemeinen zufriedener mit ihrem Leben als der Durchschnitt der OECD-Bürger. Die Wirtschafts- und Finanzkrise hat jedoch auch Spuren in dem skandinavischen Land hinterlassen. Eine im Mai 2013 veröffentlichte OECD-Studie ergab, dass die Armutsquote in Schweden im Jahr 2010 in Folge der Krise auf neun Prozent im Vergleich zu 4 Prozent im Jahr 1995 stieg. Im September 2014 lag sie bei 7,4 Prozent. Auch die Jugendarbeitslosigkeit ist mit aktuell rund 23 Prozent vergleichsweise hoch. Im vergangen Jahr hatten die schwedischen Schüler beim PISA-Test in den Bereichen Lesekompetenz, Mathematik und Naturwissenschaften schlechter als zuvor abgeschnitten.
Historisches Ergebnis für die Umweltpartei
Große Priorität räumten die schwedischen Wähler auch Fragen der Umwelt- und Klimapolitik sowie der Gleichstellung ein. Dies spiegelt sich in dem historischen Erfolg der Umweltpartei wider, heißt es in einer Analyse der Friedrich Ebert Stiftung. Zwar erlangte die vor 33 Jahren gegründete Partei nur knapp 7 Prozent der Stimmen, dennoch könnte sie in diesem Jahr das erste Mal mitregieren. In ihrem Wahlprogramm heißt es, der Klimawandel sei eine der größten Herausforderungen der heutigen Zeit. Sie sprechen sich für hohe Investitionen in ein nachhaltiges Schweden und eine Verringerung der Emissionen aus. Uneinig sind sich die Grünen mit den Sozialdemokraten bei dem Thema Kernenergie insofern, dass sie die Abschaltung von mindestens zwei Reaktoren in den kommenden vier Jahren fordern. Die Sozialdemokraten wollen auch eine Umstellung der Energiepolitik durch einen Ausbau erneuerbarer Energie wie Wind- und Wasserkraft erreichen. Die Wasserkraft macht etwa die Hälfte der gesamten Stromproduktion aus. Aber auch die Windkraftproduktion ist im vergangen Jahr gestiegen und soll in den kommenden zwei Jahren bis zu 15 TWh steigen. Windkraft hat also ein großes Potenzial in Schweden, insbesondere im dünnbesiedelten Norden.
Kernenergie nach wie vor große Bedeutung
Heute jedoch ist Schweden noch eines der Länder, das am stärkstem von der Kernkraft abhängt. Im Jahr 2013 betrug der Anteil der Kernenergie an der gesamten Stromerzeugung fast 40 Prozent. Derzeit existieren zehn ans Netz angeschlossene Anlagen. Kernenergie wird daher noch lange einen Großteil der schwedischen Stromproduktion ausmachen. Ein Regierungsbeschluss aus dem Jahr 2010 legt fest, dass der Anteil an erneuerbaren Energien im Jahr 2020 mindestens 50 Prozent betragen muss. Im Transportsektor muss der Anteil bei mindestens 10 Prozent liegen. Im Jahr 2012 hatte Schweden innerhalb der EU mit knapp 45 Prozent den größten Anteil an erneuerbaren Energiequellen vorzuweisen. Gleichzeitig ist der Stromverbrauch der schwedischen Haushalte zwischen 1990 und 2009 um acht Prozent gestiegen – damit liegt Schweden jedoch deutlich unter dem EU-Durchschnitt.
Schwierige Wirtschaftslage
Nach den Wahlen sagte Stefan Löfven: „Wir befinden uns in einer ernsten Lage. Jetzt brauchen wir eine Veränderung.“ Die künftige Regierung sieht sich mit wirtschaftlichen Problemen konfrontiert. Im aktuellen Ranking des Weltwirtschaftsforums (WEF), das das Produktivitätsniveau von 144 Volkswirtschaften analysiert, ist Schweden im Vergleich zum letzten Jahr in puncto Wettbewerbsfähigkeit von Platz sechs auf Platz zehn zurückgefallen. Schwächen identifizierte das WEF insbesondere im Bildungssystem und auf dem Arbeitsmarkt.
Für Aufsehen sorgte im September die Nachricht von der Massenentlassung des schwedischen Autoherstellers Saab. Der schwer angeschlagene Konzern wird als Folge des andauernden Produktionsstopps noch vor Oktober 200 Stellen streichen. Dies teilte die chinesische Betreibergesellschaft National Electric Vehicle Sweden (Nevs) mit. Während Saab schon lange um sein Überleben kämpft, konnte ein anderes bedeutendes Unternehmen der schwedischen Wirtschaft im ersten Halbjahr 2014 wieder Gewinne verzeichnen: Der Autohersteller Volvo, der seit 2010 zum chinesischen Geely Konzern gehört, hatte im ersten Halbjahr 2013 noch rote Zahlen geschrieben.
Dass das Thema Umweltschutz bei den führenden Unternehmen der Automobilindustrie sowie Einzelhandelsunternehmen eine zunehmend wichtigere Rolle spielt, zeigt die Platzierung von Volvo im aktuellen „Sustainable Brand Index“, Skandinaviens größter repräsentativen Markenstudie zum Thema Nachhaltigkeit. Dort belegt der Autokonzern im Branchenranking den ersten Platz.
Im Einzelhandel wurden die Warenhauskette IKEA und die Supermarktketten COOP und ICA als führend gelistet. Die schwedische Möbelhauskette hat 305 Warenhäuser in 26 Ländern und plant weitere Expansionen, zum Beispiel in Indien. Zum vierten Mal in Folge ist IKEA Schweden in diesem Jahr unter die 10 nachhaltigsten schwedischen Firmen gewählt worden. Die Möbelkette konnte im Betriebsjahr 2014 mehr Besuche in den schwedischen IKEA-Warenhäusern verzeichnen als jemals zuvor. Im Vergleich zum Vorjahr stieg der Verkauf um sechs Prozent von 13,1 Milliarden auf 13,8 Milliarden Schwedische Kronen an.
In der Bekleidungsbranche landete die Modekette H & M Hennes & Mauritz AB nur auf Platz sechs. Zum dritten Mal in Folge wurde H & M auch im Dow Jones Sustainability Index (DJSI) gelistet. Der DJSI misst die Wertentwicklung der weltweit führenden Unternehmen in puncto unternehmerische Nachhaltigkeit. Dank Expansionen im Internethandel konnte H & M den Nettogewinn im dritten Quartal dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 20 Prozent auf ca. 5,3 Milliarden schwedische Kronen (577 Millionen Euro) steigern.
Neue Regierung Anfang Oktober
Bis Ende September werden die Sozialdemokraten, die am liebsten mit der Umweltpartei regieren möchten, die Gespräche mit möglichen Koalitionspartnern fortsetzen. Frühestens am zweiten Oktober kann der Reichstag dann über die Ministerposten abstimmen. Dann wird sich auch zeigen, welche Richtung die neue Regierung bei den Themen Bildung, Arbeit sowie Wirtschafts- und Umweltpolitik einschlagen wird. Einig sind sich die Sozialdemokraten und die Grünen darin, die Wirtschaft anzukurbeln und gegen die Arbeitslosigkeit anzukämpfen. Welche Einigungen in Bezug auf Kernenergie und Kernkraftwerke erzielt werden, bleibt abzuwarten.