„Nachhaltigkeit ist strategische Zukunftssicherung des Unternehmens“
Tchibo ist sowohl der führende Kaffeekonzern in Deutschland als auch einer der großen Händler mit Bekleidung und diversen anderen Artikeln – ein breites Feld für unternehmerische Verantwortung. Wir sprachen darüber mit Achim Lohrie, Tchibos Chief Sustainability Adviser.
15.01.2018
UmweltDialog: Hallo Herr Lohrie, Sie machen sich fast zwölf Jahre für die nachhaltige Geschäftsausrichtung von Tchibo stark. Grund genug für eine Zwischenbilanz. Ich erinnere mich: Wir haben uns 2008 das erste Mal getroffen. Damals haben Sie Ihre „WE“-Initiative vorgestellt, die sich gegen unzureichende Sozial- und Umweltstandards in der Textilbranche – auch bei Tchibo – wandte, und beklagten: „Es wird über Tchibo geredet, nicht mit Tchibo.“ Wie ist das heute?
Achim Lohrie: Anders als damals gelten wir heute bei vielen Stakeholdern als Best Practice und Trendsetter. Insbesondere, wenn es um innovative Entwicklungen zur Durchsetzung von Nachhaltigkeit geht. Das macht uns stolz und spornt zu weiteren Leistungen an. Eines der Erfolgsrezepte dafür im Non-Food-Bereich ist das Qualifizierungsprogramm WE: Alle wichtigen Lieferanten, die wir in unserem Portfolio haben oder für unser Portfolio sehen, bekommen über WE die Chance, sich beim Thema Nachhaltigkeit für Tchibo zu qualifizieren und sich zu profilieren. Dank des dialogischen Entwicklungsansatzes haben wir einen guten Einblick, welche Lieferanten sich dauerhaft eignen und welche weniger. Flankiert haben wir das Programm mit einer sozialverträglichen Konzentration auf heute etwa 700 Lieferanten. Das ist mit Blick auf die Größe unseres Non-Food-Geschäfts eine vergleichsweise überschaubare Anzahl. Zukünftig werden wir das WE-Programm noch deutlicher auf Dialog und Partizipation ausrichten und es für interessierte internationale Handelsunternehmen öffnen.
Ihre direkten Lieferanten (TIER-1-Stufe) sind aber nur ein Bruchteil der Wertschöpfungskette!
Lohrie: Genau, deshalb ist es so wichtig, eine überschaubare Produzentenbasis zu haben. Für Tausende von Produzenten wäre eine nachhaltige und effiziente Steuerung der globalen Lieferketten zumal über alle Stufen der Wertschöpfung nicht machbar. Wir beziehen sukzessive neben den Endkonfektionären auch deren Zulieferanten ein. Die Aufgabe ist groß: Je nach Komplexität des Produktes und Schwerpunkten in der Umstellung auf Nachhaltigkeit entspricht das noch mal mindestens einem Faktor von fünf bis sieben. 80 Prozent der entsprechenden „Nassprozesse“ sind uns mittlerweile bekannt, und Schritt für Schritt werden wir volle Transparenz herstellen. Insbesondere in den „Nassprozessen“ wie Färben, Gerben oder Waschen liegen die größten ökologischen Herausforderungen, wie z.B. bei der Verwendung von Chemikalien in der Produktion.
Bleiben wir bei der Textilbranche, die seit dem „Rana-Plaza-Unglück“ besonders unter Beobachtung steht: Kann man so etwas wie eine faire Textilbranche wirklich in der Breite möglich machen oder bleibt das immer Stückwerk und Verdienst der wenigen Markt-Player, die verantwortungsvoll handeln?
Lohrie: Das hängt natürlich davon ab, dass und wie andere nationale und internationale Unternehmen das Thema angehen. Wir bei Tchibo sehen Nachhaltigkeit als strategische Zukunftssicherung unseres Geschäftes. Uns geht es insbesondere um die dauerhafte Verfügbarkeit von Ressourcen, um den Erhalt der Biodiversität, um Klimaschutz und um die faire Behandlung aller Beschäftigten, die für und mit uns arbeiten. Davon hängt die Zukunftsfähigkeit unseres Geschäfts in ganz erheblichem Maß ab. Wir sind auch nicht das einzige Unternehmen, das das so sieht. Viele dieser überzeugten Unternehmen sind im Textilbündnis und anderen nationalen wie internationalen Initiativen organisiert. Ich bin mir sicher, dass sich diese Einstellung bei immer mehr Unternehmen durchsetzen wird.
Aber es gibt den Spagat zwischen Verantwortung mit mehr Umweltschutz und besserer Bezahlung auf der einen Seite und dem Preisdruck im Laden ...
Lohrie: Ja. Diesen Spagat kann man beklagen, aber man muss ihn aushalten. Wir dürfen die Verbraucher nicht allein lassen, wir müssen sie einbeziehen. Dafür muss die Kommunikation überzeugender und emotionaler werden. Auch wir sind darin alles andere als perfekt. Aber wir lernen und experimentieren immer wieder mit neuen Konzepten, um den Verbrauchern Nachhaltigkeit verständlich zu machen und sie für Nachhaltigkeit zu begeistern.
Viele Kritiker fordern vom Handel mehr Transparenz. Aber wie? Beim Textilbündnis beispielsweise setzt man auf verstärktes Reporting. Ist das der richtige Weg hin zu einem „Level Playing Field“?
Lohrie: Ja, verbindliche öffentliche Berichtspflichten innerhalb einer solchen Initiative und darüber hinaus sind ein Instrument, um dadurch mehr Druck auf den Kessel zu geben. Ob das auf Dauer angesichts der drängenden ökologischen und sozialen Probleme insbesondere in den globalen Zulieferketten ausreicht, möchte ich allerdings bezweifeln. Ein fairer Wettbewerb braucht klare Regeln: Ein bestenfalls europäischer ordnungsrechtlicher Rahmen für ein Level Playing Field im nachhaltigen Management globaler Lieferketten wäre meines Erachtens nicht verkehrt. Er würde unter Berücksichtigung der Unternehmensgröße und des Potenzials der unterschiedlichen Unternehmen verbindliche Sorgfaltsanforderungen einschließlich öffentlicher Berichtspflichten für alle Unternehmen festlegen, Wettbewerbsverzerrungen würden vermieden und der Wettbewerb um die besten ökologischen und sozialen Leistungen würde stimuliert.
Fairer Wettbewerb braucht klare Regeln
Vor allem beim Thema Menschenrechte gibt es doch derzeit auch viel Verrechtlichungsdynamik, wenn ich etwa auf die NAP-Umsetzung in der EU schaue, das Gesetz gegen Kinderarbeit in Holland oder das zu Zwangsarbeit in Großbritannien!
Lohrie: Richtig. Das ist sehr stark durch das Rana-Plaza-Unglück getrieben. Diese Tragödie hat alle entsetzt und Politiker dazu gebracht, darüber nachzudenken, ob freiwillige Maßnahmen auf Dauer ausreichen, um soziale Missstände und die Ausbeutung unserer natürlichen Überlebensgrundlagen insbesondere in den globalen Zulieferketten zu verhindern. Ich würde mir wünschen, dass es für grundlegende Veränderungen nicht immer erst Katastrophen und drastische Bilder braucht.
Aber oftmals ist es nicht nur eine Frage des Wollens: 2020 sollen alle Tchibo-Baumwoll-Kleidungsstücke aus nachhaltig angebauter Baumwolle bestehen. Aber hier gibt es speziell im Bio-Baumwollbereich verschiedene Probleme. So scheitert eine Ausdehnung von Bio-Anbauflächen bereits am Saatgut. Was tun?
Lohrie: Wir wollen bis 2020 ausschließlich nachhaltige Baumwolle in unseren Sortimenten haben. Derzeit ist der überwiegende Anteil Bio-Baumwolle. Wir sind bereits drittgrößter Anbieter von Bio-Baumwolle weltweit. Zusätzlich gibt es einen Anteil an „Cotton Made in Africa“ (CMiA). Die dahinter stehende Aid by Trade Foundation macht sich bekanntlich um die Förderung nachhaltiger afrikanischer Subsahara-Baumwolle verdient.
Angesichts der weltweit verstärkten Nachfrage nach nachhaltiger und insbesondere nach Bio-Baumwolle setzen wir bei Tchibo auf verlässliche Zulieferketten mit vertrauensvollen Partnern und auf internationale Allianzen, um den nachhaltigen Baumwollanbau zu fördern und Systemprobleme zu beseitigen. Das hat sich insbesondere der Organic Cotton Accelerator (OCA) zur Aufgabe gemacht, dessen Gründungsmitglied wir sind.
Wir haben über Textilien gesprochen, wie groß ist Ihr Engagement für Nachhaltigkeit bei Kaffee?
Lohrie: Mindestens ebenso groß, denn Kaffee ist und bleibt der Kern unseres Geschäfts. Bis 2025 wollen wir nur noch nachhaltig angebaute Kaffees in unseren Sortimenten haben. Auch auf diesem Weg sind wir bereits gut vorangekommen. Wir setzen auf die Partnerschaft mit den Standardorganisationen Rainforest Alliance/UTZ Certified, Fairtrade/Transfair sowie die Organisationen hinter dem Bio-Label der EU. Alle unsere Premiumsortimente sind bereits auf zertifiziert nachhaltige Kaffees umgestellt.
Die dafür notwendige Entwicklung insbesondere von Kleinfarmern im sogenannten Kaffeegürtel rund um den Äquator leisten wir im Partnerverbund mit Standardorganisationen, Rohkaffeehändlern und -Exporteuren unter anderem über unser Schulungsprogramm Tchibo Joint Forces und im Rahmen der Entwicklungspartnerschaften International Coffee Partners (ICP) sowie Coffee&Climate.
Für die sogenannten Mainstreamkaffees, also große Mengen Hunderttausender von insbesondere Kleinfarmern in Brasilien und Vietnam, arbeiten wir derzeit an einem – wie wir glauben – zukunftsweisenden Programm: Es soll die Komplexität reduzieren, Systemprobleme lösen helfen, die eigenen nationalen, regionalen und örtlichen Entwicklungsprogramme einbinden und sukzessive zur nachhaltigen Entwicklung ganzer Regionen in diesen Ländern führen. Insoweit haben wir uns auch vom Organic Cotton Accelerator inspirieren lassen und dessen Grundideen von der Baumwolle auf den Kaffee übertragen.
Reden wir über die andere Seite der Wertschöpfung: die Verbraucher. Tchibo ist eine der bekanntesten Marken in Deutschland, aber die Konkurrenz schläft nicht. Und so hat die neue Unternehmensleitung angekündigt, sich stärker im Premium-Segment zu positionieren. Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit dabei?
Lohrie: Unser Anspruch bei den sogenannten Non-Food-Sortimenten ist Fachhandelsqualität zu fairen Tchibo Preisen. Discount ist nicht unser Geschäft, schon gar nicht im Bereich Kaffee. Hier haben wir uns durch beste Qualität, bestes Aroma und besten Geschmack die Marktführerschaft erarbeitet. Um diese Ansprüche auch in Zukunft zu halten und weiter auszubauen, müssen wir uns im Wettbewerb noch deutlicher als bisher differenzieren. Nachhaltigkeit betrachten wir dabei als zur Unternehmens- und Produktdifferenzierung besonders geeignet, wenn wir in der Produktgenese Beispiel gebend sind und von den Verbrauchern auch so wahrgenommen werden.
Zum Abschluss eine persönliche Frage: Viele dieser Nachhaltigkeitserfolge verdankt Tchibo auch Ihrem persönlichen Engagement. Im laufenden Jahr ziehen Sie sich aus dem CSR-Tagesgeschäft bei Tchibo zurück. Was sind Ihre Pläne?
Lohrie: Ich bin jetzt zwölf Jahre für Tchibo tätig, insgesamt blicke ich auf 28 Jahre Einsatz für Nachhaltigkeit in verschiedenen Funktionen, Institutionen und Unternehmen zurück. Jetzt ist es Zeit für meine Nachfolge bei Tchibo. Ich persönlich finde es wichtig, die Nachfolge rechtzeitig zu regeln und möglichst mit einem Talent aus dem eigenen Haus zu besetzen. Meine Nachfolgerin bei Tchibo als Director Corporate Responsibility, Nanda Bergstein, war früher bereits in meinem Bereich tätig, dann hat sie mit sehr großem Erfolg Nachhaltigkeit in den Tchibo Non-Food-Bereichen umgesetzt.
Meine persönliche Bilanz: Ich habe gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen für Tchibo das erreicht, was ich mir vor zwölf Jahren als Optimum vorgenommen hatte. Wir sind bei Tchibo auf dem Weg, den jetzt andere mit eigener Dynamik fortsetzen und weiterentwickeln werden. Diesen Übergang werde ich 2018 noch beratend begleiten.
Mit dem Blick in die Zukunft: Wenn wir ehrlich sind, verharrt Nachhaltigkeit national wie international leider immer noch in der Nische. Ich werde meine Erfahrung und Kreativität noch mehr als bisher dafür einsetzen, Nachhaltigkeit aus der Nische in den Mainstream zu führen. Hierfür gibt es nicht nur bei Tchibo vielversprechende Projekte. Deren Kräfte zu bündeln und mit weiteren innovativen Ideen zu verbinden, ist eine anspruchsvolle Aufgabe, auf die ich mich sehr freue.
Vielen Dank für das Gespräch!