Scherpenzeel to Zero
Der Teppichfliesenhersteller Interface will bis 2020 alle negativen Auswirkungen auf die Umwelt vermeiden und sich zu einem vollständig nachhaltigen Unternehmen entwickeln. Am Produktionsstandort und europäischen Hauptsitz im niederländischen Scherpenzeel arbeitet man schon jetzt mit 100 Prozent erneuerbaren Energien. Welche weiteren Meilensteine Interface bisher erreicht hat und welche Rolle dabei die Ideen und Vorschläge der eigenen Mitarbeiter spielen, erläutert Sustainability Managerin Laura Cremer im Gespräch mit UmweltDialog.
20.05.2016
Frau Cremer, mit der von Interface-Gründer Ray Anderson formulierten „Mission Zero" verfolgt das Unternehmen das ehrgeizige Ziel, bis 2020 komplett umweltneutral zu wirtschaften. Können Sie uns diesen Ansatz kurz erläutern?
Laura Cremer: Ray Anderson erkannte Mitte der neunziger Jahre, dass die Arbeitsweise der Textilindustrie alles andere als nachhaltig war und wertvolle Rohstoffe ohne Rücksicht auf die Zukunft verbrauchte sowie Ressourcen am Ende ihrer Lebensdauer achtlos entsorgte, das sog. „Take-Make-Waste-Modell“. Er wollte auf lange Sicht kein Unternehmen leiten, dessen Wirtschaftsweise schwerwiegende ökologische und soziale Folgen mit sich bringt. Er formulierte gemeinsam mit einem Expertenteam die Mission Zero und einen 7-Punkte-Plan zur Nachhaltigkeit, mit dem das ehrgeizige Ziel erreicht werden sollte. Dieses Bekenntnis zur radikalen Nachhaltigkeit betrifft unsere Produkte, unsere Produktionsstätten, die vor- und nachgelagerte Wertschöpfungskette sowie unsere Kunden und Stakeholder, mit denen wir im Dialog stehen.
Unser Versprechen bezieht sich auf die Bereiche: Abfall vermeiden, Treibhausgasemissionen reduzieren, erneuerbare Energien einsetzen, den Produktkreislauf schließen, ressourceneffizient transportieren, Interessengemeinschaften sensibilisieren und das Wirtschaften verändern. Die ergriffenen Maßnahmen zielen darauf ab, Abfall langfristig komplett zu vermeiden, toxische Bestandteile aus den Produkten zu eliminieren, Fahrzeuge und Anlagen für erneuerbare Energien umzurüsten, Prozesse und Produkte umzugestalten, die Unternehmenskultur nach den Prinzipien der Nachhaltigkeit zu gestalten, Mitarbeiter zu sensibilisieren und ein neues Geschäftsmodell zu entwerfen. Auf der Zielgeraden zur Mission Zero darf ich stolz sagen, dass wir einen „Business Case für Nachhaltigkeit“ geschaffen haben. 1994 wurden wir für unsere Vision noch von der Industrie belächelt. Heute inspirieren wir andere, auch nachhaltig zu wirtschaften.
Mit rund 350 Mitarbeitern ist Scherpenzeel der größte Standort von Interface in Europa. Inwiefern ist die Produktionsstätte in Scherpenzeel ein gutes Beispiel für die Umsetzung der „Mission Zero"?
Cremer: Scherpenzeel ist exemplarisch für die Umsetzung des 7-Punkte-Plans. Der Fortschritt in der europäischen Produktionsstätte ist ein Ergebnis aus dem 2005 initiierten Ambassador-Programm. Im Rahmen dessen stellten sich unsere Ingenieure in Scherpenzeel der Herausforderung: „Warum bis zum Jahr 2020 warten, wenn sich eine Mission Zero-Produktionsstätte schon heute realisieren lässt?“ Derzeit gibt es in Europa circa 120 Nachhaltigkeitsbotschafter, die auf freiwilliger Basis aktiv die interne Nachhaltigkeitsagenda in ihren Abteilungen vorantreiben und die Einarbeitung für neue Mitarbeiter zum Thema Nachhaltigkeit durchführen.
Wo sehen Sie darüber hinaus die größten Potenziale zur Verringerung des ökologischen Fußabdrucks?
Cremer: Das größte Potenzial, den ökologischen Fußabdrucks zu verringern, liegt in den Rohstoffen, die für die Herstellung der Teppichfliese benötigt werden. Den größten Anteil hat dabei das Polyamidgarn, das mit rund 45 Prozent in die Ökobilanz einfließt. Mit der Erschließung recycelter sowie alternativer, nicht petrochemischer Rohstoffe und der Verfolgung eines geschlossenen Produktkreislaufs können wir die die Ökobilanz der Teppichfliese enorm verbessern. Weitere Potenziale liegen in den Herstellungsprozessen unserer Produkte sowie in einer Verlängerung ihrer Lebensdauer beispielsweise über Weiterverwendung.
Die Europäische Kommission hat Unternehmen das Ziel gesetzt, bis 2030 mindestens 40 Prozent weniger Treibhausgasemissionen als 1990 auf dem Gebiet der EU auszustoßen. Wo steht Interface im Vergleich dazu?
Cremer: Wir messen anhand festgelegter Schlüsselindikatoren seit 1996 unseren Einfluss auf die Umwelt. Dabei berücksichtigen wir den Einsatz erneuerbarer Energien, die Treibhausgasemissionen, das Aufkommen von Deponiemüll und weitere Faktoren. Mit Stand 2014 lassen sich für Interface Europa folgende Ergebnisse zusammenfassen: Seit dem Stichjahr konnte das Unternehmen seine Treibhausgasemissionen europaweit um insgesamt 98 Prozent, den Wasserverbrauch um 93 Prozent und den Deponiemüll um 100 Prozent reduzieren. Den Verbrauch erneuerbarer Energien hat Interface Europa seit 1996 um 95 Prozent gesteigert. 50 Prozent der verwendeten Rohstoffe für die Produktherstellung sind recycelt oder biobasiert.
Beim Thema Nachhaltigkeit geht es um mehr, als am Ende des Tages beim Verlassen des Büros das Licht oder den Bildschirm auszuknipsen.
Wie gelingt es Interface, den Nachhaltigkeitsgedanken im gesamten Unternehmen zu verankern? Welche Rolle spielt dabei das Engagement der einzelnen Mitarbeiter?
Cremer: Die Mitarbeiter in den verschiedenen Abteilung sind meiner Meinung nach die wichtigste Schnittstelle im Nachhaltigkeitsmanagement; die Nachhaltigkeitsabteilung stellt schwierige Fragen, stellt sicher, dass die Thematik stetig präsent ist und unterstützt bei der Implementierung. Die Personen, die wissen, wo Verbesserungspotenzial besteht, die Prozesse umdenken und das Know-how zur Umsetzung haben, sind im gesamten Unternehmen zu finden. Nachhaltigkeit wird vom ersten Arbeitstag an im Rahmen eines 3-stufigen Trainingsprogramms vermittelt, darüber hinaus wird kontinuierlich über die diversen Themen kommuniziert (Nachhaltigkeit ist an konkrete Ziele geknüpft), und wir verleihen der Thematik eine hohe strategische Relevanz. Wie im Marketing sprechen wir unsere Mitarbeiter zielgruppenspezifisch an und verleihen Nachhaltigkeit intern Status und Anerkennung. Hier geht es um mehr, als am Ende des Tages beim Verlassen des Büros das Licht oder den Bildschirm auszuknipsen.
Können Sie uns das anhand eines Beispiels verdeutlichen?
Cremer: Wir fördern und entwickeln Mitarbeiterengagement auf Basis von verschiedenen Engagement-Treibern. Ingenieure etwa werden durch Herausforderungen angespornt, das ist die Herangehensweise, die wir bei dem Projekt „Scherpenzeel to Zero“ verfolgt haben. Monetäre Incentives werden nur selten eingesetzt, denn wir sensibilisieren jeden einzelnen Mitarbeiter für die Nachhaltigkeitsziele des Unternehmens mit dem Ziel, dass jeder innerhalb des eigenen Tätigkeitsfeldes Verantwortung übernimmt und Prozesse positiv beeinflusst. Engagement wird aber auch kreiert, indem wir Mitarbeiter auf Konferenzen über ihre Projekte sprechen lassen oder unsere Nachhaltigkeitsbotschafter neue Mitarbeiter einarbeiten.
Herzlichen Dank für das Gespräch!