Publikationen

Unter 2 Grad: Schaffen wir das?

Die COP21 Vereinbarung von Paris gilt als Durchbruch beim internationalen Klimaschutz. Doch was ist das Abkommen wirklich wert? Welche Risiken birgt es? Was muss jetzt politisch folgen? Wir sprachen darüber mit Jörg Sommer, dem Mitherausgeber des spannenden Sammelbandes „Unter 2 Grad?“.

30.06.2016

UmweltDialog: Der Pariser Klimagipfel hat Geschichte geschrieben – auf dem Papier. Doch wie läuft die praktische Umsetzung aus Ihrer Sicht?

Jörg Sommer: Die Herausforderung ist in der Tat groß: Die Weltklimakonferenz hat sich auf das erste Klimaschutzabkommen geeinigt, das alle Länder in die Pflicht nimmt. Mit dem Abkommen bekennt sich die Weltgemeinschaft völkerrechtlich verbindlich zum Ziel, die Erderwärmung auf unter zwei Grad zu begrenzen und strebt das noch ehrgeizigere Ziel von unter 1,5 Grad an. Es stimmt: So konkret diese Ziele formuliert sind, so unverbindlich sind die Schritte auf dem Weg dorthin. Gesetzt wird auf die Freiwilligkeit der Nationalstaaten. Jedes Land soll dazu beitragen, was es kann. Eine Formel, die den Disparitäten zwischen „Nord und Süd“ Rechnung trägt und die das Abkommen letztlich erst möglich gemacht hat.

Seit 1972 mit „Die Grenzen des Wachstums“ der erste Bericht an den Club of Rome erschien, haben wir viel Wissen über diese Herausforderungen und mögliche Antworten angesammelt. Es ist das Handeln, das bislang diesem Wissen nicht oder zu langsam folgt. Entscheidendes Handeln braucht entschiedene Treiber. Und es braucht Koalitionen. Diese Koalitionen aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft können aber nur im Diskurs entstehen. Das ist ein ganz wesentlicher Grund für unser Buch. Denn die praktische Umsetzung beginnt erst jetzt. Und da sind alle Länder, auch Deutschland gefordert. Die aktuell weltweit formulierten Selbstverpflichtungen würden das 2 Grad Ziel bei weitem nicht erreichen sondern uns eher in eine 3 – 4 Grad Welt führen. Auch Deutschland müsste noch mächtig zulegen, um die eigenen Beiträge zu erfüllen.

Im Grunde steht uns eine vollständige Dekarbonisierung der Weltwirtschaft bevor. Eine unglaublich große Herausforderung, die wir zunächst einmal annehmen müssen. Die Klarheit hierüber wird der nächste große Schritt in der Klimapolitik sein.

In Ihrem Buch „Unter 2 Grad?“ fordern Sie, dass es eine neue Weltinnenpolitik geben müsse. Was meinen Sie damit?

Sommer: „Unter 2 Grad? Was der Weltklimavertrag wirklich bringt“ ist ein Sammelband mit Beiträgen von über dreißig Autorinnen und Autoren aus Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft. Die Beiträge beleuchten den Weltklimavertrag aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln. Das macht das Buch so spannend. Dabei gibt es durchaus Widersprüche. Und längst nicht jede Position ist auch meine Meinung als Herausgeber. Die Forderung nach einer neuen Weltinnenpolitik, die sie zitieren, stammt zum Beispiel von unserem deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier.

Anzeige

Er spricht damit eine wichtige Tatsache an: Die Auswirkungen des zunehmenden Treibhauseffektes werden in den nächsten Jahrzehnten in erster Linie arme Länder treffen, aber letztlich werden alle Menschen auf der Erde die Folgen zu spüren bekommen – ob in China oder im Inselstaat Tuvalu, in Bangladesch oder Saudi-Arabien, in den Küstenstädten Kaliforniens oder den Lebensräumen der indigenen Völker Lateinamerikas. Der Klimaschutz braucht nicht nur nationale und europäische Maßnahmenprogramme, sondern auch globale Antworten. Damit ist die Außenpolitik gefordert. Sie ist, wie Willy Brandt vorausgesagt hat, der Wegbereiter für eine Weltinnenpolitik. Nur so werden ambitionierte Klimaschutzziele möglich und auch umgesetzt. Ich finde es besonders bemerkenswert, dass dieser Gedanke der WeltINNENpolitik ausgerechnet von unserem amtierenden AUSSENminister angesprochen wird. Aber wer Frank-Walter Steinmeier kennt, der weiß: Das ist ein kluger Mann, der über die Tagespolitik hinausdenkt. Übrigens keine schlechte Wahl für ein Bundespräsidentenamt, wenn mir die Bemerkung erlaubt ist.

Eine besondere Rolle beim Klimawandel schreiben Sie andererseits den Städten zu. Ist das nicht ein Bruch zwischen weltpolitischen Forderungen auf der einen Seite und den ganz praktischen, aber auch limitierten Möglichkeiten eines Bürgermeisters auf kommunaler Ebene?

Sommer: Dieser Widerspruch zwischen globalen Herausforderungen und lokalem Handeln ist ein dialektischer. Ihn aufzulösen ist die zentrale Herausforderung des „glokalen“ Handlungskonzeptes. Es stimmt: Klimaverträge sind globale Vereinbarungen. Papier ist geduldig. Aber das CO2 wird nun mal ganz konkret vor Ort freigesetzt. Insbesondere die Städte, zunehmend die Megacities der Zukunft sind es, die hier die Rahmen setzen. Eine gute Verkehrspolitik, solide, nachhaltige ökonomische Strategien, als das sind lokal gestaltbare Paradigmen. Der neue Weltklimavertrag setzt stark auf diese glokalen Strategien, ohne den Kommunen die alleinige Verantwortung zuzuschieben. Das ist gut und auch das Ergebnis einer zunehmend funktionierenden internationalen Vernetzung kommunaler Akteure. Ich habe in Paris beobachtet, dass gerade diese Strukturen zu den entschiedenen Treibern des Prozesses gehörten. Sie nehmen die Herausforderungen an. Und das stimmt mich optimistisch.

Bleiben wir noch einen Moment bei der Politik: Derzeit sehen wir in vielen Ländern eine Rückkehr zu Nationalismus und Entsolidarisierung. Wie passt das mit einer empathischen Klimapolitik zusammen?

Sommer: Die Herausforderung, nationalstaatliche und andere Partikularinteressen zu einem gemeinsamen globalen Handeln zusammenzuführen, prägt die Weltklimapolitik seit ihren Anfängen. Das ist mal mehr, oft weniger gut gelungen. Paris ist hier definitiv ein Fortschritt. Wir sollten uns von den aktuellen innereuropäischen Konflikten nicht täuschen lassen, das wäre kurzsichtig. Heute ist die Zahl der Staaten mit demokratischer Verfassung höher als je zuvor in der Geschichte der Menschheit, daran ändern auch die ein oder anderen nationalistischen oder rechtspopulistischen Auswüchse nichts.

UD: Ein zentraler Punkt in der Umsetzung, den auch die G7 Gruppe in Elmau beschlossen hat, ist die Dekarbonisierung. Da bleibt es aber auch oft bei Bekenntnissen. Tatsächlich werden weltweit weitere Milliarden in die Kohleverstromung investiert. Wie schätzen Sie die Energiewende international ein?

Sommer: Wir stehen international erst am Anfang der Energiewende – und auch in Deutschland haben die Umbrüche erst begonnen. Das verdrängen viele Verantwortliche in Politik und Wirtschaft. Gerade bei uns glauben noch zahlreiche Manager, dass der Klimawandel ausgerechnet ihre Branche nicht grundlegend umkrempeln würde. Das ist naiv, egoistisch und auch nicht wirklich klug. Die Gesellschaft, aber auch die Ökonomie der Zukunft wird sich völlig von den heutigen Standards unterscheiden. Das wird auch unsere private Lebenswelt beeinflussen. Die Zukunft liegt zum Beispiel eben NICHT in einem straßengebundenen Individualverkehr, in dem wir alle mit elektrischen 2 Tonnen SUVs unterwegs sind. Es wird diese Form der Mobilität schon in zwei Generationen nicht mehr in dieser Dimension geben. Und das ist nur ein Teilbereich. Die Herausforderung wird sein, diesen historischen Wandel demokratisch, rechtsstaatlich, solidarisch und fair gemeinsam zu gestalten, statt sich aus der Hintertür zu schleichen. Hier appelliere ich gerade an die Wirtschaft, diese Herausforderungen anzunehmen, darin liegen auch große Chancen.

Der Vorwurf an erneuerbare Energieträger lautet, dass der Strom zu teuer sei und gerade ärmere Schichten und Länder ausgeschlossen werden. Stimmt das noch oder gibt es mittlerweile neue technische Entwicklungen?

Sommer: Mit Verlaub, das ist Humbug. Die gewerblichen Energiekosten in Deutschland sind viel zu billig, preisen die Umweltbelastungen gerade der NICHT nachhaltigen Energieträger nicht ein, wie wir es gerade bei der Atomenergie merken, bei der die Entsorgungskosten in Milliardenhöhe am Ende am größtenteils am Steuerzahler – auch am Gewerbesteuerzahler – hängen bleiben. In der dritten Welt erleben wir aktuell, dass es durchaus Entwicklungspotenziale gibt, bei denen die Phase der CO2-basierten Energiegewinnung direkt übersprungen wird. Die Technik ist da. Und eine Hütte in Zentralafrika können Sie mit einer Solarzelle in der Größenordnung von wenigen Euro beleuchten. Dort ist erst durch die Erneuerbaren überhaupt eine lokale Stromversorgung möglich geworden.

Deutschland sehe ich hier wie andere Industrienationen auch in einer doppelten historischen Verantwortung. Unser Fortschritt war nur möglich, weil wir weit mehr Ressourcen verbraucht haben, als uns eigentlich aufgrund unseres Bevölkerungsanteils zusteht. Unser Fortschritt war zu einem gewissen Grade parasitär. Wir sind heute in der Verpflichtung, die Technologien der Zukunft zu entwickeln und zu demonstrieren, dass eine moderne Gesellschaft dekarbonisiert funktionieren kann und zugleich den weniger entwickelten Ländern dabei zu helfen, unsere Fehler nicht zu kopieren. Das ist eine große Herausforderung, aber wir können das schaffen.

Im Buch heißt es im Kapitel über die Zivilgesellschaft „Plant ihr mal, wir fangen dann schon mal an“. Sind solche Alleingänge eine realistische Antwort auf die politische Trägheit? Heißt es jetzt anfangen und der Rest kommt schon irgendwann nach?

Sommer: Politische Trägheit überwindet man nicht mit Appellen, sondern mit einer Doppelstrategie: In dem man zeigt, was möglich ist und in dem man den Druck erzeugt, diesen Weg zu gehen. Bei dem, was ich gerade aus der deutschen Wirtschaft höre, stelle ich fest: Da scheint es in weiten Kreisen bislang weder die Phantasie noch den Willen zu geben, sich auf die nötige sozial-ökologische Transformation einzulassen. Sie wird überwiegend noch als Bedrohung und nicht als Chance empfunden. Das ist schade. Denn historisch waren immer die Unternehmen und Unternehmer am erfolgreichsten, die früh gesellschaftlichen Wandel antizipiert haben. Edison hatte die Vision einer umfassenden Stromversorgung, als es faktisch noch gar keine elektrischen Geräte gab. Die Brüder Janetto und Francesco dei Tasso gründeten 1490 das europäische Postwesen, als Amazon noch lange nicht erfunden war. Steve Jobs brachte den iPod auf den Markt, als digitale Musik noch als Nischenmarkt galt.

Die Transformation kommt. Und wer sich zu lange dagegen sträubt, der wird sie ökonomisch nicht überleben. Wer sie aktiv mitgestaltet, der wird auch erfolgreich sein. 

Vielen Dank für das Gespräch!

Buchangaben

Sommer, Jörg / Müller, Michael
Unter 2 Grad? Was der Weltklimavertrag wirklich bringt
S. Hirzel Verlag 2016: 320 S.
ISBN 978-3-7776-2570-6
EUR 19,80

Hier gelangen Sie zum Bestellservice.

Quelle: UmweltDialog
 

Related Posts

Newsletter

Unsere Verantwortung/Mitgliedschaften

Logo
Serverlabel
The Global Compact
Englisch
Gold Community
Deutsches Netzwerk Wirtschaftsethik
Caring for Climate

© macondo publishing GmbH
  Alle Rechte vorbehalten.

 
Lasche