Fachkräftemangel führt zu Milliarden-Einbußen
Die Geschäfte laufen gut im deutschen Mittelstand, die Umsätze sollen weiter steigen. Doch vor allem der Fachkräftemangel trübt die Stimmung und wird von den Mittelständlern als das größte Risiko für die Unternehmensentwicklung gesehen. Mehr als die Hälfte sieht Chancen, dass Flüchtlinge den Fachkräftemangel in Deutschland mildern können.
08.02.2016
Mehr als jeder zweite Mittelständler (56 Prozent) ist derzeit uneingeschränkt zufrieden mit der Geschäftslage – das ist der höchste Wert seit dem Jahr 2004, als die Studie erstmals durchgeführt wurde – nur im Juli 2014 waren genauso viele Unternehmer zufrieden. Auch der Ausblick ist optimistisch: 36 Prozent erwarten, dass sich die Geschäftslage in den kommenden sechs Monaten verbessert.
Die gute Geschäftslage spiegelt sich auch im Geschäftsklima wider: Der Index steigt mit 46,1 Punkten auf den zweithöchsten Wert seit Januar 2012. Nur zum Jahresanfang 2014 war er mit 49,9 Punkten höher.
Trotz insgesamt guter Stimmung: Die Gefahr durch den Fachkräftemangel ist bereits sehr real: Jeder zweite (49 Prozent) Mittelständler beklagt Umsatzeinbußen, weil ihm geeignete Fachkräfte fehlen. Insgesamt dürfte sich der Schaden, der durch entgangene Umsätze entsteht, auf jährlich knapp 46 Milliarden Euro belaufen.
Die Mehrheit der Mittelständler setzt bei der Suche nach Fachkräften unter anderem auf den Flüchtlings-Zustrom: 55 Prozent rechnen damit, dass die nach Deutschland kommenden Flüchtlingen dazu beitragen werden, den Fachkräftemangel zu mildern. Eine überwältigende Mehrheit von 85 Prozent würde Flüchtlingen im eigenen Betrieb einen Job geben: 49 Prozent sind sogar ohne Vorbehalt dazu bereit.
Das sind Ergebnisse des Mittelstandsbarometers der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY (Ernst & Young), für das 3.000 mittelständische Unternehmen in Deutschland befragt wurden.
„Der deutsche Mittelstand hat seinen Pessimismus von vor einem Jahr abgelegt“, kommentiert Peter Englisch, Partner bei EY. „Trotz der unsicheren politischen Großwetterlage: Der niedrige Ölpreis und die Konsumlaune der Verbraucher in der sich erholenden Eurozone beflügeln die Geschäfte im deutschen Mittelstand. Und die mittelständischen Unternehmen in Deutschland wollen zusätzliche Stellen schaffen. Allerdings ist das leichter gesagt als getan: Die nötigen Fachkräfte für viele Jobs fehlen. Jedes zweite Unternehmen erleidet deshalb bereits Umsatzeinbußen. Eine Lösung, um das Problem abzumildern, kann eine gelungene Integration von Flüchtlingen in die deutsche Wirtschaft sein.“
Gesamtinvestitionen sollen erneut steigen
Die gute Stimmung lässt sich auch an den geplanten Investitionen ablesen, die insgesamt erneut steigen sollen. Jedes vierte Unternehmen will in den kommenden sechs Monaten die Gesamtinvestitionen erhöhen, gerade einmal jeder neunte Betrieb will sie reduzieren – das entspricht etwa den Werten des Vorjahres.
Allerdings ist im deutschen Mittelstand nicht alles eitel Sonnenschein – ein Stück Skepsis bleibt: Der Anteil der Konjunkturpessimisten ist zwar gegenüber Januar 2015 von 33 auf 25 Prozent gesunken, liegt aber weiterhin über dem Anteil der Konjunkturoptimisten, der von 19 auf 23 Prozent geklettert ist. „Die eigene Geschäftslage wird weitaus besser beurteilt als die konjunkturelle Situation in Deutschland, beobachtet Englisch.
Ein Drittel der Unternehmen will einstellen – 360.000 offene Stellen
Doch davon lassen sich die deutschen Mittelständler ihren geplanten Stellenaufbau nicht verderben: In den kommenden sechs Monaten will knapp ein Drittel (32 Prozent) der Unternehmen Personal aufbauen. Sinken soll die Mitarbeiterzahl nur bei elf Prozent. Allerdings berichten mehr als zwei von drei Unternehmen (69 Prozent) von Problemen bei der Mitarbeitersuche. Jedem fünften fällt es sogar sehr schwer, ausreichend qualifizierte Mitarbeiter zu finden. Die Folge: 62 Prozent der Unternehmen können offene Stellen nicht besetzen. Hochgerechnet sind im deutschen Mittelstand derzeit 360.000 Stellen nicht besetzt.
Besonders der Dienstleistungssektor leidet unter dem Fachkräftemangel. Bei den Dienstleistern ist der Anteil der Unternehmen mit 29 Prozent am höchsten, die mehr als zwei Prozent ihrer Stellen – bezogen auf den Mitarbeiterstamm – nicht besetzen können. Im Bau-/Energiesektor sind es 23 Prozent. Mehr als die Hälfte der Dienstleister (51 Prozent) beklagt deswegen Umsatzeinbußen – die anderen Branchen bleiben knapp unter der 50-Prozent-Marke.
„Der Fachkräftemangel bedroht den deutschen Mittelstand – gerade in ländlichen Regionen – schon länger“, sagt Englisch. „Das Problem wird aber gerade jetzt offensichtlich, wo stellenweise quasi Vollbeschäftigung herrscht. Zahlreiche Stellen bleiben unbesetzt, Firmen müssen sich deutlich anstrengen, um geeignete Bewerber zu finden.“
Fachkräftemangel größte Gefahr – Flüchtlingszustrom als Chance
Der Fachkräftemangel wird mittlerweile von den Mittelständlern als die größte Gefahr für die Entwicklung des Unternehmens betrachtet. Knapp die Hälfte (48 Prozent) sieht darin eine eher große oder sogar sehr große Gefahr. Eine mögliche schwache Konjunkturentwicklung im Inland sowie volatile Rohstoffpreise werden von 41 beziehungsweise 34 Prozent als größte Gefahr gesehen.
Deswegen ist der aktuelle Flüchtlingszustrom aus Sicht der Wirtschaft eine Chance: „Viele junge und lernwillige Leute kommen nach Deutschland und könnten den Arbeitsmarkt beleben. Es ist jetzt wichtig, die Menschen, die Anspruch auf Asyl haben, schnell in die Gesellschaft und in den deutschen Arbeitsmarkt zu integrieren“, betont Englisch. Dazu seien allerdings erhebliche Anstrengungen und Investitionen im Bereich der Bildung und Ausbildung nötig.
Als größte Hürde für eine erfolgreiche Integration von Flüchtlingen in den deutschen Arbeitsmarkt werden von vier von fünf Mittelständlern die mangelnden Deutschkenntnisse genannt. Etwa drei von fünf nennen die unklare Gesetzeslage während laufender Asylverfahren und jeder zweite verweist auf die fehlende Planungssicherheit, da beispielsweise die Gefahr der Abschiebung besteht. „Wenn wir wollen, dass die Unternehmen das Potenzial, das die Flüchtlinge mitbringen, tatsächlich im großen Stil nutzen, muss der Staat für Planungssicherheit sorgen – sonst wird nicht viel passieren“, fordert Englisch. Besonders stark profitieren können nach seiner Einschätzung ländliche Regionen, in denen die Unternehmen den Fachkräftemangel bereits heute sehr stark spüren.
„Die Bewältigung des Fachkräftemangels ist eine der zentralen Aufgaben der deutschen Wirtschaft – die Bewältigung des Flüchtlingszustroms eine der zentralen Aufgaben unserer ganzen Gesellschaft. Es bedarf jetzt großer gemeinsamer Anstrengungen, die Herausforderungen zu meistern“, betont Englisch. „Es ist zum Beispiel wichtig, dass Asylanträge schnell und verlässlich entschieden werden. Darüber hinaus müssen die Menschen, die zu uns kommen, so schnell wie möglich die deutsche Sprache lernen. Das ist die wichtigste Voraussetzung für eine gelungene Integration – in die Arbeitswelt im Speziellen und in die Gesellschaft allgemein“, sagt Englisch abschließend.