Volkswagen flankiert Aufarbeitung der Diesel-Affäre mit Nachhaltigkeitsmagazin
Schummel-Software, Milliarden-Klagen, Rückruf von Millionen Fahrzeugen: Mit dem Diesel-Skandal hat Volkswagen viel Glaubwürdigkeit verspielt, im Inland ebenso wie im Ausland. Die Aufarbeitung dauert an – und wird von den Wolfsburgern jetzt mit dem Magazin„Shift“ begleitet, das den Ende November veröffentlichten Nachhaltigkeitsbericht des Konzerns ergänzt.
02.03.2017
Im Zentrum der Ausgabe steht dabei die Frage, wie Volkswagen über Nachhaltigkeit sprechen könne, ohne Hohn oder Spott fürchten zu müssen. Laut Michael Scholing-Darby, Leiter der Politischen Kommunikation bei Volkswagen, bietet „Shift hier erste Antworten. Die versprochene schonungslose Aufklärung der Abgasaffäre kann das Magazin jedoch – auch angesichts des weiter schwebenden Verfahrens - nicht liefern.
Die Publikation führt vielmehr kritische und prominente Stimmen auf, die dem Konzern ihre Sicht auf den Diesel-Skandal kundtun und für einen Kurswechsel werben. Etwa in Person des einstigen Bundesumweltministers und ehemaligen Chefs des UN-Umweltprogramms, Prof. Dr. Klaus Töpfer, der in seinem Beitrag fordert, die Abgas-Affäre zum Hebel für Veränderungen bei Volkswagen zu nutzen: „Je größer die Krise, desto radikaler muss die Struktur infrage gestellt werden, die Nährboden der Krise war“.
Töpfer: Kritische Stimmen als wertvolle Partner sehen
Töpfer empfiehlt dem Konzern unter anderem, die eigene Einstellung zur Zivilgesellschaft gründlich zu überdenken. Schließlich seien es insbesondere Umweltorganisationen und -institutionen gewesen, die beharrlich auf die Dieselproblematik aufmerksam gemacht hätten. Doch statt diese Hinweise ernst zu nehmen, habe sich bei Volkswagen eine feindselige Abwehrhaltung herausgebildet. Andere Unternehmen seien da weiter. Sie „sehen in kritischen Stimmen längst wertvolle Partner für vorsorgende Vertrauensbildung und nutzen sie für langfristige, transparente, überprüfbare Nachhaltigkeitsstrategien“, so Töpfer.
Eine grundlegende Neuausrichtung der Unternehmenskultur bei Volkswagen empfiehlt auch William K. Reilly, der von 1989 bis 1993 die US-Umweltbehörde EPA geleitet hat. Gelinge könne das nur, wenn das Management diese Aufgabe selbst übernehme und nicht auf externe Berater baue, um den Kulturwandel einzuleiten. „Das“, so Reilly, „funktioniert nie“. Die Veränderungen müssten vielmehr in die täglichen Prozesse implementiert werden. Er als Außenstehender erwarte zudem, dass „einige der verantwortlichen Manager ihren Hut nehmen“.
„Krise vor allem Governance-Problem“
Das fordert auch Ingo Speich, Portfoliomanager bei der Investmentgesellschaft Union Investment, einer von etlichen VW-Stakeholdern, die in dem Magazin zu Wort kommen. In der Krise sieht er „vor allem ein Governance-Problem, für das die alte Garde verantwortlich“ sei. Volkswagen solle sie unabhängig von der Schuldfrage austauschen, um das Vertrauen der Anleger zurückzugewinnen. Letztlich sei der Skandal auch „eine große Chance, um revolutionär zu handeln und die eigenen Schwächen endlich anzupacken.“
So viel harsche Kritik an der eigenen Kultur und Führung hat einen gewissen Seltenheitswert in Unternehmenspublikationen. Volkswagen lässt sich indes nicht nur Asche aufs Haupt streuen. Der Konzern nutzt das Magazin auch um zu zeigen, wie er aus der Krise herauskommen will und was er dazu schon getan hat. So wurde beispielsweise ein mit international renommierten Fachleuten besetzter Nachhaltigkeitsbeirat ins Leben gerufen, der nach Konzernangaben mit weitgehenden Informations-, Konsultations- und Initiativrechten ausgestattet ist.
Vom Autobauer zum Anbieter nachhaltiger Mobilitätslösungen
Mehr Nachhaltigkeit verspricht sich Volkswagen aber vor allem vom im vergangenen Juni verabschiedeten Zukunftsprogramm „TOGETHER – Strategie 2025“. Es soll dem Konzern den Weg vom Autobauer zum Anbieter nachhaltiger Mobilitätslösungen ebnen. Konzernchef Matthias Müller beschreibt das Programm in dem Magazin als „Paradigmenwechsel“ und kündigt unter anderem an, bis 2025 mehr als 30 neue vollelektrische Modelle auf den Markt bringen zu wollen. Zwei bis drei Millionen soll Volkswagen davon pro Jahr verkaufen, rund ein Viertel des gesamten Absatzes.
Parallel zur Elektrifizierung der VW-Flotte will Müller ein neues Geschäftsfeld für Mobilitätsdienstleistungen aufbauen – mit Robotaxis, Carsharing oder Transport-on-Demand-Diensten. Vergangenen Sommer ist Volkswagen dazu schon mit 300 Millionen US-Dollar in den Mobilitätsdienstleister Gett eingestiegen, der ähnlich wie sein Gegenspieler Uber Fahrtdienstleistungen in Städten vermittelt. „Wir wollen ressourcenschonende Fortbewegung für Menschen und Güter überall auf der Welt ermöglichen“, schreibt Müller. Und dass die Automobilindustrie die Aufgabe habe, die CO2-Emissionen der Fahrzeugflotten bis 2050 kontinuierlich Richtung null zu senken.
Da hat Volkswagen indes noch ein gutes Stück Strecke vor sich. Die durchschnittlichen CO2Emissionen der europäischen Neuwagenflotte des Konzerns lagen 2015 bei 121 Gramm pro Kilometer. Der Anteil von Modellen mit alternativen Antrieben ist gemessen an allen weltweit produzierten VW-Fahrzeugen verschwindend gering. Rund 42.000 Fahrzeuge fertigt der Konzern nach eigenen Angaben weltweit pro Arbeitstag. Im gesamten Jahr 2015 rollten allerdings lediglich 143.246 Fahrzeuge mit Gas-, Hybrid- oder Elektroantrieb von den Bändern. Das entspricht einer Quote von rund 1,5 Prozent.
Über das Nachhaltigkeitsmagazin „Shift“
Mit dem Nachhaltigkeitsmagazin „Shift“ flankiert Volkswagen seinen Ende November 2016 veröffentlichten Nachhaltigkeitsbericht. Das Magazin zeichnet auf 58 Seiten die Erwartungen des politischen und gesellschaftlichen Umfelds an den Konzern nach und räumt der Aufarbeitung des Diesel-Skandals breiten Raum ein – mit kritischen Beiträgen, Essays, Reportagen, Kommentaren, Streitgesprächen, Pro-und-Contra-Beiträgen und Infografiken.
Aktualisierung:
Das Magazin Shift wurde Ende Juni 2017 beim größten europäischen Kommunikations-Wettbewerb, dem ‚Best of Content Marketing Award‘ (BCM Award), eine Auszeichnung in Silber zugesprochen. Bei den Econ Awards Unternehmenskommunikation steht das Magazin auf der diesjährigen Shortlist.