Werte und Kultur: fundamentale Treiber für Nachhaltigkeit und Unternehmenserfolg
Im ersten Teil unserer Serie zu Werten, Unternehmenskultur und Nachhaltigkeit haben wir das hochdynamische, komplexe Unternehmensumfeld von heute skizziert. Hinzu kommt, dass der Wirtschaft bei der Adressierung globaler ökologischer wie sozialer Herausforderungen eine wesentliche Rolle zukommt. Unternehmenslenker sind daher gut beraten, nachhaltig zu wirtschaften und das Engagement aller Kräfte in den Organisationen auf kontinuierliche Lern-, Veränderungs- und Wettbewerbsfähigkeit auszurichten.
22.03.2018
Studien belegen, dass dies in wertebasiert geführten Unternehmen mit einer „gesunden“ Organisationskultur besonders gut gelingt. Eine wesentliche Wirkung von gelungenen Kulturtransformationen liegt in der spürbaren Steigerung des Mitarbeiter-Engagements. Und das wiederum treibt nachweislich die operative und finanzielle Leistung.
Ein Beispiel: nachfolgende Abbildung zeigt die Wertentwicklung der „40 Best companies to work for“ aus Nordamerika im Vergleich zum S&P 500 Index. Die 40 Unternehmen pflegen eine einzigartige Wertekultur, z.B. Adobe, American Express, Google, Intel, Marriott, Microsoft, Novo Nordisk, Salesforce.
Wie schafft man ein Bewusstsein für die eigene Unternehmenskultur – und wie gestaltet man sie konkret?
Dazu vorab zwei Begriffsklärungen. Unter Organisationskultur verstehen wir die Art und Weise, wie im Unternehmen zusammengearbeitet, kommuniziert und entschieden wird. Oft heißt es treffend: ”Unsere Kultur? Das ist, wie die Dinge bei uns laufen.”
Die Kultur ist eng verwoben mit den gelebten Werten. Werte sind „Trigger“, also Motivationsfaktoren menschlichen Verhaltens. Sie kennzeichnen Bedürfnisse, die uns als Einzelnem oder als Gruppe wirklich wichtig sind. Werte können positiv wirken, z.B. Vertrauen, Kreativität oder Kundenorientierung; aber auch „potenziell limitierend“, z.B. Macht, Kontrolle, interner Wettbewerb.
Die Cultural Transformation Tools (CTT) zur Messung von Werten und Organisationskulturen basieren auf dem 7-Ebenen-Wertemodell des Barrett Values Centre, das wir bereits in unserem ersten Artikel skizziert hatten. Es beschreibt eine Hierarchie der Bedürfnisse und darauf aufbauender Werte für Personen und für Organisationen. Im Folgenden konzentrieren wir uns auf die organisationalen Werte.
Auf den ersten drei Ebenen stehen die Grundbedürfnisse der Organisation im Fokus: finanzielle Stabilität und Rentabilität, die Zufriedenheit der Mitarbeiter und Kunden, die optimale Leistungsfähigkeit der Systeme und Abläufe.
Auf der vierten Ebene liegt der Fokus auf der Anpassungsfähigkeit im Sinne kontinuierlicher Weiterentwicklung und Transformation. Die Werte auf dieser Ebene verkörpern auch eine Abkehr von hierarchie- und angstgesteuerter Führung hin zu offeneren Strukturen, die die Belegschaft in die Lage versetzen, ihre Arbeit eigenverantwortlich und selbstbestimmt zu erledigen (Verantwortungsprinzip).
Auf den drei oberen Ebenen stehen der Zusammenhalt der Organisation, nutzbringende Partnerschaften und Bündnisse sowie die Sicherung der tragenden ökologischen Systeme und des Wohls der menschlichen Gemeinschaft im Zentrum.
Unternehmen, deren Wertefokus sich ausschließlich auf die Bedürfnisse der ersten drei Ebenen (Grundbedürfnisse) ausrichtet, sind meist in ihrer Nische erfolgreich, erreichen aber keine Marktführerschaft. Die Beschäftigten haben wenig Mitspracherecht und kaum Spielräume. Selbstverantwortung und Engagement sind gering ausgeprägt, weil die Führungskräfte entsprechend autoritär auftreten und eher eine Kultur der Angst erschaffen. Kreativität und Innovationsvorschläge können kaum gedeihen.
Die erfolgreichsten Organisationen sind jene, die Werte auf allen sieben Ebenen leben (d.h. dahinterliegende Bedürfnisse erfüllen). Sie entwickeln eine so genannte „Full-spectrum“-Kultur, die sie in die Lage versetzt, Herausforderungen anzunehmen und auch in Zeiten des disruptiven Wandels erfolgreich zu navigieren.
Messung von persönlichen und organisationalen Werten
Das Messen und Visualisieren von Werten markiert den Anfang eines gelingenden Kulturwandels in Organisationen. Mit Hilfe der Cultural Transformation Tools (CTT) wählen die Führungskräfte und Mitarbeiter online aus einer Liste von ca. 100 Werten die für sie wichtigsten heraus, und zwar anhand von drei Fragestellungen:
- „Was sind Ihre 10 wichtigsten persönliche Werte/Verhaltensweisen? Die am treffendsten beschreiben, wer Sie sind“
- „Was sind die 10 Werte/Verhaltensweisen, die die gegenwärtige Organisation am besten beschreiben?“
- „Was sind die 10 Werte/Verhaltensweisen, die für Ihre Organisation entscheidend sind, um ihr höchstes Potential zu erreichen?
Die Liste der Werte und Verhaltensweisen kann je nach Branche und Kunde angepasst werden. Um später mit verschiedenen Hierarchieebenen, Funktions- und Geschäftsbereichen oder Standorten zu arbeiten, kann die Auswertung nach verschiedenen demografischen Angaben erfolgen. Die CTT sind in über 50 Sprachen verfügbar, d.h. auch Messungen in weltweit verzweigten Unternehmen lassen sich problemlos durchführen.
Neben den Werten wird auch das Maß der kulturellen Entropie im Unternehmen ermittelt.
Strukturierter Kulturprozess
Im Anschluss an die Wertemessung hat sich in der folgenden Abbildung beschriebene Ablauf bewährt. Der Messung folgt die Besprechung der Werte. Im Dialog gilt es, den Weg hin zu den gewünschten Werten herauszufinden. Etwa mit Fragen wie: „Wie sieht es aus, wenn dieser Wert bei uns vollständig gelebt wird? Was sind die Maßnahmen, um das zu erreichen?“ Für die Fokussierung hilft es, den Schwerpunkt auf einige Kernwerte zu setzen, diese konsequent zu verfolgen und auf Basis dessen einen Kulturplan zu entwickeln. Wurde allerdings in der Wertemessung eine höhere Entropie festgestellt, so ist diese als erstes zu reduzieren. Im Abstand von 1-2 Jahren sollte wieder gemessen werden, um den Fortschritt der Kulturentwicklung bewusst zu machen und weitere Anstöße zu erarbeiten.
Fallstudie
Nachfolgend ein Beispiel für den Einsatz des Werte-Assessments bei einem Automobilzulieferer, der die Kulturtransformation mit CTT in Angriff genommen hat. Das Unternehmen war schnell gewachsen und wollte in Zukunft noch Größeres bewegen. Dazu sollte ein Veränderungsprozess die Grundlage schaffen. Im Führungskreis mit elf Personen starteten wir zunächst mit einem Werte-Assessment, d. h. wir ermittelten, welche Werte für die Beteiligten und das Unternehmen – ganz allgemein gesprochen – überhaupt eine Rolle spielen.
Die Ergebnisse wurden grafisch aufbereitet, präsentiert und in einem Workshop besprochen. Damit hatten alle Beteiligten etwas Konkretes in der Hand, um über Werte zu sprechen und ein greifbares Bild der künftigen Kultur zu entwickeln. Das Gute daran: Das Assessment ist nicht normativ. Das Instrument bestimmt nicht, was „gute Werte“ sind, sondern durch die Interpretation und Diskussion der Ergebnisse legen die Beteiligten fest, was hinter den Begriffen steht und in welche Richtung sich die Kultur entwickeln soll.
Das folgende Schaubild zeigt die Ergebnisse der Messung für unser Beispielunternehmen:
Die Wertemessung förderte ein aussagekräftiges Bild der gegenwärtigen wie der gewünschten Kultur zutage.
Die erste Zahl hinter den Begriffen bezeichnet die absolute Anzahl ihrer Nennungen und die zweite die Verortung der Werte im 7-Ebenen-Wertemodell. Besonders interessant sind die Übereinstimmungen zwischen den persönlichen Werten der Führungskräfte (erste Spalte links) und der gegenwärtigen sowie der künftigen Kultur, aber auch die Übereinstimmungen zwischen der gegenwärtigen und künftigen Kultur. Letztere erkennt man an der farblichen Hervorhebung in der mittleren und rechten Spalte.
Auffallend war hier die hohe Übereinstimmung beim Wert „Zielorientierung“ (s. gelber Rahmen). Dieser wurde von fast allen sowohl in der gegenwärtigen als auch in der erwünschten Kultur gesehen. Darüber hinaus beschrieb der Führungskreis die gegenwärtige Kultur vor allem durch Performance- und Leistungswerte (Häufung von Punkten auf Ebene drei, die Ebene von Selbstwert/Leistung, s. roter Rahmen), während in der erwünschten Kultur der Schwerpunkt bei der gemeinsamen Vision, Begeisterung und Vertrauen lag (Häufung von Punkten auf Ebene 5, der Ebene des inneren Zusammenhalts, s. blauer Rahmen).
Wertemessung setzt zielführende Diskussionen in Gang
Allein diese Visualisierung der Werte setzte schon eine zielführende Diskussion in Gang. Beispielsweise ging es darum, ob Performance und Leistung künftig keine Rolle mehr spielen sollten (für die gewünschte Kultur wurde kein Wert mehr auf der 3. Ebene gewählt, s. grüner Rahmen)? Die Diskussion im Workshop ergab: Keinesfalls sollten diese Werte unter den Tisch fallen, sondern sie wurden in Zukunft durch geeignete Maßnahmen als gelöst angesehen. Damit bestand keine Notwendigkeit, sie weiterhin so stark in den Fokus zu nehmen. Das schaffte Raum für Werte, die vor allem auf den inneren Zusammenhalt abzielten.
Im Workshop wurde auch der Wert, „Kontrolle“ (der helle Punkt auf ersten Ebene der gegenwärtigen Kultur) diskutiert, denn als einziger unter den Top 10 ist dieser Wert potenziell limitierend. Das heißt, Verhaltensweisen, die aus diesem Wert resultieren, könnten je nach Kontext den Unternehmenserfolg behindern. Beispielsweise kann eine starke Kontrolle auf fehlendes Vertrauen oder Zweifel an der Performance der Mitarbeiter hindeuten oder Hindernisse durch zu viel Bürokratie und eingeschränkte Handlungsspielräume aufbauen.
Im Workshop herrschte Einigkeit, dass Kontrolle zwar für die Performance wichtig sei, aber das richtige Maß gefunden werden müsse. Deshalb sollten in der nächsten Zeit vor allem Handlungsspielräume vergrößert, Vertrauen gefördert und zugleich Alltagsbarrieren und Kontrollen sinnvoll reduziert werden. Der Führungskreis bekam die Aufgabe, dafür geeignete Maßnahmen zu erarbeiten.
Sichtbare Veränderungen nach eineinhalb Jahren
Das Werteprofil lieferte noch viele weitere Impulse, die gemeinsam besprochen wurden und zahlreiche Maßnahmen der Führungsteam- und Führungskräfteentwicklung initiierten. Zwei wichtige Ergebnisse dieser Arbeit waren: Erstens entstand eine tragfähige Basis für eine gemeinsame Vision, und zweitens wurde ein Lernprozess angestoßen, der das Führungsteam motivierte, sich kulturelle Kompetenz anzueignen und eine werteorientierte Führung zu entwickeln.
Nach knapp eineinhalb Jahren erfolgte eine erneute Wertemessung, die den Erfolg der Aktivitäten eindrucksvoll veranschaulichte. Das Führungsteam zeigte zu gemeinsamen Werten wie Zielorientierung, Fördern und entwickeln, Kontinuierliche Verbesserung und Kundenzufriedenheit eine hohe Übereinstimmung (s. orangefarbene Begriffe). Die kulturelle Entropie war auf respektable 9 Prozent gesunken.
Wie kann daraus eine Kultur der Nachhaltigkeit entstehen?
Das Beispiel zeigt, wie sich ein Unternehmen innerhalb weniger Monate weiterentwickelt hat: von einer Kultur, in der Grundbedürfnisse und Leistung im Vordergrund stehen, hin zu einer Kultur, in der daneben Vertrauen, innerer Zusammenhalt und Gemeinschaft in den Blick kommen, und hin zu einer Vision, in der diese Werte deutlich im Vordergrund stehen. Bildlich können wir erkennen, wie sich die TOP-10-Werte der gegenwärtigen und der gewünschten Kultur von den unteren Ebenen auf die oberen Ebenen verlagern, weg von den Basisbedürfnissen und hin zu Werten, die sich stärker auf das soziale Umfeld beziehen. Eine „gesunde“ Kultur formt sich aus.
Hier weist uns das CTT-Instrumentarium buchstäblich den Weg. Wenn wir eine Kultur gestalten wollen, in der Nachhaltigkeit und die Sorge für künftige Generationen mit im Fokus stehen, ist es wichtig, diese Entwicklung zu verstehen. Solange ein Unternehmen viele Themen hat, die die Grundbedürfnisse der Mitarbeiter und Führungskräfte tangieren, haben Gemeinschafts-Werte keine Chance. So wird das Unternehmen den Nachhaltigkeitsgedanken nicht von innen heraus entwickeln und verankern können.
Und wie sieht die Kultur erfolgreicher, nachhaltig wirtschaftender Unternehmen aus?
Nachhaltig wirtschaftende Unternehmen weisen Werte auf den meisten oder allen 7 Ebenen auf. Diese stehen sogar in positiver Wechselwirkung zueinander. Zugleich weisen diese Unternehmen eine geringe kulturelle Entropie auf, was in der Regel auf die systematische Arbeit zur Entwicklung einer herausragenden Führungskultur zurückzuführen ist.
Die Unternehmen sind wirtschaftlich gesund, veränderungs- und wettbewerbsfähig. Finanzielle Stabilität und exzellente Leistungen zählen genauso viel wie gute zwischenmenschliche Beziehungen, Lernen und Innovation. Sie schmieden strategische Partnerschaften, um den eigenen Erfolg zu stützen und einen Beitrag zum großen Ganzen zu leisten.
Richard Barrett hat den Zusammenhang von Werten, Bewusstseinsebenen und einer nachhaltigen Entwicklung untersucht und die 17 Sustainable Development Goals SDG in seinem Modell verortet.
Zur Priorisierung der SDG im Rahmen des strategischen Nachhaltigkeitsmanagements können wir die Ziele auch mit der gegenwärtigen und der gewünschten Wertekultur im Unternehmen vergleichen und die Zusammenhänge diskutieren. Denn: um Menschen zu bewegen, muss man verstehen, was Menschen bewegt. Das gilt auch für nachhaltigen Wandel in Unternehmen.
Resümee
- Was messbar ist, lässt sich auch managen.
- Werte sind messbar.
- Unternehmenskultur kann mittels Werten im Dialog gestaltet werden.
- Gelingende Kulturtransformation macht Unternehmen stark für die Zukunft.
Weitere Fallstudien bietet der Leitfaden “Kulturwandel in größeren Organisationen” von Thor Eneroth und Ashley Munday, der jetzt auch auf Deutsch verfügbar ist.
Die umfassende CTT-Toolbox des Barrett Values Centre hat sich in diesem Prozess hundertfach bewährt. Ihr Einsatz
- macht die aktuelle und gewünschte Kultur sichtbar und besprechbar
- erleichtert den Dialog auf einer fundierten Grundlage
- spart Zeit und Kosten für aufwändigere Analysen
- deckt Stärken und Schwächen auf
- weist auf Basis der Einschätzung vieler Köpfe die Richtung, in die eine Kultur entwickelt werden könnte oder sollte
- sichert so die Akzeptanz für den anschließenden Transformationsprozess
- macht alle Beteiligten sprachfähig zu dem, was ihnen wirklich wichtig ist
Gerade die hohe Praxistauglichkeit der Cultural Transformation Tools sowie die Einbindung und Akzeptanz aller Beteiligten sind im Veränderungsprozess spielentscheidend, denn
Organisationen verändern sich nicht – Menschen verändern sich
Mit diesem Schlusswort verweisen wir auf den dritten Teil unserer Artikelserie mit dem Titel „Wertebasierte Führung – fundamentaler Erfolgsfaktor”. Darin werden wir folgende Fragen beleuchten:
- Warum ist wertebasierte Führung gerade in Zeiten von Globalisierung, technologischen Umbrüchen und hohem Innovationsdruck so wichtig?
- Wie zeigt sich wertebasierte Führung im Unternehmensalltag?
- Wie können Führungskräfte durch wertebasierte Ansätze sich selbst und andere so führen, dass alle davon profitieren?