Fairness: Braucht doch keiner mehr!
Braucht Fairness wirklich niemand mehr, ist diese tatsächlich schon aus der Mode gekommen, unbequem oder lästig? Wenn ich mit Menschen über Fairness spreche, blicke ich oft in fragende Augen, oder bemerke teilnahmsloses Schulterzucken. Dies auch im Rahmen der kontroversen Diskussionen zum Umgehen mit „gestrandeten“ Menschen, die auf unseren Schutz und Hilfe angewiesen sind. Vielleicht kommen deswegen meine entsprechenden Gedanken und mein Aufruf für entsprechendes Verhalten zur richtigen Zeit, um eine noch tiefere Spaltung unserer Gesellschaft und gewalttätige Lösungen von Konflikten zu verhindern. Fairness ist nämlich kein Akt von übertriebener Höflichkeit, oder eine besondere, „ritterliche“ Tugend. FAIR gegenüber anderen zu sein hat nämlich viel mit den elementaren Werten unseres Zusammen- und Überlebens zu tun. Und damit, dass in eigenem, fairen Verhalten eine große Chance auf ein entsprechendes Echo des Gegenübers steckt.
19.07.2019
Aus diesen Gründen sollten wir den Begriff FAIR wie folgt „buchstabieren“ und verwenden:
F = Füreinander und Friedlich
Gerade in der heutigen Zeit, in der die Welt anscheinend immer kleiner wird und darin Menschen ihre Rolle und ihren Platz suchen, sind entsprechende Konflikte vorprogrammiert. Wir erleben ungezügelte Gier nach Besitz und Macht, aber auch die nackte Angst ums tägliche Überleben, welche ganze Völker aus schierer Verzweiflung in den Lebensraum anderer treibt. Und auf der anderen Seite Menschen, die sich in diesem „Raum“ komfortabel eingerichtet haben, immer weniger bereit sind zu teilen, und mit „Fremden“ schon gar nicht.
Am liebsten hätten manche Menschen in dieser Situation eine flexible Mauer um sich und um ihren Besitz. Die man je nach Belieben auf „Geschlossen“ oder „Offen“ stellen kann. Zum Beispiel auf „Geschlossen“, damit die die Not und das Elend der ganzen Welt nicht zu ihnen kommen und an ihre Türe klopfen kann. Aber die Schätze dieser Welt sehr wohl, auf denen auch unsere Lebensart und unser Wohlstand basieren. Egal, ob billiges Öl für billiges Benzin, billige Arbeitskräfte für billige Produkte, exotische Früchte und Speisen zu jeder Tageszeit sowieso. Und selbstverständlich „Offen“, wenn man selber in diese Regionen reisen und seine eigenen Produkte mit Profit vermarkten möchte. Egal, ob es sich dabei um Rüstungsgüter, Abfälle aus einer hoch subventionierten Fleischproduktion, oder um illegalen Elektroschrott und sonstigen Giftmüll handelt.
Und der dabei immer brüchiger werdende Frieden und der bröckelnde Zusammenhalt in unserer Gesellschaft werden durch die Möglichkeiten der globalen Kommunikation zusätzlich gefährdet. Im Sekundentakt werden wir von Neuigkeiten überrollt und sind mit deren Verarbeitung, Bewertung und Einordnung oft hoffnungslos überfordert. Auch deswegen, weil es durch die neuen Medien möglich ist, einfach, schnell und mit wenig Kosten gezielte Falschinformationen weltweit zu streuen. Auch von Organisationen und Parteien, die durch diese „Alternativen Fakten“ unsere Gesellschaft spalten und ihre Interessen durchsetzen wollen.
„Auge um Auge und die ganze Welt wird blind sein.“ Mahatma Gandhi
Entscheidend bei der Lösung dieser Herausforderungen kann nur der gleichzeitige Einsatz von Herz UND Vernunft sein und nicht das Schliessen der Augen vor den immer größer werdenden Herausforderungen und ein mitleidloses Beharren auf Besitz und Wohlstand. Natürlich haben wir alle ein Recht auf das, was wir uns oft auch hart und mit viel Verzicht erarbeitet haben. Aber wir sollten dabei nicht vergessen, dass andere nicht so viel Glück hatten, wie wir. Nämlich per Zufall in paradiesische Verhältnisse – (noch) keine Klimakatastrophen, kein Krieg, genügend und sauberes Trinkwasser, Essen in Hülle und Fülle,… – hineingeboren worden zu sein. Auf der nördlichen Seite des Mittelmeers und eben nicht auf der südlichen.
Dieses Glück, dieses Privileg hier leben zu dürfen, sollten wir nie vergessen. Es mit Gewalt verteidigen zu wollen und auf das Recht des Stärkeren zu setzen, wäre der falsche Weg. Hier kann es am Schluss nur Verlierer geben und zwar auf allen Seiten. Und wenn man auf Menschen mit „offenen Armen“ zugeht, wird man von diesen eben anders behandelt, als wenn man schon bei der ersten Begegnung die Fäuste ballt.
A = Achtung von Menschen und Ressourcen
„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Nicht umsonst ist dies der erste Satz im Artikel 1 unseres Grundgesetzes. Auch beeinflusst durch die schrecklichen Erfahrungen zweier Weltkriege und durch das daraus abgeleitete Lernen für unsere Zukunft und für unser Zusammenleben. Zu dieser Achtung gehören das Respektieren von anderen Kulturen, Religionen und der jeweiligen Herkunft, sowie das Akzeptieren von anderen Anschauungen. Und dass niemand wegen seines Aussehens, Geschlechts oder einer Behinderung diskriminiert werden darf, ist genauso selbstverständlich. Was aber bei dem Thema „Achtung von anderen Anschauungen“ oft vergessen wird – auch bezüglich der ebenfalls im Grundgesetz festgeschriebenen Meinungsfreiheit – ist der Hinweis auf die Grenzen der „Entfaltung der persönlichen Freiheit“. Diese darf eben nicht die Rechte und/oder die persönliche Ehre anderer verletzen und schon gar nicht zur Herabwürdigung, Beleidigung, oder sogar zu Hetze missbraucht werden.
Und zu Achtung und Fairness gehört auch der sorgsame Umgang mit der Umwelt und den vorhandenen Ressourcen. Deren egoistische und rücksichtslose Ausbeutung ist dabei ebenso zu ächten, wie das schamlose Ausnutzen der vom Staat und der Gesellschaft bereitgestellten Einrichtungen und Mittel. Oder wie schon Mahatma Gandhi anmahnte: „Die Welt hat zwar genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier“.
I = Im Rahmen von Gesetzen, Regeln und Vereinbarungen
Nicht Manipulieren, Täuschen, oder seinen eigenen Vorteil zu Lasten anderer suchen. Sondern sich an das jeweilige Regelwerk und an getroffene Vereinbarungen halten, auch wenn es einem manchmal schwer fällt. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, aber die Hemmschwelle zur Nichtbeachtung wird immer niedriger. Der Weg vom „Schwarzfahren“ zu gefälschten Doktor-Arbeiten oder manipulierten Abgaswerten immer kürzer.
Dies auch, weil es zu viele negative Beispiele gibt, wie man mit Bruch der Regeln und Gesetze erfolgreich sein kann, und auch der oft verwendete Ausdruck „Kavaliersdelikt“ gaukelt eine scheinbare Akzeptanz von Fehlverhalten vor. Dabei erzählt ja gerade das Sprichwort „Lügen haben kurze Beine“, von der geringen Überlebenschance des entsprechenden Betrugs und wer möchte denn schon gerne etwas mit dem jeweiligen Missetäter zu tun haben? Da hilft es dann auch nicht, wenn man zum Beispiel wie Diego Maradona bei seinem Regelverstoss auf „die Hand Gottes“ verweist, der Ruf bleibt irreparabel zerstört, das Vertrauen in den Menschen geht verloren und am Schluss steht man alleine auf dem jeweiligen „Spielfeld“ da.
R ücksichtnahme
Menschen sind nun mal nicht alle gleich, jeder hat andere Talente, Stärken und Schwächen. Und nicht alle kommen mit den gleichen Voraussetzungen (z.B. Elternhaus, Geburtsort) zur Welt. Damit ergeben sich automatisch auch unterschiedliche Möglichkeiten, Ziele, Wünsche und Erwartungen. Da wir aber aufeinander angewiesen sind – schon beginnend als Kind auf die Fürsorge von Mutter und Vater – ist für ein geregeltes Miteinander die gegenseitige Rücksichtnahme essentiell. Als abschreckendes Beispiel dazu kann auch der Fußball dienen, bei dem Fair Play ja seinen Ursprung hat und die Basis für die Faszination dieses Sports ist.
Was hier an den Wochenenden von der Kreis- bis zur Bundeliga manchmal zu beobachten ist, spottet jeder Beschreibung des erwähnten Begriffs. Ohne Rücksicht auf die Gesundheit (nicht nur des Gegners) werden hier „Ellenbogen ausgefahren“, die Knochen „poliert“ und wüste Beschimpfungen verteilt. Dass man damit aber genauso zurückbekommt, wie man „in den Wald hineinruft“ kapieren die wenigsten.
Gegenseitige Fairness bedingt ja gerade den Verzicht auf den eigenen Vorteil, wenn dieser nur mit körperlichen oder seelischen Verletzungen erreicht werden kann. Und echte Rücksichtnahme heisst eben auch, die besondere Situation von Schwachen oder Benachteiligten zu berücksichtigen, diesen zu helfen und sie nicht alleine ihrem Schicksal zu überlassen.
Möglicherweise sind meine Beschreibungen und Erwartungen bezüglich Fairness und der entsprechenden Verhaltensweisen zu idealistisch und vielleicht bin ich ja der letzte Überlebende einer aussterbenden Spezies. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass faires Miteinander (und nicht aggressives Gegeneinander) der „Kitt unserer Gesellschaft“ und die Basis für vernünftiges Zusammenleben ist, wenn nicht sogar für unser gesamtes Überleben.
Oder, um wieder Mahatma Gandhi zu zitieren: „Auge um Auge und die ganze Welt wird blind sein!“