Lebensmittel-Kauf im Netz vor Durchbruch
Der Online-Lebensmittelhandel steckt in Deutschland noch in den Kinderschuhen – wird aber in den kommenden Jahren einen rasanten Boom erleben. Im vergangenen Jahr gaben die Deutschen 175 Milliarden Euro für Lebensmittel aus – gerade einmal 0,5 Milliarden Euro davon entfielen auf den Vertriebsweg Internet. Zukünftig werden die deutschen Konsumenten aber deutlich mehr Lebensmittel über das Internet bestellen: Bis 2020 soll der jährliche Online-Umsatz laut EY-Prognose auf 20 Milliarden Euro steigen. Der Marktanteil steigt damit von aktuell 0,3 Prozent auf dann 10 Prozent.
24.02.2014
Zudem wird der Handel im Jahr 2020 rund 20 Prozent seines Umsatzes mit den sogenannten „Cross-Channel-Kunden“ machen, also mit Kunden, die sich beispielsweise im Internet informieren und dann in der Filiale einkaufen gehen. Derzeit tun dies 6 Prozent der Konsumenten.
Hauptgründe für den bevorstehenden Boom: bessere Angebote, sinkende Preise und die demografische Entwicklung – gerade für ältere Menschen sind Online-Bestellung und Lieferservice attraktiv. Daneben werden Familien mit doppelerwerbstätigen Eltern die Entwicklung beflügeln. Bislang noch bestehende logistische Probleme werden bis dahin gelöst sein. Zudem steigt die Bereitschaft der Konsumenten, Lebensmittel per Mausklick zu ordern: Immerhin 36 Prozent der Verbraucher wollen in spätestens fünf Jahren Lebensmittel über das Internet bestellen. Bei den Familien liegt der Anteil sogar bei 64 Prozent.
Das sind Ergebnisse einer aktuelle Studie der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Ernst & Young (EY) mit dem Titel „Cross Channel – Revolution im Lebensmittelhandel“. Dazu hat EY mehr als 1.000 Konsumenten in Deutschland befragt und mit zehn führenden Lebensmittelhändlern persönliche Gespräche geführt.
Käse, Wurst und Tiefkühlpizzen kaufen die Deutschen derzeit fast ausschließlich im stationären Handel – also auf dem Wochenmarkt, im Supermarkt oder beim Discounter. Der Kauf per Mausklick spielt in diesem Segment derzeit noch fast keine Rolle. Das liegt aus Sicht der Verbraucher zum einen am fehlenden Angebot – 81 Prozent der Befragten kaufen aus diesem Grund Lebensmittel nicht im Netz –, zum anderen an hohen Kosten (77 Prozent) und der komplizierten Lieferung (73 Prozent). Zudem spielt die fehlende Möglichkeit, die Ware zu sehen, riechen und fühlen, eine große Rolle (83 Prozent).
Lebensmittelhändler müssen Online und Filiale verzahnen
Aktuell arbeitet der Lebensmittelhandel mit Hochdruck an attraktiven Online-Angeboten, dem Aufbau entsprechender Logistik-Lösungen und der Verzahnung des Filial- mit dem Onlinegeschäft, so dass für die kommenden Jahre ein massiver Anstieg der Lebensmittelkäufe über das Internet zu erwarten ist, so Wolf Wagner, Partner und Handelsexperte bei EY: „Die Deutschen werden in Zukunft immer mehr Lebensmittel über unterschiedliche Kanäle kaufen und sich auf verschiedenenen Wegen informieren. Künftig beziehen die deutschen Verbraucher einen Großteil ihrer Lebensmittel aus der Kombination von stationären und digitalen Kanälen. Starres Einkaufsverhalten löst sich auf – der Kunde kauft sozusagen ‚Cross Channel‘“, sagt Wagner.
Gute Ausgangslage für den stationären Handel
„Der Marktanteil für Cross-Channel plus Online wächst bis 2020 auf 30 Prozent an – damit stehen insgesamt 60 Milliarden Euro an Einzelhandels-Umsatz zur Neuverteilung an“, ergänzt Thomas Harms, Partner und Leiter des Bereichs Retail & Consumer Products bei EY. „Die entscheidende Frage wird sein: Wer wird diesen Umsatz gewinnen? Die derzeitigen Platzhirsche der Branche – also etwa Supermärkte und Discounter –, oder neue Akteure, die sich auf den Online-Vertrieb beschränken und kein Filialnetz unterhalten?“.
Der stationäre Lebensmittelhandel muss seine Wettbewerbsvorteile aktiv nutzen und eine zukunftsweisende Cross-Channel-Strategie entwickeln.
Die Studie gibt eine klare Antwort auf diese Frage: Reine Online-Händler, sogenannte Pure Players, können maximal 20 Millarden Euro für sich gewinnen. Der stationäre Handel dürfte deutlich stärker profitieren: Er verfügt über starke Retail-Marken, das Vertrauen der Kunden, langjährige Erfahrung im anspruchsvollen Segment Lebensmitteleinzelhandel und ein dichtes Filialnetz. Die Ausgangsposition der etablierten Händler sei somit deutlich besser als die der reinen Online-Händler, die in der Vergangenheit bei anderen Warengruppen wie Büchern oder Elektronik eine bessere Startposition gehabt hätten.
Harms erwartet daher, dass die stationären Händler vom prognostizierten Boom beim Online Lebensmittel-Kauf mindestens 40 Milliarden Euro Umsatz bei sich verbuchen können. Aber nicht jeder stationäre Händler werde in gleichem Maße profitieren, so Harms. „Denjenigen, die ihre Vertriebswege „online“ und „stationär“ geschickt miteinander verknüpfen, bieten sich erhebliche Wachstumschancen. Rein stationäre Händler ohne schlüssige Online-Strategie laufen hingegen Gefahr, in erheblichem Umfang Marktanteile zu verlieren“, so Harms.
Doch noch befinde sich der Handel in Deutschland in der Experimentierphase, so Wagner. „Die aktuelle Entwicklung zeigt: Jeder Händler muss sich am Markt neu positionieren, um auch künftig erfolgreich sein zu können. Doch strategische Überlegungen, Konzepte und Erprobungsmodelle sind noch Mangelware. Der stationäre Lebensmittelhandel muss seine Wettbewerbsvorteile aktiv nutzen und eine zukunftsweisende Cross-Channel-Strategie entwickeln. Nur so werden die Händler in der Lage sein, die großen Potenziale des online beeinflussten Umsatzes zu heben“, sagt Wagner.
Familien und ältere Menschen als Kernzielgruppe
Vor allem Familien dürften zukünftig verstärkt Lebensmittel über das Internet beziehen: In dieser Gruppe geben 64 Prozent an, in fünf Jahren häufiger Lebensmittel im Internet einkaufen zu wollen. „Familien mit doppelerwerbstätigen Elternteilen sind schon aus reiner Zeitnot bereit, das Internet für ihre Einkäufe zu nutzen. Sie sind eine attraktive Zielgruppe, weil sie 30 Prozent mehr für Lebensmittel ausgeben als der Durchschnittsverbraucher und sich hier eine Auslieferung umso eher rentiert“, betont Wagner.
Aber auch bei der wachsenden Gruppe der Älteren wird die Nachfrage nach Lebensmittel per Lieferservice steigen: „Mit Cross Channel erreicht der Handel die neuen ‚Smartphone-Senioren‘ zielgerecht. Cross-Channel-Lebensmittelhändler bieten hier auch echte Lebenshilfe und leisten damit einen Beitrag zu ihrer gesellschaftlichen Verantwortung“, sagt Wagner.
Innovative Logistikmodelle bringen Durchbruch bei digitalem Einkauf
Logistische Herausforderungen verhindern derzeit noch den Siegeszug des Online-Einkaufs von Lebensmitteln. Doch Händler und Logistiker stehen mittlerweile in einem kreativen Wettbewerb um die beste Lösung und entwickeln in kurzen Abständen neue Services und Produkte rund um Lieferung und Kühlung. „Die Experimente reichen von Drohnen über die Einbeziegung der Kunden in die Auslieferung bis hin zum intelligenten Briefkasten“, so Wagner. Bislang sprechen die Lieferkosten und das Zeitfenster der Lieferung für rund drei Viertel der von EY befragten Verbraucher noch gegen eine Bestellung von Lebensmitteln im digitalen Kanal. Zugleich gehen aber 63 Prozent davon aus, dass diese Probleme in Kürze gelöst werden. „Zusammen mit einer Änderung im Verbraucherverhalten dürfte der zu erwartende logistische Durchbruch bald zum Big Bang im digitalen Lebensmittelgeschäft führen. Davon werden die Konsumenten in den Ballungsräumen zuerst profitieren“ erwartet Wagner.
Kommunikation mit Konsumenten wird zum crossmedialen Dialog
Die Digitalisierung versetzt die Händler in die Lage, die Wünsche der Konsumenten individuell zu erkennen und präzise darauf zu reagieren. Zudem können die Verbraucher über verschiedene Kanäle aktiv mit den Händlern kommunizieren – es entsteht ein crossmedialer Dialog. 86 Prozent der Family-Shopper nutzen bereits das Web und 39 Prozent speziell die Sozialen Medien, um sich ein Bild über Preise und Angebote von Lebensmitteln zu machen. „Damit ist für jeden Anbieter eine Informationsseite Pflicht, wenn er nicht bereits einen Online-Shop betreibt. Aber das kann nur ein Baustein der Kommunikation sein: Cross-Channel-Händler können ihre Kunden auf der ‚customer journey‘ unmittelbar und auf vielfältige Weise begleiten – ob via Smartphone, PC oder im Geschäft“, sagt Wagner.