Innovation & Forschung

Biotechnologie muss verantwortlich eingesetzt werden

Die Potenziale der Biotechnologie beflügeln die Fantasie von Politik und Wirtschaft. Anstatt fossile Ressourcen zu verschwenden, sollen dringend benötigte Rohstoffe auf pflanzlicher Basis hergestellt werden. Evonik ist beispielsweise führend darin, mittels Fermentation Spezialchemikalien zu erzeugen. Doch es gibt auch Grenzen für die faszinierende Technologie.

04.07.2022

Biotechnologie muss verantwortlich eingesetzt werden zoom

Biotechnologie gilt als „Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts“. So bezeichnet es beispielsweise das Land Rheinland-Pfalz. Die anwendungsorientierte Wissenschaft „an der Schnittstelle von Biologie, Medizin, Chemie und den Ingenieurswissenschaften“ soll, so sieht es das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, „eine zentrale Rolle auf dem Weg zu einer nachhaltigen (Kreislauf-)Wirtschaft“ spielen. „Beim Übergang von einer erdöl- zu einer biobasierten Wirtschaft ist die Biotechnologie von prioritärer Bedeutung. So können aus Biomasse gewonnene Stärke, Zellulose und Öle als Ausgangssubstanzen für die Produktion von Energie, Kraftstoffen und biobasierten Produkten verwendet werden“, heißt es weiter. Und der Verband der Chemischen Industrie (VCI) prognostiziert, dass Pflanzen, Mikroorganismen und Enzyme, aber auch „Reststoffe wie zum Beispiel Stroh oder Alt- und Schwachholz aus der Forstwirtschaft“ zur Basis für Medikamente, Nahrungsmittel, Energie und Industrieprodukte werden.

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Mit der auch als Bioökonomie bezeichneten Disziplin verbinden sich erhebliche Hoffnungen für die weltwirtschaftliche Entwicklung in allen Bereichen – als weiße Biotechnologie für industrielle Produktionsverfahren, als grüne zur Optimierung des Pflanzenanbaus und als rote für medizinische Anwendungen. Beratungsgesellschaften wie McKinsey erwarten, dass Bioökonomie bis 2040 weltweit zu einem wirtschaftlichen Mehrwert von jährlich bis zu vier Billionen US-Dollar beitragen könnte. Bis zu 60 Prozent aller Roh- und Ausgangsstoffe könnten dann biologisch erzeugt und 45 Prozent aller Krankheiten besser geheilt werden.

Dabei handelt es sich bei Biotechnologie mitnichten um Zukunftsmusik, betont der Wissenschafts- und Technik-Journalist Denis Dilba im Magazin „Elements“ von Evonik. So gelang die schnelle Bereitstellung von mRNA-Impfstoffen gegen Covid-19 nur wegen wegweisender biotechnologischer Entwicklungen. Gleichermaßen wurden die waschaktiven Substanzen, die sogenannten Tenside, in Waschmitteln durch biotechnologische Innovationen stark verbessert. Weitere Beispiele wären Biokunststoffe, neuartige Nahrungs- und Futtermittel, In-Vitro-Fleisch, hautverträgliche Kosmetik und vieles mehr.

Fermentation eine der wichtigsten Technologieplattformen für Evonik

Nahezu unendliche Anwendungsmöglichkeiten bietet vor allem die intelligente Verknüpfung grundsätzlich bekannter biotechnologischer und chemischer Prozesse. So befasst sich das Essener Spezialchemie-Unternehmen Evonik beispielsweise seit über 30 Jahren intensiv mit der Weiterentwicklung bestimmter Fermentationsmethoden, bei der aus einer Kohlenstoffquelle wie Zucker mittels Mikroorganismen Produkte hergestellt werden. Eines der ersten auf diese Weise entstandenen Produkte ist der Tierfutter-Zusatz Biolys, der Schweinen den dringend benötigten Eiweißbaustein L-Lysin zur Verfügung stellt, den sie nicht selbst bilden können und der in den pflanzlichen Bestandteilen des Schweinefutters in zu geringen Mengen enthalten ist. Biolys entsteht, indem Bakterien mittels Fermentation den Zucker Dextrose in L-Lysin umwandeln.

Das ursprünglich zur Herstellung von L-Lysin entwickelte Produktionsverfahren ist mittlerweile zu einer der wichtigsten Technologieplattformen von Evonik geworden. Auf der Basis dieser Plattform entstehen dann Produkte wie ein Algenöl mit den Omega-3-Fettsäuren DHA und EPA für eine umweltfreundlichere Fischzucht oder maßgeschneiderte, hochreine Kollagene für die Kosmetikindustrie und die Medizintechnik. Als eines der neueren Fermentationsprodukte hebt Evonik nanostrukturierte Zellulose hervor. Diese wird in der modernen Wundversorgung zur Wundabdeckung verwendet.

Evonik-Labore in Tours, Frankreich. Hier wird Naturkosmetik hergestellt.

Mit biotechnologischen Verfahren lassen sich hochkomplexe Prozesse beschleunigen, die mit herkömmlichen chemischen Verfahren nur sehr aufwendig zu realisieren wären, erklärt Timo May, Leiter der Gruppe für fermentative Verfahren in der Biotechnologieforschung von Evonik, gegenüber „Elements“. Möglich werden dann sogar Effekte wie eine künstliche Fotosynthese. Evonik hat gemeinsam mit Siemens ein Verfahren entwickelt, bei dem Spezialchemikalien durch Fermentation mit Bakterien entstehen, die sonst nur gebildet werden, wenn Kohlenstoffverbindungen und Wasser durch die Einstrahlung von Sonnenlicht miteinander reagieren. Am Evonik-Standort Marl läuft mittlerweile eine Pilotanlage für dieses Verfahren.

Chancen der Biotechnologie besser kommunizieren

Bei all ihrem Potenzial wird Biotechnologie in der Öffentlichkeit vielfach kritisch betrachtet. Der „Technikradar 2020“ der Körber Stiftung deutet etwa ein widersprüchliches Verhältnis der Deutschen zu dem Thema an. Während Gentechnik generell abgelehnt wird, wird Gentherapie an Erwachsenen wiederum befürwortet. Biokunststoffe werden zustimmend beurteilt, Sorgen bereitet hingegen die mögliche Beeinträchtigung des Landschaftsbildes durch den notwendigen Pflanzenanbau und dass dafür vermehrt gentechnisch veränderte Pflanzen eingesetzt werden könnten.

Ähnliche Beobachtungen hat auch die Leiterin des Fraunhofer Centers for Responsible Research and Innovation (CeRRI), Martina Schraudner, gemacht. Frage man die Deutschen zu ihrer Haltung zu Laborfleisch, sei die Reaktion mehrheitlich ablehnend. Anders falle die Reaktion aus, wenn nach Alternativen für den Fleischkonsum gefragt werde. Das Thema Biotechnologie müsse anders kommuniziert werden, regt die Molekularbiologin und Wissenschaftstheoretikerin gegenüber „Elements“ an. Einen weiteren Grund für die Skepsis verortet sie darin, dass Biotechnologie bislang vor allem das Geschäft großer Konzerne gewesen sei. Wegen gesunkener Kosten vollziehe sich hier aber gerade eine Dezentralisierung der Branche.

Auch die Bioökonomie stößt an Grenzen

Der Bioökonomie sind bei allem Potenzial auch Grenzen gesetzt. Sie kann nicht alle bisher genutzten fossilen Rohstoffe substituieren. Der weltweite Ressourcenverbrauch bleibt auf jeden Fall viel zu hoch. Darauf weisen vor allem die großen Umweltverbände hin. So erklärt etwa der NABU, dass eine stetig wachsende Bioökonomie immer mehr Biomasse benötige. Dafür müssten mehr Nutzpflanzen angebaut werden – inklusive des Einsatzes von Dünger und Pflanzenschutzmitteln –, als es die Natur vertrage. „Wenn wir alles auf Pflanzenbasis machen würden, dann bräuchten wir dafür mindestens einen weiteren Planeten“, kommentiert dies Deutschlandfunk-Nova-Reporterin Tomma Schröder. Der BUND fordert deswegen ein grundsätzliches Umdenken: „Im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung ist es deshalb vielmehr notwendig, Wachstum als primäres wirtschaftspolitisches Ziel an sich zu hinterfragen. Sonst droht das weitere Überschreiten der planetaren Grenzen – auch aufgrund der Bioökonomie.“

An welchen planetarischen Leitplanken sich die Bioökonomie orientieren müsste, beschreibt Jan Siegmeier vom Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU). Der globale Biomasseverbrauch habe sich seit den 1950er-Jahren bereits mehr als verdoppelt und steige weiter an. Die zu erwartende Nachfrage könne nicht befriedigt werden. Deswegen schlägt der WBGU eine Strategie zur nachhaltigen Nutzung der Biomassekapazitäten vor: Biomasse solle demnach für biotechnologische Anwendungen nur dann eingesetzt werden, wenn es weder die Biodiversität noch die Ernährungssicherheit beeinträchtige und wenn es keine alternativen Möglichkeiten gebe, CO2 zu vermeiden oder zu speichern. Falls vorhanden, seien nicht biobasierte Technologien im Zweifel zu bevorzugen. Beispielsweise verbrauche Wind- und Solarenergie deutlich weniger Fläche bei gleicher Energieleistung als Bioenergie.

Quelle: UmweltDialog
 

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