„Grüne“ Mobilität: Schaeffler nimmt Asien ins Visier
Eine rasant wachsende Bevölkerung, unter dichtem Smog ächzende Megacitys, wachsender Wohlstand, mehr und mehr Fahrzeuge auf den Straßen. Wer die Mobilität in asiatischen Städten auf nachhaltigere Räder stellen will, hat dicke Bretter zu bohren. Wo der deutsche Automobilzulieferer Schaeffler den Bohrer ansetzt, zeigt er jetzt in Tokio.
05.11.2019
Da fand noch bis 04. November die Tokyo Motor Show statt, eine der größten globalen Automessen überhaupt. Was die Mobilität der Zukunft bietet: hier lässt sich das realistischer betrachten als auf den weiteren großen Leistungsschauen, die sich um die weltweite Auto-Industrie herum etabliert haben, etwa der Detroiter-Motorshow oder der IAA in Frankfurt am Main, wo auch zuletzt trotz Klimakrise schwere Spritfresser die Ausstellungsflächen dominierten.
Japan mag‘s kleiner
Anders in Tokio. SUV spielen dort eine Nebenrolle. In Japan, beobachtet etwa der ADAC, erfreuen sich nach wie vor Kompakt- und Kleinwagen großer Beliebtheit, auch die sogenannten Kei-Cars, die mit maximal 660 Kubikzentimeter Hubraum auskommen und doch rund ein Drittel der Neuzulassungen im Kaiserreich ausmachen. Ein weiterer Fokus der Messe: autonome und vor allem elektrische Fahrzeugkonzepte, die die Erde bestenfalls nicht weiter aufheizen.
Für das fränkische Familienunternehmen Schaeffler dürfte es derzeit kaum ein besseres Umfeld geben, um die eigenen Produkte, Innovationen und Visionen für die Zukunft zu präsentieren. Der Konzern setzt offensiv auf die Elektromobilität, steuert die seit Anfang 2018 aus einem neu geschaffenen Unternehmensbereich, investiert alleine darin bis 2020 eine Milliarde Euro, unter anderem zum Aufbau von drei Kompetenzzentren, eines davon im chinesischen Anting.
Hauptrolle verloren: das Radlager mit Stirnverzahnung
Folgerichtig stellt Schaeffler in Tokio dann allerlei nachhaltiges und elektrisches ins Zentrum des Messeauftritts: eigene Elektromotoren mit Leistungen von 15 bis über 300 Kilowatt zum Beispiel, Schlüsselkomponenten für Brennstoffzellen, aber auch ganz neue Mobilitätskonzepte wie den „Schaeffler Mover“, ein kompaktes, vollelektrisches Fahrzeug, das für unterschiedliche Aufbauten taugt und erst im August mit dem Deutschen Mobilitätspreis ausgezeichnet wurde.
Diese Ausrichtung des Unternehmens auf E-Mobilität und Nachhaltigkeit – vor zehn Jahren hätten sich das wohl nur wenige Beobachter vorstellen können. Damals, 2009, verschickte Schaeffler seine Pressemitteilung zur Tokioer Messe noch mit dem Titel „Big in Japan“. CO2-Einsparungen und Effizienz spielten darin eine eher untergeordnete Rolle, „DSG mit trockener Doppelkupplung und dem Radlager mit Stirnverzahnung“ standen im Mittelpunkt.
Wandel als Chance
Und heute? Da lautet das Motto des Messeauftritts „Making Mobility Sustainable and Autonomous“ und in der Presseaussendung zur Messe hebt der Konzern als erstes seinen Willen hervor, als Partner der Automobilindustrie „mit eigenen Lösungen zu einer signifikanten Reduzierung des CO2-Ausstoßes“ beizutragen und Schaeffler-Chef Klaus Rosenfeld lässt sich mit den Worten zitieren: „Wir sehen den aktuellen Wandel als Chance, um mit innovativen Technologien für Antriebsstrang und Fahrwerk die nachhaltige Mobilität zu gestalten.“
Dass der Schaeffler-Chef das in Tokio (erneut) so hervorhebt, ist nur logisch: Im asiatisch-pazifischen Raum und der Region Greater China erzielt der Konzern heute 28,5 Prozent seiner gesamten Umsatzerlöse in Höhe von zuletzt 14,2 Milliarden Euro. Und das Ende der Fahnenstange scheint noch nicht erreicht. Für die Konzernsparte „Automotive Aftermarket“ sieht die Vorstandsetage in China sogar „das größte Wachstumspotenzial“, wie sie im aktuellen Geschäftsbericht schreibt.
„So regional wie möglich, so zentral wie nötig“
Kein Wunder: In China wächst der Wohlstand – und mit ihm auch die Zahl derer, die ein eigenes Auto vor der Tür stehen haben möchten. Schaeffler erwartet hier ein deutliches Wachstum der Zulassungszahlen. Während in China 2018 etwa ein Sechstel des Weltbestands an Fahrzeugen durch die Straßen rollten (oder im Stau standen), soll dieser Anteil bis 2023 auf ein Fünftel klettern.
Das verspricht gute Geschäfte. Weswegen der Konzern schon vergangenes Jahr unter dem Motto „So regional wie möglich, so zentral wie nötig“ angekündigt hatte, die Sparte „Automotive Aftermarket“ noch stärker in diesen Regionen zu etablieren. In der Sparte organisiert der Konzern seit mehr als vier Jahrzehnten sein weltweites Ersatzteilgeschäft.
Kunden geben Marschrichtung vor
Nun erstreckt sie sich also bis nach China und in den asiatisch-pazifischen Raum. Betriebswirtschaftlich scheint das nahezu alternativlos, zumal die großen Autobauer (also die Kunden des Familienunternehmens) schon lange gen Osten gezogen sind, allen voran Volkswagen, wo wechselnde Vorstandschef seit Jahren die Parole ausgeben, der Autobauer müsse „noch chinesischer werden“.
Für Schaeffler gibt es damit zwingende Gründe, sich vor Ort sichtbarer aufzustellen und näher am Kunden zu sein, auch durch Aufbau lokaler Vertriebsteams, technischen Kundensupport vor Ort oder Entwicklungs- und Logistikzentren. Die Kapazitäten für Forschung- und Entwicklung in Asien hat man laut dem neuen Regional-CEO Asien/Pazifik deswegen schon „kontinuierlich ausgebaut“.
Living Lab: Vision trifft Realität
Tatsächlich erhofft sich Schaeffler vor Ort wohl auch neue Impulse. Die Region Asien/Pazifik inklusive Japan betrachtet der Konzern als „Living Lab“, also als eine Art Reallabor, in dem die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten der Bayern auf die sich rasend schnell wandelnde Mobilitätspraxis von Milliarden Menschen trifft. Da gibt es dann in der Tat dicke Bretter zu bohren. Denn auch wenn in Japan Kleinwagen SUVs ausstechen – in China werden die Spritfresser weiterhin als Statussymbol verehrt.
Und das mehr und mehr: Laut Internationaler Energieagentur (IEA) stieg der SUV-Anteil an den gesamten Fahrzeugverkäufen in den vergangenen Jahren enorm, zwar weltweit, am stärksten aber in China. Lag ihr Anteil im Reich der Mitte 2010 noch bei 14 Prozent, waren es 2018 schon 42 Prozent. Für das Klima sind das keine guten Nachrichten, weil sämtliche Effizienzgewinne durch nachhaltigere Antriebstechnologien verpuffen, SUVs außerdem schwieriger zu elektrifizieren sind.
1958 lag die Zukunft im Süden
Dass den Schaeffler-Ingenieuren in Herzogenaurach, Anting oder den weiteren Standorten schnell die Arbeit ausgeht, steht also nicht zu befürchten. Und dass der Sprung in ferne Weltregionen sich lohnen kann, hat der Familienkonzern schon einmal bewiesen. Im Jahr 1958, als das damals knapp zwölf Jahre alte Unternehmen Volkswagen nach Brasilien folgte, um dort den seinerzeit ersten Schaeffler-Fertigungsbetrieb außerhalb Europas aufzubauen. „Volkswagen nach Brasilien zu folgen“, heißt es bei Schaeffler heute, „war ein Meilenstein in der Unternehmensgeschichte“. Einer, der seit dem Erfolg beschert. Im vergangenen Jahr feiert Schaeffler Brasilien 60-Jähriges.