Schere, Stein- und Graspapier
Holz als Faserlieferant für die Papierproduktion ist nicht alternativlos. Immer häufiger setzen Unternehmen auf Papier aus nachhaltigeren Rohstoffen. McDonald’s wickelt einige seiner Burger beispielsweise in Graspapier ein. Auch Antalis vertreibt Papiere und Kartons aus Gras. Bei Tchibo gibt es sogar Notizblöcke aus Kaffeepapier.
09.07.2021
Seit 1970 hat sich die weltweite Papierproduktion mehr als verdreifacht – auf gut 420 Millionen Tonnen im Jahr 2018. Weil Holz dafür der wichtigste Rohstoff ist, hat dies erhebliche Auswirkungen auf die Forstbestände. „Fast jeder zweite industriell gefällte Baum weltweit wird zu Papier verarbeitet“, schreibt der WWF. Hinzu kommt der Energiebedarf, den das Bundesumweltministerium auf eine einfache Formel bringt: „Für die Produktion einer Tonne Papier aus frischen Holzfasern wird so viel Energie benötigt wie für die Herstellung einer Tonne Stahl.“
Natürlich lässt sich der Ressourcenhunger bei der Papierherstellung durch die Verwendung von Altpapier reduzieren, und die ökologischen Schäden können gemildert werden, wenn FSC- oder PEFC-zertifizierte Materialien verarbeitet werden. Trotzdem wird intensiv nach nachhaltigeren Alternativen zum holzbasierten Papier gesucht. Dabei gerät ein Rohstoff in den Blick, mit dem die Geschichte des Papiers vor etwa 5.000 Jahren quasi begann: Gras.
Graspapier ist besonders ressourcenschonend
Mit Graspapier hat sich der 1990 gegründete Hersteller Creapaper aus Hennef – 2017 Bundessieger des KfW Awards Gründen – einen Namen gemacht. Firmengründer Uwe D’Agnone hat laut KfW mit der Universität Bonn ein Verfahren entwickelt, um aus Heu, Altpapier und einem gewissen Anteil Frischfasern hochwertige Papiere und Kartonmaterialien herzustellen. Derzeit wird Kartonpapier mit einem Grasfaseranteil von 50 Prozent produziert.
Mit den Grasfasern lässt sich im Vergleich zur Verwendung von Recyclingfasern der CO2-Abdruck des Papiers um etwa 70 Prozent senken, stellte die Forschungsgesellschaft für Energiewirtschaft fest. Laut Uwe D’Agnone wird das Heu in der Nähe der Papierfabrik geerntet, getrocknet, gemahlen und zu Pellets verarbeitet. Für eine Tonne Pellets werden nur zwei Liter Wasser benötigt. Zum Vergleich: Die Produktion einer Tonne herkömmlichen Zellstoffs verschlingt bis zu 6.000 Liter Wasser. Auf chemische Zusatzstoffe werde komplett verzichtet.
Seit 2019 hat auch Antalis Schweiz Graspapier im Sortiment – in Form der Produkte „GrasBox“, „GrasBag“ und „GrasPapier“. Während die GrasBox-Wellpappenkartons zu 30 Prozent aus Grasfasern bestehen, bringt es GrasPapier laut Antalis sogar auf 50 Prozent Grasanteil. Der Rohstoff stammt aus ökologischen Ausgleichsflächen aus der Umgebung der Produktionsanlagen.
Burger-Verpackung hat 20 Prozent Grasanteil
Graspapier hat sogar schon den Sprung in den Lebensmittelverpackungsmarkt geschafft. Ende Mai präsentierte die Schnellrestaurantkette McDonald’s die Kampagne „ McDonald’s gibt Gras!“. Die Burger-Brater umwickeln jetzt einige ihrer Premiumprodukte mit Graspapier. Den Auftakt machen nach Unternehmensangaben der Deutschlandburger und die McWraps. Die Graspapier-Kampagne ist ein weiterer Schritt auf dem Weg zum Unternehmensziel, bis 2025 alle Verkaufsverpackungen auf erneuerbare, recycelte oder zertifizierte Materialien umzustellen.
Das McDonald’s-Graspapier weist einen Grasanteil von 20 Prozent auf, ist FSC-lizensiert und stammt von bestehenden Grasflächen, steht also nicht in Konkurrenz zu anderen Nutzungsmöglichkeiten. Hergestellt wird es bei Pfleiderer Spezialpapiere im niederbayerischen Teisnach. Einen Einblick in die Produktion gibt es auf einer Microsite. Dort zeigt McDonald’s einen YouTube-Film, in dem sich der Rasenwart des Nürnberger Fußballstadions von Pfleiderer-Mitarbeiterin Kristin Kilger über den Herstellungsprozess informieren lässt.
Auch Pflanzenreste entwickeln sich zunehmend zum alternativen Zellstofflieferanten, wie beim Studierendenprojekt „Musa Fibra“ der Leibniz Universität Hannover. Dabei geht es um die Gewinnung von Zellstoff aus Ananasabfällen. Die Umsetzung wird in Costa Rica erprobt. Das Unternehmen Silphie Paper produziert wiederum Verpackungspapiere aus der bisher vor allem als Energiepflanze genutzten, in Nordamerika heimischen „Durchwachsenen Silphie“.
Eher maritimen Ursprungs ist hingegen der Papier-Rohstoff, mit dem eine andere Schnellrestaurantkette experimentiert. Gemeinsam mit dem Alfred-Wegener-Institut und der Hochschule Bremerhaven hat „Nordsee“ im Projekt „Mak-Pak“ eine Verpackung aus Extrakten spezieller Makroalgenarten entwickelt.
Alttextilfasern liefern eine besondere Haptik
Sogar ein weiterer traditioneller Papierrohstoff startet unter den Vorzeichen der Nachhaltigkeit ein Comeback: Lumpen. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts war es üblich, Papier aus Kleidungsresten herzustellen. Gerade Baumwolle und Leinen gelten als gute Faserlieferanten, erläutert „Two Sides“, ein Zusammenschluss von Unternehmen entlang der Papierlieferkette. Heute werden Alttextilpapier meist auch Frischfasern beigemengt. Mit einem Papierprodukt aus Baumwollresten kommen Verbraucher übrigens nahezu täglich in Berührung, weiß „Papier + Technik“: Banknoten!
Auch Two-Sides-Mitglied Antalis führt Papierqualitäten aus Textilfasern. Erst kürzlich berichtete UmweltDialog, dass die Großhandelsgruppe nun die REFIT-Serie der Papierfabrik Favini anbietet. Das Papier REFIT WOOL enthält demnach einen 15-prozentigen Faseranteil aus Nebenprodukten des Wollspinnens und -kardierens. REFIT COTTON wiederum besteht zum gleichen Anteil aus Resten aus der Baumwollverarbeitung. Beide Produkte enthalten darüber hinaus Fasern aus 40 Prozent recycelten Post-Consumer-Abfällen und 45 Prozent Frischfasern. Antalis hebt die besondere Haptik dieser Papiere hervor, „da die Rückstände von Wolle und Baumwolle auf der Oberfläche sichtbar bleiben“.
Kaffee-Karten, Stein-Taschen und Panda-Papier
Es landen aber auch Stoffe im Papier, die niemand spontan damit in Verbindung bringen würde: beispielsweise Kaffee. Bei Tchibo gibt es im Online-Shop nicht nur trinkbare Produkte aus der schwarzen Bohne. Für besondere Grüße sind auch Postkarten-Sets aus Kaffeepapier erhältlich. 30 Prozent Kaffeereste sorgen für die besondere Färbung des Papiers. Des Weiteren enthält es 40 Prozent FSC-zertifiziertes Altpapier und 30 Prozent FSC-zertifizierten, ungebleichten Zellstoff. Auch Notizblöcke aus demselben Material gibt es im Tchibo-Shop.
Selbst Stein kann zu Papier werden, berichtet der Deutschlandfunk. Ein Verfahren dafür wurde bereits vor 20 Jahren in Taiwan entwickelt. Steinpapier besteht zu bis zu 80 Prozent aus Calciumcarbonat, also Kalksteinmehl, das im Bergbau massenhaft anfällt. Diesem wird recyceltes Polyethylen beigemengt und alles miteinander verschmolzen. Heraus kommt robustes Papier, das von der Wanderkarte über die Tragetasche bis hin zum Joghurtbecher vielen Zwecken dienen kann.
Was Steinpapier so attraktiv macht, ist seine vollständige Recycelbarkeit. Steinmehl und Kunststoff lassen sich durch Einschmelzen komplett trennen und separat wiederverwerten. Wegen dieser Produkteigenschaften ist das Material Cradle-to-Cradle-zertifiziert.
Schließlich sei noch eine besondere Faserquelle für nachhaltiges Papier erwähnt: Fäkalien von vegetarisch lebenden Tieren. Ein chinesisches Unternehmen kam laut einem Bericht der HNA auf die Idee, die Hinterlassenschaften von Bambus fressenden Pandabären zu verwerten. In den Exkrementen sind Unmengen von Fasern enthalten, aus denen – die gründliche Reinigung vorausgesetzt! – Papier hergestellt werden kann. Ein US-amerikanischer Hersteller von Toilettenpapier hat sogar einen regelrechten „Papier-Zoo“ im Angebot: Bei „Poopoopaper“ gibt es sortenreine Papiere aus Exkrementen von Affen, Kühen, Pferden und Elefanten.