Ohne Konnektivität ist IoT tot
Das Internet der Dinge (IoT) ist ein unverzichtbarer Beitrag zur Lösung der Herausforderungen einer digitalisierten Gesellschaft. Basis ist der Wandel hin zu einer kreislauforientierten Wirtschaft. Nur so können wir die knappen Ressourcen nachhaltig nutzen. Rami Avidan erklärt im Gespräch, warum es höchste Zeit wird für mehr Harmonisierung und Standardisierung im IoT.
22.11.2019
Kann das Internet der Dinge Gesellschaft und Wirtschaft verändern?
Rami Avidan: Ohne zu philosophisch zu klingen: Ich bin davon überzeugt, dass IoT die Welt besser machen kann. Dazu ein sehr anschauliches Beispiel: Heute vernichten wir weltweit etwa 30 Prozent der produzierten Lebensmittel. Wir sind uns einig, dass dies ein Wahnsinn ist. Wir müssen mit Nahrungsmitteln und Ressourcen generell intelligenter und nachhaltiger umgehen. Hier kann IoT einen wertvollen Beitrag leisten. Die Art und Weise, wie wir Lebensmittel produzieren, lässt sich allein mit den Daten optimieren, die wir auf dem Feld oder in der Weiterverarbeitung schöpfen. Wir können Lebensmittel auf Basis von IoT-Daten effizienter in den Markt bringen. IoT ist zwar nicht die alleinige Lösung für solche Probleme, aber IoT kann maßgeblich dazu beitragen, diese gesellschaftlichen Herausforderungen zu meistern.
Lässt sich das auch auf andere Industrien übertragen?
Avidan: Es geht um eine grundsätzliche Veränderung unseres Handelns, hin zu kreislauforientierter Wirtschaft. Heute produzieren Unternehmen Produkte, die nach wenigen Monaten oder Jahren wieder vernichtet werden. Das Ziel dahinter: Die Verbraucher sollen die jeweils aktuellen Produkte kaufen. Wir wären aber heute in der Lage, Dinge zu produzieren, die deutlich langlebiger und nachhaltiger sind. Und am Ende des Lifecycles könnten wir die allermeisten Bestandteile wiederverwerten. So könnten wir die Ressourcen in unserer Welt besser nutzen.
Also sind die Produktionskosten nicht mehr so entscheidend?
Avidan: Kosteneffizienz ist und bleibt eine ganz wesentliche Herausforderung für die Unternehmen. Auch hier wird IoT eine zunehmend größere Rolle spielen. IoT-Daten helfen, an den richtigen Stellen zu investieren, ein Unternehmen anders als bisher zu managen, effizienter zu produzieren, Ressourcen nachhaltiger zu nutzen oder die logistischen Prozesse zu optimieren. Wichtig ist dabei, die strategische Agenda und nicht die Technologie in den Mittelpunkt zu stellen. Erst einmal sollte ein Unternehmen sein Geschäftsmodell entwickeln und definieren, was es produzieren und welche Services es anbieten will. Erst dann kommt der Blick auf die Technologien und es stellt sich die Frage, was sich mit Hilfe von IoT umsetzen lässt.
„Wichtig ist, die strategische Agenda und nicht die Technologie in den Mittelpunkt zu stellen.“
Was treibt den Markt für IoT-Lösungen an?
Avidan: Es sind zunächst einmal die Preise für IoT-Lösungen, die deutlich gesunken sind. Auch die Hardware ist heute wesentlich günstiger. Die Konnektivitätskosten und auch die Preise für Services sind ebenfalls gesunken. Was wir allerdings feststellen müssen: Die Zahl der Unternehmen, die irgendeinen Teil einer IoT-Lösung anbieten, ist enorm groß geworden und kaum mehr überschaubar. Es gibt weltweit nicht den einen IoT-Anbieter, der alles aus einer Hand anbieten kann. Warum? Weil eine IoT-Lösung sehr komplex ist und aus vielen Komponenten besteht.
Warum tun sich so viele Unternehmen mit IoT-Lösungen noch so schwer?
Avidan: Dies hat mit Komplexität und mit der Technologie selbst zu tun, die noch viel zu wenig standardisiert ist. Jeder macht sein eigenes Ding, kann aber allein nicht alle Anforderungen erfüllen, die für sich genommen gelten können. Daher muss IoT in Bezug auf Standardisierung dringend besser werden. Wir brauchen eine Harmonisierung der IoT-Ökosysteme. IoT entfaltet seine Stärke erst dann komplett, wenn medienbruchfrei Systeme miteinander kommunizieren können. Wenn aber selbst die unterschiedlichen IoT-Lösungen innerhalb eines Unternehmens keine Daten austauschen können, konterkariert das den Nutzen des Internet der Dinge. Das müssen wir dringend ändern.
Und wie soll das geschehen?
Avidan: Heute wird der Markt von sehr vielen Branchen-Angeboten dominiert. Ein genauer Blick auf die Anforderungen der Unternehmen zeigt aber, dass die Industriespezifischen IoT-Lösungen im Kern sehr vergleichbar sind, da die Prozesse ähnlich sind. Hardware, Software, Konnektivität und Sicherheit sind nahezu identisch und decken die meisten Anforderungen der Unternehmen ab. Die Strategie der Telekom ist es deshalb, ein umfangreiches IoT-Ökosystem für Unternehmen aufzubauen und dort sehr viel standardisierte Services bereitzustellen. Mit einer horizontalen IoT-Struktur, die etwa 70 Prozent aller IoT-Szenarien in Unternehmen jeglicher Branche abdeckt. Der Rest bedarf dann tatsächlich individueller Lösungen. Kurz gesagt: Wir brechen die Silos auf. Und wir sind dabei der vertrauenswürdige Berater unserer Kunden. Was unsere Kunden auch zunehmend wollen, denn sie suchen nicht nach Lieferanten, sondern nach Partnern.
„Die Daten als wahres Gold des IoT sind überall dort verfügbar, wo sie im Unternehmen gebraucht werden.“
Wird die Telekom auch zum wenig zielführenden One-Stop-Shop-Anbieter?
Avidan: Wir machen das nicht allein, sondern mit unseren starken Partnern wie Microsoft, Software AG und SAP. Und wir nutzen dafür eine offene IT-Architektur, auf die jedes Unternehmen schnell aufsetzen kann. Nur für die 30 Prozent Anteil an Individuallösungen suchen wir die jeweils richtigen Spezialisten. Der Vorteil für unsere Kunden: Das Ökosystem ist homogenisiert und standardisiert. Die Daten, das wahre Gold des IoT, sind überall dort verfügbar, wo sie im Unternehmen gebraucht werden.
Gibt es weitere Vorteile für die Kunden?
Avidan: Wenn ein solches Ökosystem zentral für Viele aufgebaut und betrieben wird, heben wir Skaleneffekte. Im Vergleich zum Eigenbetrieb der IoT-Lösungen ist das deutlich kostengünstiger zu machen. Der zweite wichtige Punkt ist eine zukunftsfähige IT-Architektur. Wer an einem solche Ökosystem teilnimmt, profitiert auch immer direkt von Neuentwicklungen. Technologisch tut sich im IoT-Markt noch sehr viel. Die vielen Start-ups bringen enorme Innovationsschübe in den Markt. Insofern birgt ein harmonisiertes IoT-Ökosystem immer auch Investitionsschutz für die Kunden.
Bisher verbindet der Markt mit „Telekom“ und „IoT“ überwiegend das Thema Konnektivität. Greift das zu kurz?
Avidan: Erstens ist Konnektivität die wichtigste Komponente einer IoT-Lösung. Zweitens stimmt dieser Eindruck nicht ganz mit der Realität überein. Ich gebe zu, dass Konnektivität nicht unbedingt sexy ist. Es ist sowas wie das hässliche Entlein im IoT-Zoo. Aber wenn Sie die Konnektivität aus einer IoT-Lösung rausnehmen, ist IoT tot. Also ist zuverlässige Konnektivität für jede IoT-Lösung unabdingbar. Die Deutsche Telekom steht für qualitativ hochwertige Konnektivität und ist schon seit Jahren mit Lösungen auf dem IoT-Markt unterwegs. Tracking und Tracing in der Logistik oder die Vernetzung von Fahrzeugen in der Automobil-Industrie sind zwei Beispiele aus einer großen Palette von IoT-Lösungen.
„Aktuell nutzen die Unternehmen weniger als fünf Prozent ihrer IoT-Daten.“
Wer soll die enormen Datenmengen verarbeiten und sinnvoll nutzen?
Avidan: Das ist ein wichtiger Punkt. Aktuell nutzen die Unternehmen weniger als fünf Prozent ihrer IoT-Daten. Wir können diese Prozentzahl erhöhen, indem wir zeigen, welchen Wert die Daten haben und wie die Daten verarbeitet werden. Dabei ist mir wichtig, dass wir die Komplexität aus den Analysen herausnehmen. Und Unternehmen ermuntern, die Daten nicht nur selbst zu nutzen, sondern auch für andere nutzbar zu machen. Wir bauen dafür einen digitalen Datenmarkt (Data Intelligence Hub) auf, über den sich Daten transparent und in Übereinstimmung mit der europäischen Datenschutzrichtlinie vermarkten lassen.
Wie könnte das beispielsweise aussehen?
Avidan: Nehmen Sie Zustandsdaten von Maschinen, die ein Unternehmen für Wartungsaufgaben erhebt. Andere Unternehmen, die die gleichen Maschinen nutzen, könnten sehr großes Interesse an diesen Daten haben. Oder auch Unternehmen, die planen eine solche Maschine zu kaufen. Sie könnten sehr viele Erkenntnisse gewinnen, bevor sie in eine Maschine investieren.
Ein Blick auf die Industrie: Welche Branche ist am weitesten bei IoT?
Avidan: Im Durchschnitt über alle Branchen liegt der Einsatz von IoT-Lösungen bei zehn bis 20 Prozent. Auch wenn es in der Logistik noch viel Luft nach oben gibt, ist diese Branche sicherlich am weitesten. So sind beispielsweise in Transportfahrzeugen IoT-Lösungen bisher nur wenig verbreitet, obwohl allein die Vernetzung der Fahrzeuge große Optimierungschancen bietet.
„Groß denken heißt, dass ein Unternehmen seine IoT-Chancen durchleuchten sollte und darauf basierend eine IoT-Strategie für das gesamte Unternehmen entwickelt.“
Was empfehlen Sie Unternehmen im Umgang mit IoT?
Avidan: Mein Tipp: think big, start small. IoT durchdringt das ganze Unternehmen. Daher sollten sie nicht damit anfangen, irgendwo im Unternehmen eine isolierte Lösung zu installieren. Groß denken heißt, dass ein Unternehmen seine IoT-Chancen durchleuchten sollte und darauf basierend eine IoT-Strategie für das gesamte Unternehmen entwickelt. Der Start kann dann auch mit einem kleinen Projekt erfolgen, für das man sich schnelle und für jeden nachvollziehbare Ergebnisse ausrechnet. Ganz wichtig ist es aber, Mitarbeiter auf der IoT-Roadmap mitzunehmen. Die Fokussierung auf Technologie allein würde zu kurz greifen. Weil IoT auch die Arbeitsabläufe beeinflusst, sollten Mitarbeiter erkennen, welchen Nutzen IoT auch für sie hat.
Das Interview führte Martina Weidmann, Pressesprecherin der Deutschen Telekom.
Rami Avidan über IoT im Podcast der Bundesvereinigung Logistik
Rami Avidan spricht über das Internet der Dinge im BVL-Podcast: Vision and Perspektiven mit IoT für die Logistikbranche, Beispiele und Anwendungsfälle, das Thema Sicherheit und die Bedeutung eines IoT Ökosystems mit vertrauenswürdigen Partnern.
Im Podcast von BVL.digital lädt die Bundesvereinigung Logistik (BVL) Meinungsführer, Entscheider und Akteure der Logistikbranche ein zu Themen wie digitale Transformation, Nachhaltigkeit, Technologie und Innovation, Start-ups, weltweitem Handel und Logistik zu reden.
Die komplette Folge ist hier abrufbar: BVL.digital, Apple Podcasts, Spotifiy, Google Podcasts