„Unternehmens-Verantwortung ist nicht verhandelbar“
Wirtschaftliche Verantwortung und Menschenrechte sind gerade am Anfang der Lieferkette ein brisantes Thema. Dennoch kommen Unternehmen an rechtskonformem Handeln nicht mehr vorbei. Warum das so ist, erklärt Kai M. Beckmann. Beckmann leitet den Geschäftsbereich Governance, Risk & Compliance des Prüfungs- und Beratungsunternehmen Mazars in Deutschland und ist Experte im Bereich CSR.
25.05.2018
UmweltDialog: Herr Beckmann, Anti-Korruptionsgesetze, Umweltauflagen, Arbeitnehmerrechte: Moderne Geschäftstätigkeit wird durch viele Vorgaben reglementiert. Und nun sollen Unternehmen auch noch die Einhaltung von Menschenrechten in der Lieferkette im Blick haben. Warum?
Kai M. Beckmann: Auch beim Thema Menschenrechte hat sich das regulative Umfeld für Unternehmen verändert und sie werden zunehmend mit internationalen Gesetzen konfrontiert. Möchten Betriebe global aktiv sein, müssen sie die unterschiedlichen Anforderungen der Gesetzgeber erfüllen. Dazu gehören der Dodd-Frank Act aus den USA, der britisch Modern Slavery Act, das Loi de Vigilance aus Frankreich, aber auch das deutsche CSR-Richtlinien-Umsetzungsgesetz, kurz CSR-RUG. Alle diese Regelungen funktionieren nur über einen systematischen, standardisierten Ansatz, der sich in den Managementprozessen widerspiegelt und ein regelkonformes Handeln ermöglicht.
Außerdem lassen sich immer mehr Konzerne Auditrechte vertraglich garantieren und geben gleichzeitig vor, dass sich die Zulieferer innerhalb der Lieferkette menschenrechtskonform verhalten müssen. Verstöße ziehen dann erhebliche Konsequenzen wie Vertragsstrafen oder kostenintensive Auditierungsprozesse nach sich.
Darüber hinaus reagiert der Kapitalmarkt zunehmend sensibel auf das Thema Nachhaltigkeit und somit auch auf Menschenrechtsaspekte. Das hat nicht zuletzt die High-Level Expert Group on Sustainable Finance der Europäischen Kommission gefördert, die hier starke Impulse für den europäischen Kapitalmarkt gesetzt hat.
Es gibt zahlreiche Menschenrechtsabkommen. Das Problem: Wenn Staaten diese Rechte für ihre Bevölkerung schon nicht durchsetzen, wie können dann Unternehmen dieser Aufgabe in weitverzweigten Lieferketten gerecht werden?
Beckmann: Nur weil nicht alle Staaten Menschenrechtsverletzungen konsequent verfolgen, kann das ja für Unternehmen nicht bedeuten, das Thema zu vernachlässigen. Unternehmensverantwortung ist nicht verhandelbar. Gerade deshalb sind aber auch internationale Standards so entscheidend, an denen sich Firmen orientieren können – und sollten. Es geht darum, dass sich Unternehmen systematisch über Managementansätze mit dem Thema auseinandersetzen und versuchen, weitestgehend eigene Ziele zu erreichen.
Ganz klar: In weitverzweigten Lieferketten ohne Marktmacht haben Unternehmen nur begrenzt die Möglichkeit, ihre Ideen umzusetzen. Aber dafür gibt es zunehmend Initiativen und Kooperationsmodelle, die versuchen, über einzelne Betriebe hinaus entsprechende Menschenrechtsziele umzusetzen.
Mit diesem Prozess ist häufig auch die Frage nach den Chancen verbunden: Können bessere Arbeitsbedingungen beispielsweise die Produktivität in den Ländern am Anfang der Lieferkette verbessern? Gibt es weniger krankheitsbedingte Ausfälle? Es gibt genug Unternehmen, die nicht nur kritisch abfragen und bewerten, sondern die aktiv versuchen, ihre Lieferkette diesbezüglich positiv zu entwickeln.
Es geht nicht darum, dass Unternehmen die Welt retten sollen. Sie sollen aber die Verantwortung für die Top-Risiken ihrer Geschäftstätigkeit übernehmen
Um die menschrechtliche Verantwortung von Unternehmen zu beschreiben, wurde der Begriff der „menschenrechtlichen Sorgfalt“ eingeführt. Was heißt das und auf welche sozialen Risiken müssen Betriebe genau achten?
Beckmann: Das referenziert wieder auf das Thema Managementsystem. Die Unternehmen müssen Instrumente implementieren, die die Auswirkungen der Geschäftstätigkeit hinsichtlich Menschenrechtsaspekten individuell identifizieren. Nur so können Firmen überhaupt Einfluss nehmen. In diesem Zusammenhang hat das CSR-RUG einen Perspektivwechsel vorgenommen, da es den bisherigen betrieblichen Risikobegriff umgekehrt hat. In der Vergangenheit haben Unternehmen analysiert, welche Risiken Menschenrechtsthemen für die Geschäftstätigkeit haben. Nun müssen sie sich die Frage stellen, welche wesentlichen sozialen Auswirkungen das eigene unternehmerische Handeln entlang der Lieferkette hat.
Aber um dem Thema etwas den Schrecken zu nehmen: Es geht nicht darum, dass Unternehmen die Welt retten sollen. Sie sollen aber die Verantwortung für die Top-Risiken ihrer Geschäftstätigkeit übernehmen. Denn das sagt der Wesentlichkeitsbegriff in der Nachhaltigkeitsdebatte aus. Diesen Prozess verfolgen wir seit Jahren im Umweltbereich. Nun ist einfach ein weiteres Thema hinzugekommen.
Die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht hat erst im Rahmen der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte von John Ruggie an Bedeutung gewonnen. Sie beruhen auf den Prinzipien „protect, respect, remedy“. Was heißt das?
Beckmann: Die sogenannten Ruggie-Prinzipien versuchen zwischen politischer und wirtschaftlicher Verantwortung zum Schutz der Menschenrechte zu differenzieren und die Unternehmen diesbezüglich in die Pflicht zu nehmen. Während die Staaten die Aufgabe haben, Menschen vor wirtschaftsbezogenen Menschenrechtsverstößen zu schützen („protect“), müssen Unternehmen die Menschenrechte achten („respect“), regelwidrige Geschäftspraktiken beenden und versuchen, Verstöße wiedergutzumachen („remedy“). Demzufolge müssen Betroffene auch die Möglichkeit haben, Menschenrechtsverletzungen zu kommunizieren.
John Ruggie hat aus seinem Auftrag für die Vereinten Nationen heraus die Idee von „protect, respect, remedy“ in einen Standard übersetzt: den „UN Guiding Principles Reporting Framework“. Dieser wurde von seiner Menschenrechtsorganisation „Shift“ und von uns operationalisiert, um den Unternehmen ein Instrument an die Hand zu geben, das einen vergleichbaren, systematischen Umgang mit dem Thema Menschenrechte überhaupt erst gewährleistet.
Wie unterstützen Sie die Unternehmen hier praktisch?
Beckmann: Wir helfen Unternehmen mittels des „UN Guiding Principles Reporting Framework“ dabei, relevante Kennzahlen und Prozesse zu identifizieren und die Informationen in ein entsprechendes Reporting zu überführen. Das macht eine Vergleichbarkeit gegenüber Dritten – etwa Investoren – möglich. Der Einsatz des Frameworks schafft auch die Voraussetzungen für die Prüffähigkeit der Angaben zu Menschenrechten. Das ist notwendig, weil nicht-finanzielle Informationen, wie etwa Menschenrechtsangaben, durch die Aufnahme in den Lagebericht nach CSR-RUG eine ganz andere Verbindlichkeit bekommen haben, da der Aufsichtsrat nun persönlich für die Richtigkeit der Angaben haften muss.
Deswegen ist auch die Prüfungsrichtlinie – das „UN Guiding Principles Assurance Framework“ für Menschenrechte – so wichtig, die Mazars letztes Jahr veröffentlicht hat. Sie unterstützt einerseits die interne Unternehmensrevision dabei, eine menschenrechtskonforme Geschäftstätigkeit sicherzustellen. Andererseits unterstützt sie externe Prüfungsunternehmen bei ihrer Arbeit, die das Reporting in diesem Bereich überwachen.
Das ist aber nur ein Teil Ihrer Arbeit.
Beckmann: Wir als Prüfungs- und Beratungsgesellschaft unterstützen die Unternehmen zunächst bei der Integration von Menschenrechtsaspekten in die relevanten Prozesse. Wie können diese Themen ins Stakeholder-Management aufgenommen und in verschiedene Betriebsbereiche implementiert werden? Beispielsweise in die Beschaffung? Einkäufer bewerten ihre Lieferanten nach Kriterien wie Geschwindigkeit, Preis oder Qualität. Müssen sie dabei zusätzlich noch soziale Belange berücksichtigen, kann es hier schnell zu Zielkonflikten kommen.
Außerdem helfen wir auch bei der konkreten Umsetzung. Momentan führen wir beispielsweise für Unternehmen im Bergbau und im Agrarbereich Human-Rights-Due-Diligence-Prozesse in einzelnen Ländern durch. Die Firmen haben festgestellt, dass ihre eigenen Analyseverfahren nicht ermitteln konnten, ob sie dort wirklich menschenrechtskonform handelten. Auch hier geht es darum, standardisierte Prozesse aufzubauen, die künftig Menschenrechtsverstöße verhindern sollen.
Um die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte national umzusetzen, hat die Bundesregierung 2016 den Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) verabschiedet. Dieser bleibt weit hinter den Erwartungen der Zivilgesellschaft zurück. Was sind die wesentlichen Kritikpunkte aus Ihrer Sicht?
Beckmann: Der NAP hat hehre Ziele, aber – und das ist eine große Herausforderung – auch eine große Unverbindlichkeit. In der Praxis hat er kaum Auswirkungen auf die Unternehmensrealität und auf Unternehmensentscheidungen. Deswegen spielt er in der betriebsinternen Diskussion der Fachbereiche auch keine große Rolle.
Warum ist Deutschland im Vergleich zu anderen Industrieländern wie Großbritannien oder den USA so defensiv bei der verbindlichen Umsetzung von Menschenrechtsstandards?
Beckmann: Ich glaube, dass das historisch bedingt ist. Die deutsche Wirtschaft ist traditionell durch das Ingenieurwesen geprägt. Ökologische Fragen, die umfassende Umweltmanagementsysteme erfordern, sind deswegen schon lange in der DNA der Betriebe verankert. Angelsächsische Länder haben hier keine vergleichbare Entwicklung; für sie sind soziale Themen wichtiger. Der goldene Mittelweg wäre für beide Perspektiven richtig: Während deutsche Unternehmen noch Nachholbedarf bei der standardisierten Umsetzung in Bezug auf Menschenrechtsfragen haben, können andere Industrieländer noch das Managen ökologischer Risiken verbessern.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Beckmann!