Am Lieferkettengesetz führt kein Weg vorbei
Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz tritt erst nächstes Jahr in Kraft, wird aber bereits intensiv diskutiert. Kritisiert wird einerseits, dass es nur für sehr große Unternehmen gelten soll, andererseits bemängeln Wirtschaftsverbände den bürokratischen Aufwand. Wenig beachtet wird, dass Auftraggeber nun auch in Deutschland intensiver als bislang auf umwelt- und menschenrechtliche Risiken bei ihren Zulieferern achten müssen.
07.03.2022
Bereits seit 2011 müssen Unternehmen grundsätzlich auf die Einhaltung der Menschenrechte in ihren Lieferketten achten. Dazu verpflichten die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UNLP) ihre Mitgliedsstaaten, darunter auch Deutschland. Sonderlich erfolgreich waren die Bemühungen der Bundesregierung in dieser Hinsicht aber nicht. Zwar sah der 2016 verabschiedete Nationale Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) nach Angaben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vor, „dass bis 2020 mindestens die Hälfte aller Unternehmen in Deutschland mit mehr als 500 Beschäftigten die im NAP beschriebenen Elemente menschenrechtlicher Sorgfalt in ihre Unternehmensprozesse integriert haben.“ Allerdings ergab eine Befragung zur Umsetzung der NAP-Ziele, dass nicht einmal 20 Prozent der Unternehmen dieser Pflicht ausreichend nachkommen, berichtete UmweltDialog.
Für mehr Verbindlichkeit soll deswegen nun das „Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz“ sorgen. Es tritt nächstes Jahr für Betriebe mit mehr als 3.000 Beschäftigten in Kraft. Laut Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung soll es dazu beitragen, die Einhaltung grundlegender Menschenrechtsstandards sowie das Verbot von Kinderarbeit und Zwangsarbeit in den globalen Lieferketten durchzusetzen. Große Unternehmen müssen dann erkannte Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörungen im eigenen Geschäftsbereich unverzüglich abstellen. Bei unmittelbaren Zulieferern muss wiederum ein Plan zur schnellstmöglichen Beseitigung und Minimierung der Verstöße erstellt werden. Bei mittelbaren Zulieferern müssen Auftraggeber anlassbezogen tätig werden.
Auf die letztendlich etwa 3.000 vom Gesetz betroffenen Unternehmen – ab 2024 greift es bereits ab 1.000 Mitarbeitenden – kommen damit neue Aufgaben zu. Im Wesentlichen bestehen diese laut Initiative Lieferkettengesetz darin, ein Risikomanagement einzurichten, regelmäßig Risikoanalysen zu möglichen Menschenrechts- und Umweltverstößen in der Lieferkette zu erstellen, ein Beschwerdeverfahren einzurichten und die Sorgfaltspflichtaktivitäten zu dokumentieren.
Wirtschaftsverbände beklagen bürokratischen Aufwand
Darüber, wie stark die Belastungen für die Wirtschaft werden und wie groß der Nutzen des Gesetzes ist, gehen die Meinungen auseinander. Die Initiative Lieferkettengesetz, ein Bündnis von mehr als 125 Organisationen, hebt hervor, dass zum ersten Mal ein Gesetz in Deutschland Unternehmen dazu verpflichte, „Verantwortung für die Menschen in ihren Lieferketten zu übernehmen“, wie Koordinatorin Johanna Kusch sagt. Sie kritisiert aber auch: „Das Gesetz umfasst zu wenige Unternehmen und macht zu viele Ausnahmen bei den Sorgfaltspflichten. Es verweigert Betroffenen den Anspruch auf Schadensersatz und setzt leider kein Zeichen für den Klimaschutz in Lieferketten.“
Skeptischer zeigen sich Unternehmens- und Wirtschaftsvertreter. Das Gesetz stelle „die Unternehmen unter Generalverdacht und bürdet ihnen unnötig Bürokratie auf“, beklagt etwa Thilo Brodtmann, Hauptgeschäftsführer des Maschinen- und Anlagenbauverbands VDMA. Er spricht sich für eine europäische Regelung der Problematik aus. Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe (ZDB), warnt besonders vor Folgen für die eigentlich gar nicht direkt adressierten kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). Großunternehmen könnten ihre Lieferkettenverantwortung auf die KMU abwälzen. Diesen drohe dann durch neue Dokumentations- und Berichtspflichten die Überlastung.
In der Tat seien KMU mittelbar durch das Lieferkettengesetz betroffen, bestätigt Ceren Yildiz, wissenschaftliche Mitarbeiterin „Umweltschutz in Lieferketten“ beim BUND, UmweltDialog auf Nachfrage. Sie unterlägen aber nicht der gleichen behördlichen Kontrolle und Durchsetzung und müssten nicht dieselben Auskunfts- und Risikomanagementpflichten erfüllen.
Mittelständische Unternehmen wünschen sich Rechtssicherheit
Anders als es die großen Verbände darstellten, nehme er gerade bei mittelständischen Unternehmen Unterstützung für die Ziele des Gesetzes dar, merkte dagegen Friedel Hütz-Adams, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der ökumenischen Organisation Südwind e.V., kürzlich gegenüber der Presse an. Die Unternehmen forderten vor allem Rechtssicherheit. Denn derzeit verfügten sie nicht über ausreichend Möglichkeiten, ihrerseits ihre Zulieferer zu kontrollieren. Zu mehr Gelassenheit rät auch der Unternehmensberater und ehemalige Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung Markus Löning im Interview mit der taz: „Firmen werden sich zusammenschließen, um Standardverfahren zu entwickeln, die dem einzelnen Unternehmen einen Teil der Arbeit abnehmen. Branchenverbände arbeiten an solchen Lösungen, wir ebenso.“
Im Sinne der Rechtssicherheit bringt das Lieferkettengesetz tatsächlich einige Verbesserungen, hebt die Initiative Lieferkettengesetz hervor. Unternehmen, die von Menschenrechtsverletzungen in ihrer Lieferkette erfahren, könnten nun das zuständige Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) zum Eingreifen veranlassen. Dieses kann konkrete Maßnahmen anordnen. Sogar Zwangsgelder von bis zu 50.000 Euro sind möglich. Bei wiederholten Verstößen können Betriebe sogar für drei Jahre von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen werden.
Auch deutsche Lieferketten müssen kontrolliert werden
In Deutschland ansässige Unternehmen müssen sich nun also mehr Gedanken über ihre Lieferketten machen – und zwar auch über die inländischen Zulieferbeziehungen. Denn auch wenn globale Lieferketten – wie etwa für Kakao, Aluminium oder Kleidung – in menschenrechtlicher Hinsicht besonders problematisch sind, herrscht auch in der Bundesrepublik keineswegs eitel Sonnenschein. Die Initiative Lieferkettengesetz nennt unter anderem die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie, die schlechtere Bezahlung von Frauen sowie die Arbeitsbedingungen und das Lohndumping in der Logistikbranche.
Heißt das konkret, dass deutsche Unternehmen, die für ihre Kantine Lebensmittel eines Fleischverarbeiters beziehen, der wegen seiner schlechten Arbeitsbedingungen ins Gerede gekommen ist, nun eingreifen müssen? Ja, sagt Ceren Yildiz zu UmweltDialog: „Menschenrechtsbezogene Pflicht bedeutet für Unternehmen, dass sie menschenrechtlichen Risiken vorzubeugen haben oder die Verletzung von Menschenrechten zu minimieren oder zu beenden haben. Diese Maßgabe gilt für den eigenen Geschäftsbereich, den der Zulieferer und bei substantiierter Kenntnis auch für mittelbare Zulieferer.“ So sei es in Paragraf 2 des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz geregelt. Sofort abgebrochen werden muss die Geschäftsbeziehung gemäß Paragraf 7 nicht. Scheiterten Verbesserungsbemühungen aber, könne auch dieser Schritt nötig werden.
Nachhaltigkeit gehört zum Qualitätsmanagement dazu
Auch über das neue Lieferkettengesetz hinaus müssen Unternehmen ihre Lieferkette im Blick behalten. So definieren etwa einige Qualitätsmanagementstandards Kriterien zur Lieferantenbewertung. In der Automobilindustrie ist etwa ein Self-Assessment-Fragebogen üblich. Nach dem aktuellen Standard SAQ 4.0, wie ihn etwa Volkswagen oder BMW anwenden, werden Ressourcen- und Energieverbräuche, aber auch die Einhaltung von Sozialstandards und die Arbeitsbedingungen in der Lieferkette abgefragt.
Eine andere Möglichkeit besteht darin, dass die Zulieferer ihre Nachhaltigkeitsleistungen bereits im Vorfeld klassifizieren lassen. Ein entsprechendes Nachhaltigkeitsrating bietet etwa Ecovadis an. Auch internationale Zertifizierungsgesellschaften wie DQS führen Lieferantenbewertungen unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten durch.
Nicht zuletzt enthalten internationale Konventionen und Normen Standards zu ökologischer Verantwortung, sozialer Nachhaltigkeit und ethischem Geschäftsverhalten, so der EU-Öko-Audit EMAS und die Umweltmanagement-Norm ISO 14001. Für den Bereich der sozialen Verantwortung gibt es die Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO und die zehn Prinzipien des UN Global Compact.