„Grüner“ Wasserstoff: The Linde Group startet mit Glycerin und neuem Öko-Verfahren
Wasserstoff steht derzeit bei Automobilkonzernen als umweltfreundlicher Kraftstoff im Blickpunkt. Branchenvertreter geben sich mittlerweile zuversichtlich, dass noch in diesem Jahrzehnt Wasserstoff-Fahrzeuge in nennenswerten Stückzahlen auf die Straße kommen. Nur: Sollen die Wasserstoff-Autos künftig vollständig CO2-frei fahren, muss zuvor auch der Wasserstoff nachhaltig produziert worden sein - und das möglichst kostengünstig. Der Technologiekonzern The Linde Group hat eine derartige Technik zur Herstellung von „grünem“ Wasserstoff entwickelt. Langfristig will das Unternehmen damit nicht nur den Bedarf der Autoindustrie decken.
30.07.2010
Der promovierte Bio-Verfahrenstechniker hält für seinen Arbeitgeber nach neuen zukunfts- und absatzträchtigen Technologien Ausschau und ist von der Tauglichkeit des Rohstoffs Glycerin für die Wasserstoffgewinnung überzeugt. Linde, sagt er, habe das in umfassenden Studien und Laborversuchen nachgewiesen. Glycerin weist demnach gegenüber fossilen oder erneuerbaren Energieträgern, die ebenfalls zur Wasserstoffgewinnung genutzt werden können, entscheidende Vorteile auf: „Glycerin“, erklärt Mostertz, „verfügt über einen hohen Wasserstoff-Anteil und konkurriert nicht mit der Produktion von Lebensmitteln“. Außerdem sei es leicht zu transportieren, ungiftig und ganzjährig verfügbar.
Mit Glycerin, sagt der Ingenieur, stehe damit ein potenziell „grüner“ Rohstoff für die Wasserstoffproduktion bereits zur Verfügung. Was fehle, sei ein ebenso „grüner“ wie kostengünstiger Prozess zur Umwandlung des Glycerins in Wasserstoff. Dass ein solches Verfahren möglich ist, will Linde in Leuna demonstrieren. Der Dax-30-Konzern erprobt dort ab Herbst die sogenannte Pyroreformierung, eine von Linde entwickelte Technik zur Wasserstoffgewinnung aus Rohglycerin. Der Ausgangsstoff Rohglycerin wird dabei nur von den Salzfrachten befreit, dann in einem zweistufigen chemisch-thermischen Verfahren unter hohem Druck und bei Temperaturen von mehreren Hundert Grad Celsius aufgespaltet. Das dabei entstehende wasserstoffreiche Gas wird in die Rohgasschiene von Lindes bestehenden Wasserstoffanlagen eingespeist und so weiter bis zur erforderlichen Produktreinheit konzentriert. Optional kann der gasförmige grüne Wasserstoff direkt in Leuna verflüssigt werden.
Mostertz sagt, im Labormaßstab habe sich gezeigt, dass diese von Linde zum Patent angemeldete Technologie sehr gut funktioniere. Sie biete gegenüber konventionellen Verfahren zur Glycerinnutzung einige Vorteile: So könne die Linde-Anlage auch sogenanntes Rohglycerin für die Gewinnung von Wasserstoff nutzen, wodurch der hohe Energieaufwand für die sonst nötige Reinigung des Rohstoffs drastisch reduziert werden kann. Außerdem entstehe bei der Pyroreformierung Abwärme, was laut Mostertz „viele Chancen zur Energieintegration“ mit sich bringe.
Eingesetzt werden soll der „grüne“ Flüssigwasserstoff unter anderem in Städten wie Berlin und Hamburg, wo bereits Pilotprojekte im Rahmen der Clean Energy Partnership (CEP) zur Nutzung von Wasserstoff als Treibstoff laufen. Linde engagiert sich zudem mit anderen großen Konzernen wie Daimler und Shell im Projekt „H2 Mobility“ für den Aufbau eines flächendeckenden Netzes an Wasserstofftankstellen und der weiteren Kommerzialisierung des Zukunfts-Treibstoffs. Parallel forscht das Unternehmen aber auch an alternativen Formen der nachhaltigen Wasserstofferzeugung, wie zum Beispiel die Biomasse-Feststoffvergasung und die Windelektrolyse. Genauso wie bei der Gewinnung von erneuerbarer Energie wird auch Wasserstoff in Zukunft mit einer Vielzahl von verschiedenen Technologien nachhaltig produziert werden. Da die Biorohstoffe häufig nur begrenzt lokal verfügbar sind, werden die zukünftigen „grünen“ Produktionsanlagen einen eher dezentralen Charakter besitzen und kleinere Kapazitäten als heutige Reformeranlagen aufweisen.
Innovations-Manager Mostertz sieht für „grünen“ Wasserstoff auf der Basis verschiedener Produktionstechnologien große wirtschaftliche Chancen - zumal Linde dessen Einsatz nicht auf Treibstoff für Mobilität beschränken will. „Langfristig möchten wir erreichen, dass nicht nur die Autoindustrie, sondern alle Großabnehmer auf grün und kostengünstig hergestellten Wasserstoff zugreifen können“. Darin lägen auch die größten Klimaschutzpotenziale, da Erdölraffinerien oder die chemische Industrie bereits heute und auch in Zukunft sehr große Mengen Wasserstoff benötigen.
Um „grünen“ Wasserstoff in den erforderlichen Mengen zu wettbewerbsfähigen Preisen herstellen zu können, sind laut Mostertz vor allem Praxistests nötig. „Die Wirtschaftlichkeit unseres Verfahrens ist in greifbarer Nähe“, sagt er. Um ihr noch näher zu kommen, bedürfe es jedoch größerer Anlagen als die derzeit in Leuna entstehende Pilotanlage. „Für eine wirtschaftlich tragfähige Produktion muss der Wasserstoff-Ausstoß der Anlage noch mindestens um den Faktor 60 steigen“, so der Energieexperte. Daher gehe es jetzt in erster Linie darum, die Technik weiter zu verfeinern, um ihren Einsatz noch kostengünstiger zu machen.
Dass es einen attraktiven Markt für die nachhaltige Alternative zur herkömmlichen Wasserstoffproduktion gibt, steht für Mostertz außer Frage - nicht nur aufgrund der Absichten der Automobilindustrie, sondern auch wegen des geschärften Nachhaltigkeitsbewusstseins der Öffentlichkeit und der eigenen Kunden: „Wir werden immer häufiger gefragt“, so der Manager, „wie nachhaltig wir unseren Wasserstoff eigentlich herstellen“. Mit der Pyroreformierung gebe Linde darauf eine erste Antwort.