Tchibo schaut bei tierischen Produkten genau hin
Wer Bilder von industrieller Schaf-Schur gesehen hat, findet Woll-Pullis vielleicht nicht mehr so kuschelig. Der Glanz von Nagellack verblasst beim Gedanken an Fischschuppen in den Inhaltsstoffen. Für die Herstellung vieler Produkte müssen Tiere leiden. Tchibo achtet bereits lange auf das Tierwohl. Mit der „Animal Welfare Policy“ wurde Tierschutz nun zum Unternehmensziel erklärt.
07.01.2021
Immer mehr Verbraucher wollen sich ohne Fleisch oder tierische Produkte ernähren. Zu einer mehr oder minder veganen Lebensweise bekennen sich derzeit laut Statista bereits 1,13 Millionen Deutsche – Tendenz steigend. Um 37 Prozent stieg in Deutschland die Produktion vegetarischer und veganer Fleischersatzprodukte zwischen dem ersten Quartal 2019 und dem gleichen Zeitraum 2020, hat das Statistische Bundesamt ermittelt.
Wer vegan lebt, möchte meist aus ethischen Gründen nichts konsumieren, für das Tiere leiden mussten, erläutert die Tierrechtsorganisation PETA. Das bedeutet nicht nur den Verzicht auf Fleisch, Fisch, Eier, Wolle, Leder und vieles mehr. Streng genommen sind sogar Zoo- und Zirkusbesuche genauso tabu wie das Reiten auf Pferden.
Ob streng vegan oder generell aufs Tierwohl bedacht: Es ist oft schwer zu erkennen, welche Waren Tierleid verursachen. Denn viele Produkte enthalten „versteckte“ tierische Inhaltsstoffe: Fruchtsäfte werden beispielsweise mit Hilfe von Gelatine geklärt, weiß das Portal stylebook.de. Nagellack kann Guanin aus Fischschuppen enthalten. In Putzmitteln und Kosmetik finden sich bisweilen tierische Fette, in Zahnpasta Knochenmehl. Sogar für Bildschirme, Kameras und Smartphones können Tierprodukte verarbeitet werden.
Folglich müssen Unternehmen, die tierleidfreie Produkte anbieten möchten, ihre Lieferkette ganz genau unter die Lupe nehmen. Für Tchibo ist Tierwohl bereits seit 2008 fester Teil des Nachhaltigkeitsengagements. Gerade erst hat das Handelsunternehmen seine neue, ganzheitlich ausgerichtete „Animal Welfare Policy“ vorgestellt. Tierschutz ist nunmehr fest in den Unternehmensleitlinien verankert. Gehandelt werden soll nach folgendem Grundsatz: „Wir wollen nur dann Materialien tierischen Ursprungs für unsere Produkte einsetzen, wenn wir sicherstellen können, dass dafür kein Tier unwürdigen Bedingungen ausgesetzt ist.“
Die Tierwohlstrategie orientiert sich an den fünf Freiheiten des Tierwohls, die ursprünglich von einer Vorgängerorganisation des jetzigen britischen „Animal Welfare Council“ fomuliert wurden: Demnach steht Tieren die Freiheit von Hunger, Durst und Fehlernährung, von Unbehagen, von Schmerz, Verletzung und Krankheit sowie von Angst und Leiden zu. Außerdem soll allen Tieren die Freiheit zum Ausleben ihres normalen Verhaltens zugebilligt werden.
In mehreren Schritten zu mehr Tierwohl
Auf dieser Basis definiert Tchibo für alle tierbasierten Materialien aus seinem Sortiment Ziele und Maßnahmen für die nächsten Jahre. Dabei wird laut Unternehmensmitteilung mehrstufig vorgegangen: Langfristig sollen überall wo im Sortiment möglich tierfreie Alternativen aus pflanzlichen oder synthetischen Materialien angeboten werden. Zunächst einmal werden allerdings bestimmte Risikomaterialien sowie Zulieferprodukte aus Risikogebieten aus dem Sortiment ausgeschlossen. So vertreibt Tchibo beispielsweise bereits keine Produkte mit Tierfellen, Echtpelz, Angora-, Alpaka- und Mohairwolle mehr. Stattdessen werden dort, wo es sinnvoll erscheint, recyceltes Kaschmir, synthetische Daunen oder andere vegane Alternativen eingesetzt.
In einem weiteren Schritt werden bei anderen problematischen Materialien soweit wie möglich nur Produkte mit anerkannten Zertifizierungen verwendet. So ist Tchibo beispielsweise schon seit 2013 Mitglied der Initiative „Fur Free Retailer“ und garantiert sogar schon seit 2006, dass keine Pelz- und Leder-Produkte angeboten werden, für deren Herstellung eigens Tiere gehalten wurden. Federn und Daunen für Heimtextilien müssen dem Downpass-Standard oder alternativ dem „Responsible Down Standard“ entsprechen. Im Bekleidungssortiment wird auf recycelte Daunenqualitäten gesetzt. Schafwolle soll künftig ausschließlich aus extern überprüften, tierwohlgerechten Haltungen bezogen werden. Speziell Merinowolle will Tchibo ab 2022 nur noch von Zulieferern beziehen, die den „Responsible Wool Standard“ (RWS) einhalten. Dadurch soll unter anderem verhindert werden, dass Merinolämmer dem sogenannten „Mulesing“ unterzogen werden. Dabei werden ohne Betäubung gewisse Hautpartien rund um den Schwanz entfernt.
Ähnlich wie für das Non-Food-Sortiment legt die Animal Welfare Policy auch Grundsätze für die Lebensmittel in den Gastrobereichen der Tchibo-Shops fest. Hier reichen die vorgestellten Maßnahmen von der Erprobung veganer und vegetarischer Alternativen zu Fleisch und Fisch bis hin zum Verzicht auf Eier aus Käfig- und Kleingruppenhaltung und grundsätzlich der vermehrten Nutzung von Bioprodukten.
Tierschutzorganisationen loben das Engagement
Einer der wichtigsten Schritte auf dem Weg zu mehr Tierwohl ist für Tchibo die volle Transparenz über die Lieferkette. Wie komplex diese Aufgabe ist, verdeutlichen einige Zahlen: Allein im vorigen Jahr wurden für Tchibo-Produkte 50 Tonnen Schafwolle von 12.000 Schafen, 30 Tonnen Daunen und Federn von 200.000 Vögeln und 63 Tonnen Leder von Kühen verarbeitet. Die Daten präsentierte Moderator Ralf Podzus in der Folge „Über tierische Kleidung im Winter“ des Unternehmenspodcasts „Fünf Tassen täglich“. „Das ist ehrlicherweise nicht alles artgerecht verarbeitet“, räumte Tchibo-Nachhaltigkeitsmanagerin Sabrina Müller ein, die in der Sendung mit Frank Schmidt von der Tierschutzorganisation PETA und Denise Schmidt von „Vier Pfoten“ über die Tierwohl-Grundsätze diskutierte.
Sowohl PETA als auch „Vier Pfoten“ lobten laut Tchibo-Mitteilung das Tierschutzengagement des Unternehmens trotzdem: „Tierwohl ist nur schwer vereinbar mit der kommerziellen Nutzung von Tierfellen und Federn. Dennoch sehen wir Tchibo im oberen Segment“, sagte Denise Schmidt. Zwar empfehle man Unternehmen grundsätzlich, auf tierleidfreie Produkte umzustellen, ergänzte Frank Schmidt, fügt aber hinzu: „Ich würde Tchibo dennoch gut bewerten, da das Thema Tierwohl ernst genommen wird.“
Wie schlecht es oft noch um das Tierwohl bestellt ist, untermauerten die beiden Tierschutz-Aktivisten im Tchibo-Podcast mit zahlreichen Beispielen – von der Intensivhaltung von Schweinen und Rindern über die Stopfmast von Gänsen und den Lebend-Rupf von Federvieh bis hin zur Fesselung von zu scherenden Kaschmirziegen in China und der Mongolei.
Selbst artgerecht und naturnah erscheinende Haltungsbedingungen können problematisch sein, berichtete Denise Schmidt. So wirke die Schafhaltung in Australien oder Neuseeland auf sehr großen Weideflächen auf den ersten Blick geradezu idyllisch. Dort seien sie aber weitgehend sich selbst überlassen, so dass Verletzungen oder Erkrankungen nicht erkannt und behandelt werden. Kontakt zu Menschen gebe es nur bei der Schur, bei der die Scherer oft grob und gewalttätig mit den Schafen umgingen – eine traumatische Situation für die sensiblen Tiere!