CO2 als Rohstoff in der Chemie
Ob zur Energieversorgung oder als Rohstoff: Die chemische Industrie ist auf fossile Energieträger angewiesen. Um sein Chemiegeschäft nachhaltig und klimaneutral zu machen, sucht Evonik nach alternativen Lösungsansätzen. So erforschen die Essener etwa ein Verfahren zur Nutzung von CO2 als Rohstoff.
29.04.2024
„Die Chemieindustrie ist ein Schwergewicht beim CO2-Ausstoß, dem für die Transformation Deutschlands eine Schlüsselrolle zukommt“, sagt Viviane Raddatz, Klimachefin beim World Wide Fund For Nature (WWF) Deutschland. Die Umweltstiftung hat jetzt eine Liste der zwölf Chemieparks mit den höchsten CO2-Emissionen veröffentlicht. Laut WWF erzeugten diese 2022 rund 23 Millionen Tonnen CO2. Sie seien somit für rund drei Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen verantwortlich.
Das Problem: Die Branche verbraucht bei der Produktion viel Energie, die zu großen Teilen aus fossilen Energieträgern wie Erdgas stammt. Wie der Verband der chemischen Industrie (VCI) mitteilt, ist sie mit einem Anteil von 15 Prozent der größte Verbraucher von Erdgas in Deutschland. Eine nachhaltige Energieversorgung ist daher eine wichtige Voraussetzung dafür, dass sich die Branche nachhaltig transformieren und auf dem Pfad in Richtung Klimaneutralität vorankommen kann.
Defossilierung der Chemieindustrie
Auch das Spezialchemieunternehmen Evonik hat sich vorgenommen, unabhängig von fossilen Energieträgern zu werden und fasst dieses Bestreben mit dem Begriff „Defossilierung“ zusammen. Dazu gehört auch, mehr „Grünstrom“ einzusetzen. Konkret heißt das: Der extern bezogene Strom soll bis 2030 zu 100 Prozent auf erneuerbare Quellen umgestellt werden. Zurzeit liegt der Anteil bei 35 Prozent. Dafür setzen die Essener auch verstärkt auf Direktlieferverträge, sogenannte Power Purchase Agreements (PPAs).
Eine nachhaltige Energieversorgung ist aber nicht alles. „Weniger Ressourcenverbrauch, mehr Recycling und bessere Materialeffizienz sind einige der Stellschrauben, die bisher noch zu wenig Beachtung finden“, so Viviane Raddatz vom WWF. Auch die Rohstoffe spielen eine zunehmend wichtigere Rolle, wenn es darum geht, dass die Chemieindustrie nachhaltiger und klimafreundlicher wird.
Im Innovationsmagazin „Elements“ von Evonik erklärt Professor Ferdi Schüth, Direktor des Max-Planck-Instituts für Kohlenforschung: Den größten Effekt beim Klimaschutz in der Chemieindustrie werde man „über eine nachhaltige Rohstoffbasis und eine nachhaltige Energieversorgung erzielen. Es ist wichtig, jetzt so schnell wie möglich voranzugehen, indem man die Glieder der Wertschöpfungskette beibehält, aber auf eine nachhaltige Basis setzt.“
Welche Möglichkeiten gibt es hierfür bei den Rohstoffen? Schüth führt aus: „Wir müssen weg von unseren Grundchemikalien, die auf Öl oder Gas beruhen. Und das schaffen wir nur, wenn wir CO2, Biomasse oder Abfallstoffe – insbesondere Plastik – als Quelle für Kohlenstoff nutzen.“ CO2 als Rohstoff? Was zunächst paradox klingt, wird – über die Chemieindustrie hinaus – inzwischen als aussichtsreiche Lösung diskutiert. So hat auch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) eine „Carbon Management Strategie“ und einen darauf basierenden Gesetzentwurf erarbeitet. Beides wurde Ende Februar vorgelegt und soll die Abscheidung und Speicherung (Carbon Capture and Storage, CCS) oder Nutzung (Carbon Capture and Usage, CCU) von CO2 in Deutschland ermöglichen.
„Wir treffen heute eine pragmatische und verantwortungsvolle Richtungsentscheidung: CCS und CCU sollen in Deutschland ermöglicht werden. Sonst sind die Klimaziele unmöglich zu erreichen. Die Technologie ist auch wichtig für die Wettbewerbsfähigkeit unseres Industriestandorts Deutschland. Ein Verzicht darauf würde uns Wettbewerbsnachteile verschaffen und uns teuer zu stehen kommen“, so Bundesminister Habeck in einer Pressemitteilung des BMWK.
Elements 3/22Plasma
2Wie kann man sich die Nutzung in der Chemie vorstellen? Das erforscht Evonik derzeit mit Partnern in dem Projekt „PlasCO2“, das im Januar 2023 gestartet ist. Die Abkürzung steht für „Plasmainduzierte Generierung von Kohlenmonoxid aus Kohlendioxid und dessen chemische Verwertung“. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert das Projekt mit mehr als 1,8 Millionen Euro.
Über die sogenannte Reverse-Water-Gas-Shift-Reaktion – CO2 plus Wasserstoff ergibt CO und Wasser – wird Synthesegas erzeugt. Dieses braucht Evonik beispielsweise, um seine C4-Chemikalien herzustellen. Wem der Name C4 nicht geläufig ist: C4 steht für Nebenprodukte der Rohölverarbeitung, die vier Kohlenstoffmoleküle in ihren Ketten enthalten. C4-Chemikalien kommen wiederum als Rohstoff in Weichmachern für PVC oder Synthesekautschuk für Autoreifen zum Einsatz.
„Wenn es uns gelingt, Kohlendioxid als Rohstoff zu erschließen, würden wir nicht nur einen erheblichen Beitrag zur Verminderung des CO2-Fußabdrucks leisten, sondern wir würden uns auch eine völlig neue Art der Chemie zunutze machen“, ist Professor Dr. Robert Franke, Leiter der Hydroformylierungsforschung bei Evonik Performance Intermediates und Koordinator des Projekts, überzeugt.
Mehr über das Projekt „PlasCO2“ erfahren Sie HIER.