Merck entkoppelt Emissionen und Umsatz
Steigender Umsatz gleich steigende Emissionen? Ein Naturgesetz ist das nicht. Dem Wissenschafts- und Technologiekonzern Merck gelingt es, beide Faktoren voneinander zu entkoppeln. Dennoch wartet beim Klimaschutz noch viel Arbeit, wie der aktuelle Nachhaltigkeitsbericht zeigt. Anlässlich des 350. Firmenjubiläums betonte Merck-Chef Stefan Oschmann, das lange Bestehen verdanke man einem traditionell festen Wertekanon.
12.06.2018
Um über so lange Zeit am Markt erfolgreich zu sein, komme es nicht nur darauf an, was ein Unternehmen mache, so der Vorsitzende der Geschäftsleitung und Vorstandsvorsitzende des Dax-Konzerns. „Genauso wichtig ist das ‚Wie‘“. Und auf dieses „Wie“ lege man bei Merck sehr viel Wert. Verantwortung sei dabei ein Schlüsselbegriff, so Oschmann, eine verantwortungsvolle Unternehmensführung „nicht Gegensatz, sondern Bedingung von nachhaltigem wirtschaftlichem Erfolg“.
Wirtschaftlich hat dieser Kurs dem Unternehmen gutgetan: 2017 stieg das Jahresergebnis um fast 60 Prozent auf eine neue Rekordhöhe von 2,6 Milliarden Euro. Der Konzernumbau, in dessen Zuge sich Merck im vergangenen Jahrzehnt von einem klassischen Chemie- und Pharmaunternehmen zu einem globalen Wissenschafts- und Technologiekonzern gewandelt hat, trägt Früchte: Zwischen 2006 und 2017 konnte Merck seine Umsätze mehr als verdoppeln, auf aktuell 15,3 Milliarden Euro.
Umsätze hoch, Emissionen runter
Die gute Nachricht: Die von Merck verursachten Treibhausgasemissionen sind nicht im selben Tempo wie der Umsatz gestiegen. 2017 lagen sie mit 731.000 Tonnen zwar 20.000 Tonnen über dem Vorjahr. Insgesamt geht der Trend aber nach unten. Der Nachhaltigkeitsbericht weist ein Minus von rund acht Prozent seit dem Jahr 2006 auf. Vor allem im Verhältnis zum Umsatz sanken die Emissionen spürbar. Ob das Tempo reicht, damit der Konzern sein selbstgestecktes Klimaziel erreicht? Bis 2020 soll nämlich ein Minus von 20 Prozent gegenüber 2006 stehen.
Zuletzt hatte Merck zudem mit Schwierigkeiten in seinem „Edison“ getauften Klimaschutzprogramm zu kämpfen. In dessen Rahmen wollte man bis zum Jahresende 2017 eigentlich 81 neue Projekte an den Start bringen, von denen jedoch nur die Hälfte tatsächlich umgesetzt oder in die Wege geleitet wurden. Merck führt dazu im Nachhaltigkeitsbericht „technische Gründe“ an. Durch sie hätten geplante Einsparungen von bis zu 34.000 Tonnen CO2 nicht erzielt werden können. Den Angaben zufolge hat das Top-Management letztes Frühjahr einen Fahrplan verabschiedet, um die Lücken zum Klimaziel fristgerecht zu schließen.
Dimmbare Fester kommen
Der Umbau des Konzerns geht derweil mit großen Schritten voran. Arzneien und medizinische Geräte spülen zwar weiterhin das meiste Geld in die Kassen der Darmstädter. Gute Geschäfte machen sie inzwischen aber auch mit ihrem Unternehmensbereich „Performance Materials“, der Spezialchemikalien und Hightech-Materialien entwickelt, energieeffiziente Displays etwa oder organische Photovoltaik-Module, die sich durch hohe Flexibilität sogar in Kleidung einsetzen lassen. Noch dieses Jahr will Merck außerdem mit der Auslieferung „schaltbarer Fenster“ beginnen: Durch eine neue Technologie können die in Sekundenschnelle stufenlos gedimmt werden und so die Energierechnung für die Klimaanlage kappen. Energieeinsparungen von bis zu 40 Prozent sollen so möglich sein.
„Grüne Chemie“ auf Vormarsch
„Grün“ ist auch die Marschrichtung der Life-Science-Forscher von Merck, die Produkte und Lösungen für Labore, biotechnologische Unternehmen und Arzneimittelhersteller entwickeln. Ein jüngeres Beispiel ist das von ihnen ersonnene Lösungsmittel Cyrene, das der Konzern als nachhaltige Alternative zur Ameisensäure führt, der erbgutverändernde Eigenschaften zugeschrieben werden. Cyrene basiert auf Abfallzellulose, ist somit umweltverträglicher, leichter biologisch abbaubar und einfacher zu recyceln. 2017 wurde das Lösungsmittel als „European Bio-Based Chemical Innovation of the Year“ ausgezeichnet.
Merck gibt an, mehr als 750 Produkte im Portfolio zu haben, die wie Cyrene den Prinzipien der „Grünen Chemie“ folgen. Abnehmer sind vor allem Kunden aus der pharmazeutischen und agrochemischen Industrie, die damit umweltfreundlicher produzieren können. Die Geschäftsaussichten für die Sparte sind rosig. Die Berater von McKinsey schätzen, dass der weltweite Markt für solche biobasierten Produkte kräftig wächst: von rund 200 Milliarden US-Dollar im Jahr 2015 auf fast 500 Milliarden bis 2024. Merck hat darauf vergangenes Jahr unter anderem mit der Eröffnung eine neuen Life-Science-Zentrums in den USA reagiert, im Großraum Boston, dem weltweiten Zentrum für Biotechnologie.
Besserer Zugang zur Gesundheitsversorgung
Noch erwirtschaftet der global tätige Konzern einen Großteil seiner Umsätze mit Produkten und Diensten rund um die Gesundheit. Im Geschäftsjahr 2017 trugen sie 46 Prozent zum Konzernumsatz bei. Um auch in armen Ländern den Zugang der Menschen zur Gesundheitsversorgung zu verbessern, verfolgt Merck seit Jahren eine sogenannte „Access-to-Health-Strategy“. Der Konzern will damit die Not der geschätzten 400 Millionen Menschen weltweit lindern, denen der Zugang zu einer wirksamen und bezahlbaren medizinischen Grundversorgung fehlt.
Ein Beispiel für dieses Engagement ist der Kampf gegen die Tropenkrankheit Bilharziose, die durch winzige Wurmlarven übertragen wird und die inneren Organe befallen kann. Die Darmstädter wollen die tückische Infektionskrankheit eliminieren und spenden seit zehn Jahren Tabletten, die den Würmen den Garaus machen, an die Weltgesundheitsorganisation WHO. Laut Nachhaltigkeitsbericht gingen alleine 2017 rund 150 Millionen Tabletten in 26 afrikanische Länder. Seit 2007 habe man über 150 Millionen Patienten, vor allem Kinder, behandelt.
Dieses Engagement will der Dax-Konzern künftig noch ausweiten. Vergangenes Jahr hat er dazu das Merck Global Health Institute ins Leben gerufen, das laut Vorstandschef Oschmann „innovative und integrierte Gesundheitslösungen für bedürftige Bevölkerungsgruppen in Entwicklungsländern entwickeln“ soll. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit liegt auf der Entwicklung einer neuen Therapie gegen Bilharziose, die sich auch für Kinder unter sechs Jahren eignet. Derzeit können sie mit der Standardtherapie nicht behandelt werden. Das, sagt Oschmann, „möchten wir ändern“.
Über den Bericht
Die Merck KGaA hat ihren Corporate-Responsibility-Bericht für das Jahr 2017 Ende April veröffentlicht. Er wurde in Übereinstimmung mit den „GRI-Standards: Option Umfassend“ erstellt; seine wesentlichen Inhalte wurden aus den Ergebnissen einer konzerninternen Materialitätsanalyse abgeleitet. Der vorliegende Bericht ist der mittlerweile neunte in der Reihe. Zwischen 1993 und 2003 hatte Merck bereits in Umweltberichten über seine unternehmerische Verantwortung informiert.