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„Es ist absurd, zu bauen, um das Klima zu verbessern“

„Nachhaltigkeit begleitet mich schon mein ganzes Berufsleben“, sagt Architekt Thomas Bolwin. Im Interview mit UmweltDialog erklärt er, wo die Grenzen und Herausforderungen der Nachhaltigkeit liegen und weshalb es sich lohnen kann, an Altem festzuhalten, anstatt immer auf den neuesten Trend aufzuspringen.

09.09.2022

„Es ist absurd, zu bauen, um das Klima zu verbessern“

UmweltDialog (UD): Vor dem Hintergrund Ihrer langjährigen Erfahrung als Geschäftsführer der Partnergesellschaft BOLWIN | WULF Architekten: Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit bei der Bauplanung – heute verglichen mit vor zwanzig Jahren?

Thomas Bolwin: Wir haben schon in den Neunzigern bei jedem Wettbewerb ein energetisches Schmankerl beigelegt. Damals war das eher ein Tüpfelchen auf dem i. Heute gehört es zum Selbstverständnis unseres Berufsstands. Es wird zu Recht erwartet, dass Nachhaltigkeit ein grundlegender Bestandteil unserer Expertise ist. Ich brauche heute keinem Bauherren mehr gegenübertreten, ohne mich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt zu haben.

UD: Was sind aus Ihrer Sicht die Treiber für diese Entwicklung?

Thomas Bolwin

Bolwin: „Es gibt immer mehr Menschen, die werden immer mehr Energie verbrauchen“ – das hat Helmut Schmidt bereits vor vierzig Jahren gesagt. Es hat eine Weile gedauert, bis das in der Politik angekommen ist. Aber seit den Neunzigern ist sie die treibende Kraft. Allerdings hat diese Entwicklung mittlerweile einen Punkt erreicht, an dem wir sagen müssen: Stopp! Wir können die steigenden Anforderungen – wie ESG-Konformität, EU-Bauprodukteverordnung, immer neue Green-Building-Zertifizierungssysteme – kaum noch innerhalb eines wirtschaftlich sinnvollen Rahmens erfüllen.

Gleichzeitig haben Immobilienentwickler wie auch Planer das Thema Nachhaltigkeit als Marketingstrategien entdeckt. Das nimmt teilweise absurde Züge an, wenn man sich anschaut, dass Bauprojekte konzipiert werden, um das Klima zu verbessern. Das kommt mir ein bisschen so vor, als solle man mehr essen, um abzunehmen. Mit riesigem baulichem Aufwand wird beispielsweise die Grünbilanz von ein paar Dutzend Bäumen erreicht, das wird dann in schönen Piktogrammen präsentiert. Warum pflanzt man nicht einfach diese Bäume an einem sinnvollen Ort, oder noch viele Bäume mehr, und baut dafür einfach? Ein Baumsetzling kostet zwei Euro fünfzig! Das wäre billiger, ökologisch sinnvoller, außerdem könnte man das Holz später für andere Zwecke verwenden. Eben diese Entwicklung ist mit großer Skepsis zu betrachten und ärgert mich nicht nur aus ökologischer Sicht, sondern auch, weil sie dazu beiträgt, dass die Menschen des Themas überdrüssig werden und denken, Ökologie im Bau ist nur durch technischen Mehraufwand zu erreichen und deshalb teuer. Das sollte nicht passieren.

UD: Bereitet das Architekturstudium die Absolventinnen und Absolventen angemessen auf diese Entwicklung vor?

Bolwin: Ich bin nicht in der Lehre tätig, aber ich führe natürlich Bewerbungsgespräche mit Absolventinnen und Absolventen. Man kann festhalten, dass das Thema Nachhaltigkeit grundsätzlich in der Lehre angekommen ist. Wir erwarten aber nicht, dass Absolvent*innen mehr als ein nennenswertes Grundwissen zur Nachhaltigkeit mitbringen. Dies kann eine Hochschule auch nicht leisten, das Thema ist viel zu komplex. Wichtig ist, dass das Interesse geweckt wird. Der Rest kommt in dem Augenblick, in dem man sich in der Arbeit seine Schwerpunkte sucht.

UD: Kommen wir noch einmal auf den Aspekt der Umweltwirkungen von Immobilien zurück. Angesichts des Ziels, bis 2045 klimaneutral zu werden, haben Bestandsgebäude und deren Sanierung eine zentrale Bedeutung. Warum?

Bolwin: Die Gründe liegen doch klar auf der Hand. Da ist zum einen die graue Energie, die sich in den Gebäuden verbirgt. Bauen ist einer der Hauptrohstoffverbraucher auf unserem Planeten. Etwa 50 Prozent der Rohstoffe finden sich in unseren Gebäuden wieder. Und die Beschaffung dieser Rohstoffe kostet Energie. Auch der Abbruch kostet Energie. Was bleibt, sind Bauschuttberge, mit denen wir nichts mehr anfangen können, weil sie nicht sortenrein getrennt werden können.

Rathaus Kassel zoom
Rathaus Kassel

Wir haben zum Beispiel das Rathaus in Kassel saniert, eigentlich eine Bausünde aus den Siebzigerjahren. Eine Hochhausscheibe, welche auch noch in die Achse des Museums Fridericianum gestellt wurde. Das würde heute kein Mensch mehr genehmigen. Dennoch sollte man aber mit überhastetem Abbruch sehr vorsichtig sein, nur weil man denkt: Das können wir heute besser.

Das Gebäude hat sich im Laufe der Sanierung dann auch als ein in jeder Hinsicht eigensinniger Zeitzeuge entpuppt. So sind im Rohbau wunderbare Kassettendecken aufgetaucht, die nun freigelegt sind. Diese geben dem Haus nicht nur mehr Raumhöhe, auch eine gute Akustik war inklusive.
Wir müssen Bestandsgebäuden immer eine Chance geben. Sie zeigen uns Wege auf, die wir heute so gar nicht mehr beschreiten würden. So etwas zu bewahren, hilft einem Gebäude außerdem seine Identität zu finden. Es bedeutet zwar mehr Arbeit, lohnt sich aber, und zwar nicht nur ökologisch, sondern auch baukulturell, und Letzteres sollte nicht unterschätzt werden. Es wird zu häufig nur von der grauen Energie gesprochen, aber Bestandsgebäude bereichern unsere Städte auch vor einem baukulturellen Hintergrund, wenn man nicht alles nach dem neuesten, scheinbar guten Standard egalisiert.

UD: Um dennoch noch einmal beim Thema Ökologie zu bleiben: Sie als Architekt können in der Planungsphase daran mitwirken, das Beste in Sachen Umwelt- und Klimaschutz aus einem Gebäude herauszuholen. Dafür braucht es verlässliche Informationen etwa über den ökologischen Fußabdruck der Baumaterialien, wie zum Beispiel Umweltproduktdeklarationen (EPDs) sie liefern.

Bolwin: EPDs verschaffen uns für den jeweiligen spezifischen Baustoff eine genauere Kenntnis als die, die wir durch die allgemeine Literatur oder Recherche gewinnen. Das ist sehr hilfreich. Der nächste Schritt muss der sein, dass wir einfache Wege finden, Gebäude mit diesen Informationen, die sehr technisch und komplex sind, in ihrer Gesamtheit zu bewerten. Die Betrachtung eines einzelnen Baustoffs ist nur ein kleines, aber wertvolles Mosaiksteinchen. Wichtig ist das Gesamtgefüge. In der praktischen Anwendung für ein Gesamtgebäude, in dem gefühlt tausend Baustoffe vorkommen, ist die Bewertung, also die ökologische Quantifizierung, des Gesamten heute noch schwer handzuhaben. Hier ist man aber auf einem guten Weg, wie das Institut Bauen und Umwelt e.V., einer der führenden Programmbetreiber für EPDs, versichert.

Grand Central Berlin zoom
Grand Central Berlin

UD: Zu Ihren Projekten gehören neben Sanierungsbauten viele unterschiedliche Neu- und Umbauten, darunter Bürogebäude, Hochschulen und Volkshochschulen sowie Verwaltungsgebäude. Die Nutzung solcher Gebäude verändert sich zum Beispiel durch das mobile Arbeiten, das sich in Zukunft vermutlich weiter durchsetzen wird. Wie wirkt sich das auf die Planung aus?

Bolwin: Ja, das stellen wir natürlich auch fest. Ich sitze zwar gerade im Büro, aber bei uns ist das Arbeiten im Homeoffice auch zu einem festen Bestandteil unserer Arbeit geworden. Das flexible Arbeiten ist für einige Tätigkeiten gut anwendbar, für andere ist es nicht praktikabel. In gewissen Arbeitsbereichen mussten wir feststellen, dass die Produktivität sinkt, nicht zuletzt, weil konstruktive und spontane Kommunikation und Interaktion im Büro fehlen, die auch den Mitarbeitenden sehr wichtig sind. Das Arbeiten im Homeoffice hat unseren Alltag erleichtert, aber nur in Verbindung mit anderen Arbeitsformen wird es auch wirklich bereichernd. 

Angefangen hat die Abwendung vom sturen Arbeiten im Zellbüro schon mit dem Kombibüro – einer Entwicklung der Achtzigerjahre aus Skandinavien – mit kleinen, verglasten Büros, breiteren Mittelzonen, angereichert mit Flächen für Kommunikation und Interaktion. Wir haben erst kürzlich ein fünfzehn Jahre altes Projekt von uns mit Kombibüros besichtigt. Die Nutzer:innen sind noch heute total glücklich damit. Man muss also aufpassen, nicht immer gleich aufs nächste Pferd aufzuspringen. Das Arbeiten wird einfach vielfältiger werden.

Eine nachhaltige Konsequenz stellen wir aber fest: Homeoffice trägt, ähnlich wie Desksharing, dazu bei, dass der Bedarf an Büroflächen im Neubau entsprechend heruntergeschraubt werden kann. Das können zwischen zwanzig und vierzig Prozent sein. Allein diese Entwicklung ist sehr begrüßenswert.

UD: Wie machen Sie sich digitale Techniken zunutze, wenn es darum geht, ein Gebäude nachhaltig zu planen?

Bolwin: Wir haben festgestellt: Je höher die Anforderungen an die Gebäude sind, desto wichtiger ist die intensive Kommunikation im frühen Planungsprozess. Bei der aktuellen Bearbeitung eines Wettbewerbs sind wir im Prinzip nur damit beschäftigt, über systemische Dinge zu diskutieren, das heißt über die Frage: Welches konstruktive, ökologische und technische Grundsystem ist stimmig für dieses Objekt und für diesen Ort angemessen? Bei dieser Systemauswahl nützt uns Technik nur sehr begrenzt. Erst im späteren Planungsprozess hilft uns diese dabei, Dinge schnell abzuarbeiten, umzusetzen und zu optimieren. Aber noch mal: Die Komplexität der Themen und die Spezialisierung der Fachplaner:innen haben dazu geführt, dass wir am Anfang mehr miteinander reden und diskutieren müssen.

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UD: Das nachhaltigste Gebäude ist das, was nicht gebaut wird. Ist das nicht ein Zielkonflikt für Sie als Architekt?

Bolwin: Auf keinen Fall. In den Achtzigern hat Frei Otto in einem Vortrag zu uns gesagt: „Bauen Sie so wenig wie möglich.“ Damals haben wir diesen Gedanken noch gar nicht verstanden. Wir haben ihn mit großen Augen angeguckt und dachten: Wir wollen doch alle bauen, dazu lernen wir diesen Beruf. Aber er war eben sehr weitsichtig, und heute wissen wir umso mehr, was er damit gemeint hat.

Bauen ist kein Selbstzweck. Architektur ist kein Konsumprodukt. Wir sind aufgefordert, mit jeder Entscheidung verantwortungsvoll zu handeln. Teil unseres Berufsethos sollte es deshalb auch sein, dass wir die Bauaufgaben selbst stets kritisch hinterfragen – auch in ihrer grundsätzlichen Sinnfälligkeit. Das scheint dem zu widersprechen, dass wir ein laufendes Büro zu finanzieren haben. Aber ich kann sagen, diese Herangehensweise wird von den meisten Bauherren geschätzt, deshalb betrachte ich sie als eine langfristige Investition in die Zukunft.

UD: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Bolwin!

Quelle: UmweltDialog
 

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