Deutscher Kohleausstieg: Auch ohne russisches Erdgas machbar?!
Deutschland hat sich ehrgeizige Klimaschutzziele gesetzt. Bis 2030 sollen die klimaschädlichen Treibhausgase im Vergleich zu 1990 um mindestens 65 Prozent zurückgehen. Bis 2045 will die Bundesrepublik die Klimaneutralität erreichen – also nur noch so viele Emissionen verursachen, wie kompensiert werden können. In Bereichen wie dem Gebäudesektor verstärken sich dahingehende Bemühungen schon seit vielen Jahren.
16.05.2022
Ob es um innovative Dämmmaterialien für möglichst klimafreundliche Bauprojekte geht, um Stromsparen oder um richtiges Heizverhalten. Als einer der wichtigsten Schritte auf dem Weg zur Klimaneutralität gilt der geplante Kohleausstieg. Seit dem russischen Krieg in der Ukraine wird eine mögliche Unabhängigkeit von russischem Öl und Gas diskutiert. Würde ein Lieferstopp von Erdgas aus Russland den Kohleausstieg nicht gefährden? Nein, meint das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung.
Versorgungssicherheit in Deutschland: Was passiert ohne Erdgas aus Russland?
Mit dem Ziel des Klimaschutzes dreht sich in der Bundesrepublik seit Jahren alles um einen möglichst schnellen Umstieg auf erneuerbare Energien. Staatliche Förderungen unterschiedlicher Art schaffen entsprechende Anreize. Ob es um Zuschüsse zu Photovoltaik-Anlagen für grüne Stromversorgung oder effiziente Heiztechnologien auf der Basis von Umgebungswärme geht. Der geplante Kohleausstieg ist das nächste große Ziel. Insbesondere die Verstromung des fossilen Brennstoffs soll so schnell wie möglich der Vergangenheit angehören. Denn jene verursacht pro Kilowattstunde Strom Emissionen von rund 0,36 Kilogramm. Doch bei einem verfrühten Kohleausstieg fürchten viele um die Versorgungssicherheit. Die Erneuerbaren Energien werden in der Bundesrepublik zwar fortlaufend ausgebaut. Trotzdem liefern sie bisher nicht ausreichend und konstant genug Energie, um fossile Brennstoffe schon jetzt vollständig zu ersetzen. Angesichts des für Ende des Jahres geplanten Atomausstiegs und der instabilen Situation rund um russische Kohle- und Erdgaslieferungen wächst in der Bevölkerung die Angst vor Versorgungslücken. Bei einem Gas-Stopp müssten bis zu 43 Terawattstunden ersetzt werden. Hinzu kommen über 60 Terawattstunden, die nach der Abschaltung der bisher aktiven Atomkraftwerke Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim 2 anderweitig erzeugt werden müssten. Grund zur Sorge gibt es trotzdem nicht, wie das DIW Berlin nun in einer Szenariorechnung darstellt.
DIW-Szenariorechnung: Das Wichtigste in Kürze
Schon im kommenden Jahr könnte die Bundesrepublik im Hinblick auf die Stromerzeugung laut DIW fast die Hälfte des Erdgasbedarfs durch andere Quellen ersetzen. Der Atomausstieg könnte wie geplant stattfinden, solange
• die bundesweit betriebenen Braun- und Steinkohlekraftwerke höher ausgelastet werden.
• Netzreserve entsprechender Kraftwerke und Einzelanlagen in Sicherheitsbereitschaft mobilisiert werden.
• importierte Kohle aus Russland nach Lieferstopp durch solche aus dem internationalen Markt ersetzt wird.
• im Falle ungewöhnlich hoher Lastspitzen ungekoppelte Gaskraftwerke als Ersatz genutzt werden.
Zubau an Erneuerbaren Energien als langfristige Perspektive
Schon 2024 könnte die Bundesrepublik die Stein- und Braunkohleverstromung wieder deutlich absenken, falls man den Zubau an Erneuerbaren Energien verschärft vorantreiben würde. Bis 2030 könnte ihr Anteil im Stromsektor bis zu 95 Prozent betragen, wenn die von der Bundesregierung aktuell geplanten Ausbauziele erreicht werden. Insbesondere der Windenergie-Ausbau müsste hierzu angezogen werden. Der restliche Strommix könnte weiterhin aus Erdgas bestehen, das aus Gebieten außerhalb Russlands bezogen werden würde. Nach der Rechnung des DIW würde der Ausfall russischer Energieträger bis 2030 zwar kurzfristig höhere Auslastungen der bundesweit betriebenen Braunkohlekraftwerke zur Folge haben. Die Vorräte dazu seien aber vorhanden, sodass keine weiteren Dörfer zur Braunkohle-Erschließung abgegraben werden müssten.
Was ein russischer Gas-Stopp für deutsche Endverbraucher bedeuten würde
Im aktuellen Jahr hat sich der Gaspreis für Endverbraucher um bis zu 75 Prozent erhöht. Schuld daran war nicht nur der Krieg in der Ukraine, sondern auch die planmäßig angehobene CO2-Besteuerung fossiler Brennstoffe. Als Ende März die erste Stufe des Erdgas-Notfallplans in Kraft gesetzt wurde, zeigten die Kosten längst schon eine steigende Tendenz. Seither behält ein Krisenteam die Versorgungslage im Auge, während die Netzagentur von Netzbetreibern und Großverbrauchern Daten erhebt. So sollen Liefermengen im Notfall rechtzeitig verringert werden. Laut Experten sind angesichts dieser Lage weitere Preissteigerungen für deutsche Haushalte vorprogrammiert. Das gilt sogar, wenn der Beschaffungspreis vorerst stagnieren würde. Deshalb sollten sich Verbraucher um eine Kostensenkung bemühen. Der Sommer sollte genutzt werden, um für den kommenden Winter vorzusorgen. Damit der Verbrauch in der kalten Jahreszeit so niedrig wie möglich bleibt, sind Dämm- und Abdichtungsmaßnahmen unverzichtbar. Von Sanierungen der Heizungsrohre bis hin zu Dichtigkeitsprüfungen der Fenster und Türen. Sinnvollerweise sollten sich Hausbesitzer schon jetzt nach geeigneten Handwerkern zur Realisierung solcher Maßnahmen umsehen. Entsprechende Handwerksbetriebe sind laut Branchenexperten stark ausgelastet und im Sommer oft leichter verfügbar als im Winter.
Abschluss-Tipp für Endverbraucher
Wo es möglich ist und das Budget reicht, lohnt der Umstieg auf alternative Heizungen wie Wärmepumpen. Je unabhängiger Verbraucher von Erdgas, Erdöl und Kohle werden, desto mehr Kosten werden sie in den kommenden Jahren sparen.