Business Case

Zukunftstrend: Ackerbau in den eigenen vier Wänden

Mehr Menschen, weniger Wasser und Böden – um die Welt zu ernähren, müssen wir umdenken. Und so gewinnt auch „Indoor Farming“, also das Pflanzen in den eigenen vier Wänden, an Bedeutung. Darauf setzt auch das Start-up Agrilution. Wir sprachen mit dem Gründer und CEO, Maximilian Loessl.

09.08.2021

Zukunftstrend: Ackerbau in den eigenen vier Wänden

Sie produzieren Gewächshäuser für die Küche. Ist das nicht eigentlich etwas für Leute, die schon alles haben?

Maximilian Loessl: Nein. Wir richten uns vielmehr an Menschen, die sich bewusst und gesund ernähren wollen – und vielleicht auch keinen Balkon oder Garten haben. Unsere drei Haupt-Zielgruppensind: kulinarisch begeisterte Leute, also Hobbyköche, aber auch Sterneköche, die Zutaten von bester Qualität wollen, die sie auf dem konventionellen Weg nicht bekommen. Die zweite Gruppe sind die, die aus einem Umweltbewusstsein heraus kaufen, vielleicht eine kleine Familie haben und die einen bewussten Lebensstil pflegen und denen eine gesunde Ernährung im Einklang mit der Umwelt wichtig ist. Die dritte Gruppe sind eher die Leute, die Sie wahrscheinlich ansprechen, also die klassischen „Technology Early Adopter“, die auch vielleicht schon eine PV-Anlage auf dem Dach haben oder ein Elektroauto und irgendwie immer die neuesten technologischen Highlights besitzen.

Warum soll ich nicht die Kräuter auf der Fensterbank züchten oder im Laden kaufen?

Loessl: Gegen die Fensterbank, einen Garten oder einen Balkon spricht gar nichts. Das ist mit Sicherheit sinnvoll, wenn man die Zeit, den grünen Daumen und die Muße hat, sich um die Pflanzen zu kümmern. Gegen Kräuter und Pflanzen aus dem Supermarkt spricht vor allem, dass diese meistens sehr, sehr lange Transportwege hinter sich haben, durch ihren hohen Wassergehalt gekühlt werden müssen und schnell verderben. Unsere Pflanzen im Plantcube wachsen zuhause, sind ultra frisch, wobei Transportwege, Kühlketten und Lebensmittelverschwendung wegfallen.

Und auch beim Ressourcenverbrauch sind wir sehr effizient: Wir brauchen 98 Prozent weniger Wasser, keinerlei Pestizide, 70 Prozent weniger Düngemittel und am Wichtigsten: Wir verbrauchen keinerlei Erde. Ich bin überzeugt, dass Erde und Böden ein zentrales Thema der 2020er werden, weil wir immer knapper werdende Anbauflächen und gleichzeitig immer mehr Menschen haben. Das führt heute schon zu Problemen, und das wird sich in den nächsten Jahren dramatisch verschlimmern. Deshalb müssen wir neue Wege finden, um trotzdem die Lebensmittel zu produzieren, die die Menschheit braucht, und dabei spielt Vertical Farming oder Indoor Farming eine wichtige Rolle.

Ein Gerät von Agrilution.
Ein Gerät von Agrilution.

Das ist ein gutes Stichwort. Vielleicht sollten wir an der Stelle Ihr Produkt beschreiben: Wie sieht es aus? Wo steht es? Was kommt da rein?

Loessl: Im Endeffekt kann man sich unseren „Plantcube“ von den Maßen her wie ein Einbaugerät in der Küche und vom Aussehen wie einen Weinkühlschrank vorstellen. Wir haben vorne eine Glasfront, das Gerät hat zwei Ebenen und auf diesen beiden Ebenen kann man bis zu 18 verschiedene Pflanzen anbauen, also neun Pflanzen pro Ebene. Dazu wir liefern sogenannte „Seedbars“. Das ist ein Substrat, wo wir schon Saatgut integriert haben. Das einzige, was der Kunde machen muss, ist, diese Seed Bar ins Gerät einlegen, und der Plantcube kümmert sich im Endeffekt dann um alles andere: Er bewässert die Pflanzen, regelt das Klima um die Pflanze herum und beleuchtet es, sodass die Pflanze letztendlich unter Idealbedingungen aufwächst. Dabei wächst die Pflanze zwei bis drei Mal so schnell wie in der Natur, entwickelt aber trotzdem alle wichtigen gesunden Inhaltsstoffe, zum Teil sogar 30 Mal mehr davon, und hat dadurch auch einen besonders aromatischen Geschmack. Und als Kunde brauchen Sie dafür keinerlei Vorkenntnisse über Pflanzen, Sie brauchen keinen grünen Daumen und haben trotzdem immer Erfolg und immer frische Greens zu Hause.

Jetzt verbraucht dieses Gerät aber Strom. Das ist doch einen gewisser ökologischer Rucksack oder nicht?

Loessl: Im Endeffekt der einzige Nachteil, wenn man es so sagen kann, im Vertical Farming bleibt natürlich der Strombedarf. Alle anderen Ressourcen nutzen wir deutlich effizienter oder nutzen weniger davon. Beim Strombedarf setzen wir deshalb auf erneuerbaren Energien und empfehlen allen unseren Kunden und potenziellen neuen Kunden, zuhause Ökostrom zu nutzen.

Wir haben dazu jetzt eine Kooperation mit dem Ökostromanbieter Octopus Energy gestartet, bei der jeder Kunde einmalig 100 Euro Rabatt auf seine Stromrechnung bekommt, und von uns zusätzlich noch 12 kostenlose Seed Bars im ersten Jahr. Dann macht es aus ökologischer Sicht mehr Sinn, Pflanzen zuhause anzubauen, als sie in Plastik verpackt zu kaufen, nachdem sie mit langen Transportwegen, die mit fossilen Brennstoffen bewegt wurden, und auf Äckern mit viel Ressourcenverschwendung produziert wurden. 

Das geht natürlich nicht mit allen Pflanzen und Sorten. Am Anfang haben wir uns deshalb sehr stark auf Kräuter, Salate und auf kleines Blattgemüse, also so was wie ein Pak Choi oder eine Mangold, fokussiert. Derzeit haben wir knapp 40 Pflanzensorten im Angebot. Wir arbeiten aber an immer neuen Sorten und hören da auch stark auf unsere Kunden, die uns ihre Wünsche melden, so dass wir im Schnitt alle zwei Monate eine neue Sorte hinzufügen.

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Kunden ist ein gutes Stichwort. Das scheint ja ein neuer Trend zu sein: Es gibt Fleischreifeschränke, Indoor Farming, viele backen selber Brot, andere machen Käse. Was verändert sich in den Haushalten?

Loessl: Ich glaube, dass sich grundsätzlich das Konsumverhalten in der Gesellschaft ändert. Das hat viele Gründe, aber mit Sicherheit hat Covid auch dazu beigetragen, dass Menschen sich bewusster geworden sind, wie sehr die persönliche Gesundheit mit der Ernährung zusammenhängt. Zum anderen liegt es aber natürlich auch an globalen Trends wie die Klimakrise oder aktuelle Umweltkatastrophen. Die Menschen verstehen langsam, wie sehr ihr Konsumverhalten und ihr Lifestyle damit zusammenhängen. Wir sehen deshalb, dass mehr Leute biologische Lebensmittel kaufen, mehr Protein-Alternativen und sich grundsätzlich Gedanken machen, was sie essen und wie oft sie zum Beispiel Fleisch oder Milchprodukte pro Woche essen.

Wo entstehen denn die Endgeräte und wo die Saatgüter?

Loessl: Wir lassen in der Slowakei fertigen. Die Plantcubes sind so gebaut, dass man so gut wie keine Teile verklebt hat. Man kann das Gerät später wirklich in alle Einzelteile wieder zerlegen, um so Metall, Plastik und Elektronik zu trennen. Die Geräte sind auf eine lange Lebensdauer ausgelegt. Wir produzieren bei einem Hersteller, der auch für Miele und Gaggenau Geräte fertigt, also Ware mit einem hohen Qualitätsanspruch.

Die Seedbars, also unsere Konsumgüter, produzieren wir selbst in München. Sowohl diese Produktion als auch die der Geräte läuft mit 100 Prozent erneuerbarem Strom. Die Seedbars verschicken wir im Dreierpack. Sie sind nur in Papier verpackt, ohne Plastik, ohne Klebstoff. Der Versand erfolgt über DHL und mit einem CO2-Ausgleich inklusive. Den CO2-Fußabdruck der Transportwege der Geräte, sowohl in der Lieferkette als auch auf dem Weg zum Kunden, können wir noch nicht vermeiden, aber wir kompensieren es durch Klimaschutzprojekte, sodass wir de facto klimaneutral sind.

Agrilution Gründer und CEO, Maximilian Loessl
Agrilution Gründer und CEO, Maximilian Loessl

Jetzt haben Sie eingangs gesagt, dass das Produkt leider noch sehr teuer ist. Jetzt machen Sie ja selber die Preise. Also woran liegt das? Und ist da Besserung in Sicht?

Loessl: Man kann es vergleichen mit jeder anderen neuen Technologie. Wir haben eine komplett neue Gerätekategorie entwickelt und produzieren die in verhältnismäßig kleinen Stückzahlen. Dementsprechend sind natürlich unsere Einkaufshebel im Vergleich zu einem Großkonzern nicht so gut. Unser Ziel ist es aber, den Plantcube einer breiten Masse zugänglich zu machen, und dafür muss der Preis unter 1.000 Euro liegen. Das ist unser Ziel für die nächste Variante.

Auf diesem Weg kooperieren Sie mit dem renommierten Hausgerätehersteller Miele. Diese Zusammenarbeit begann nicht ganz so freiwillig, weil sie 2019 in die Insolvenz gerieten und Miele sie übernahm. Nichtsdestotrotz, welche Vorteile bringt diese Zusammenarbeit?


Loessl: Rückblickend ist die Zusammenarbeit das Beste, was uns hätte passieren können, mit einem strategischen Partner wie Miele an der Seite. Zum einen, weil es ein Familienunternehmen ist. Wir teilen eine gemeinsame Wertebasis. Wir dürfen langfristig planen. Wir dürfen uns dem Nachhaltigkeitsthema widmen, ohne das nur als Alibi zu sehen, sondern das wirklich authentisch und ehrlich angehen. Und gleichzeitig haben wir wahnsinnige Hebel durch Miele: Wir profitieren nun stark von deren Einkauf. Sie helfen uns beim Marketing und Vertrieb und der Internationalisierung. Das hat uns sehr viele Türen geöffnet.

Vielen Dank für das Gespräch!

 
 
 
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Quelle: UD
 

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