Die Papierindustrie beschreitet einen neuen Holzweg
Die Papierindustrie steht von verschiedenen Seiten unter Druck: Die Corona-Pandemie führte zu Lieferkettenproblemen, die steigenden Energiepreise und der Altpapiermangel erschweren die Produktion. Hinzu kommt, dass der Rohstoff Holz immer knapper wird. Welche Veränderungen kommen dadurch auf Papierhändler wie Antalis zu?
05.09.2022
Die angespannte Marktsituation der Papierindustrie bekommen Papier-Großhändler wie Antalis besonders stark zu spüren, einerseits mit stark steigenden Kosten, andererseits mit stockenden Belieferungen. „Solch eine Preiserhöhungsphase gab es in dieser Branche noch nie“, sagte Dieter Becker, Geschäftsführer der Antalis GmbH, kürzlich zu UmweltDialog.
Seitdem hat sich die Situation noch verschärft. Feste Preise biete man mittlerweile gar nicht mehr an, erklärte auch Thilo König, da noch Geschäftsführer der Antalis Verpackungen GmbH, im YouTube-Format „imPuls Forum“ von Antalis Verpackungen: „Mittlerweile verkaufen wir nur mit Spot-Preisen.“ Energiepreise wie auch Logistikprobleme seien aber auf mittlere Sicht in den Griff zu bekommen. Antalis hat unter anderem die Lagerkapazitäten ausgebaut: Man kaufe mehr auf Vorrat ein und könne so besser auf Lieferengpässe und Preisschwankungen reagieren, so Dieter Becker.
Ein kritischer Faktor wird auch in Zukunft die Verfügbarkeit des Rohstoffes Holz bleiben. Nach Schätzungen werden 20 Prozent der weltweiten Holzmasse für die Herstellung von Papier und Zellstoff genutzt. Frischholz bleibt ein wichtiger Faserlieferant, auch wenn bei der Papierherstellung nach Angaben der Papierindustrie zu zwei Dritteln Altpapier eingesetzt wird.
Ein Blick nach Deutschland verdeutlicht das Problem: Mit einer jährlichen Produktionsmenge von 23,1 Millionen Tonnen ist die Bundesrepublik laut dem Deutschen Holzwirtschaftsrat (DHWR) der größte europäische Papierproduzent. Zwar stammt laut Umweltbundesamt nur jeder fünfte benötigte Baum aus heimischen Wäldern, trotzdem wirft die deutsche Situation ein Schlaglicht auf die verschiedenen Dimensionen der Rohstoffknappheit.
Dominiert wird der deutsche Wald von Nadelbaum-Monokulturen – paradoxerweise wegen des Prinzips der nachhaltigen Forstwirtschaft, das der kursächsische Beamte Hans Carl von Carlowitz 1713 ersann. Es sollten nur so viele Bäume abgeholzt werden, wie auch neu angepflanzt wurden. Die Folge laut National Geographic: „Nach Carlowitz haben deutsche Förster schnell wachsende Arten wie Fichten in sauberen Reihen und mit industrieller Effizienz angepflanzt.“
Dem deutschen Wirtschaftswald geht es schlecht
Doch diesem Wirtschaftswald geht es nach den Dürren der vergangenen Jahre schlecht. Die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald (SDW) hat ermittelt, dass 500.000 Hektar – und somit ein Fünftel der Gesamt-Waldfläche – so stark geschädigt sind, dass „sie ihre ökologische, kulturelle und wirtschaftliche Funktion nicht mehr erfüllen können“.
Vielerorts sind vor allem die Fichtenbestände nahezu vollständig vertrocknet. Denn die Flachwurzler sind besonders schlecht gegen den Klimawandel gerüstet. Die Forstwirtschaft reagiert darauf mit „Waldumbau“. Durch geplante Neuanpflanzungen oder in Form von Naturverjüngungen sollen aus Fichten-Monokulturen klimatolerante, naturnahe Mischwälder werden.
In den Wäldern der Zukunft werden wesentlich mehr Laubbäume stehen, erklärt die Münchener Holzwissenschaftlerin Gabriele Weber-Blaschke. 2016 machten Kiefer, Fichte und Co. noch einen Anteil von 57 Prozent aus. Die bereits nachwachsende nächste Waldgeneration bestehe hingegen bereits zu 73 Prozent aus Laubbäumen. Das hat Folgen für die Branchen, die auf Fichtenholz angewiesen sind. Der Leiter des Instituts für Pflanzenwissenschaften am Forschungszentrum Jülich, Professor Schurr, sieht die „nachhaltige Verfügbarkeit der Fichte“ als „elementar gefährdet“ an.
Eukalyptus-Monokulturen selbst auf der iberischen Halbinsel
Auch andernorts führen Monokulturen für die Papierindustrie mit schnell wachsenden Baumarten zu Problemen. In Indonesien betrifft dies beispielsweise Akazien. Dort ging deswegen zwischen 2000 und 2010 doppelt so viel Waldfläche verloren wie durch Palmölplantagen, beklagt der NABU. Ein anderer „Papier-Baum“ ist Eukalyptus, der in Brasilien und mittlerweile selbst in Portugal und Spanien angebaut wird und dort laut Umweltbundesamt „traditionelle Landnutzungen wie Korkeichen- und Olivenanbau verdrängt“.
Die Papierindustrie ist sich der Probleme bewusst. Vor allem achtet sie darauf, zertifiziertes Holz aus nachhaltiger Forstwirtschaft zu verwenden. 2020 verarbeitete die deutsche Papierindustrie nach eigenen Angaben 3,9 Millionen Tonnen Zellstoff, wovon 3,0 Millionen Tonnen importiert wurden. Die Fasern stammten vollständig aus nachhaltig bewirtschafteten und weitgehend FSC- oder PEFC-zertifizierten Forstwirtschaften.
Auch Eukalyptus-Anbauflächen auf der iberischen Halbinsel erhalten das von verschiedenen Umweltverbänden als vertrauenswürdig bewertete FSC-Siegel. Inwiefern diese Baumart nachhaltig sein kann, erläuterte Elena Potsi, zu dem Zeitpunkt noch Produktmanagerin bei Antalis, dem Fachmagazin „Deutscher Drucker“. Zwar wüchsen die Setzlinge schnell und zögen viele Mineralsalze aus der Erde, aber die Bäume gäben 80 Prozent der Mineralien über die Rinde und die Blätter wieder an die Erde zurück. Auch gebe es viele Beispiele dafür, dass Land durch Eukalyptusanbau wieder erneuert werden konnte. Zudem wirke sich der hohe Ligninanteil des Baumes günstig auf die Verarbeitung aus. Bei der Zellstoffverarbeitung müssten entsprechend weniger Chemikalien eingesetzt werden. Hinzu kommt laut Elena Potsi, dass Eukalyptus über die ideale Faser für Druck- und Schreibpapier sowie eine optimale Faserdichte pro Gewichtseinheit verfügt.
Nachfrage nach Holz-Biomasse übersteigt das Angebot
Trotz aller Nachhaltigkeitsbemühungen stößt die Nachfrage nach Holz-Biomasse für die Papierherstellung an Grenzen. Die deutschen Vorräte reichen dafür bei weitem nicht aus, mahnt das Umweltbundesamt: „Würden wir den gesamten Primärfaserverbrauch von rund 10 Millionen Tonnen im Jahr (inländische Produktion + Papierimporte - Papierexporte) mit heimischem Holz decken wollen, müsste alles derzeit im Jahresschnitt eingeschlagene Holz ausschließlich für die Fasergewinnung zur Verfügung stehen.“
Und auch international wird Holz zur immer knapperen Ressource. In der sogenannten Bioökonomie konkurrieren, so Professor Schurr, vor allem die Bauwirtschaft, die Biotechnologie und Anwender, die Holz thermisch nutzen, mit der Papierindustrie um die Bäume.
Die deutsche Zellstoff- und Papierindustrie stellt sich auf die veränderte Verfügbarkeit von Holz ein, teilt der Fachverband „Die Papierindustrie“ auf Nachfrage mit. Auch unter den neuen Bedingungen könne man wirtschaftlich arbeiten. Veränderungen deuten sich in verschiedenen Bereichen an. Dazu gehören neue Waldkonzepte: „Papier-Holz“ wird nicht mehr nur in Monokulturen, sondern in Mischwäldern heranwachsen. Bislang wurden für die Papier- beziehungsweise Zellstoffherstellung vor allem dünne, gleichmäßig nebeneinander wachsende Nadelbäume gefällt. Zukünftig werden eher einzelne Bäume mit mehr Aufwand in Mischwäldern abgeholzt werden, die dann aber vielfältiger genutzt werden können. Deswegen lohne sich diese Art des Anbaus, meint der ehemalige Leitende Forstdirektor Dr. Lutz Fähser gegenüber GEO mit Blick auf den von ihm naturnah umgestalteten Lübecker Stadtwald: „Wir ernten überwiegend dicke Bäume, während die anderen bei hohem Pflegeaufwand einen hohen Anteil Papier- und Industrieholz ernten.“
Besonders auf die Mehrfachnutzung der Ressource Holz ist wiederum das Konzept der Kaskadennutzung ausgerichtet. Dabei wird Holz in einem Wiederverwertungskreislauf geführt, wie Gabriele Weber-Blaschke erläutert. Zunächst wird es zur Herstellung von Vollholzprodukten genutzt. Am Ende ihrer Lebensdauer werden diese wieder aufbereitet oder zu spanbasierten Produkten recycelt. Ist deren Lebenszyklus wiederum zu Ende, werden sie recycelt oder zu faserbasierten Produkten wie etwa Papier verarbeitet. Auch hier ist wieder Recycling möglich. Danach können die Faserstoffe noch von der chemischen Industrie genutzt werden. Am Ende dieser Kaskade steht schließlich die energetische Verwertung.
Alternative Faserstoffe werden attraktiver
Trotz alledem wird die verfügbare Holz-Biomasse für den globalen Bedarf vermutlich nicht ausreichen. Professor Ulrich Schurr schlussfolgert deshalb: „Dies führt zunehmend zu der Option für die Papierindustrie, über alternative Faserquellen statt Holz nachzudenken.“ Anstatt aus Holz könnte Papier nach seinen Vorstellungen künftig auch aus Stroh, Bambus, Miscanthus, Kenaf, Hanf, Distel, Brennnessel oder auch Flachs bestehen.
Viele Papierhersteller und -händler haben deshalb bereits seit Längerem Papiere aus alternativen Fasern im Angebot. Antalis Schweiz vertreibt bereits seit 2019 Wellpappenkartons und Papiere, die zu 30 beziehungsweise 50 Prozent aus Grasfasern bestehen. Außerdem führt Antalis Papierqualitäten aus Textilfasern. Bei REFIT WOOL wird beispielsweise ein Faseranteil aus Nebenprodukten des Wollspinnens und -kardierens verwendet. REFIT COTTON wiederum besteht aus Baumwollresten. Beide Papiere enthalten darüber hinaus Fasern aus 40 Prozent recycelten Post-Consumer-Abfällen und 45 Prozent Frischfasern.