„Viele Nachhaltigkeitsrisiken können nur gemeinsam im Verbund adressiert und minimiert werden“
Johanna von Stechow und Pablo von Waldenfels leiten seit einigen Monaten gemeinsam die CR-Abteilung bei Tchibo. Wie schwierig es ist, bestimmte Nachhaltigkeitsthemen wie existenzsichernde Löhne in der Lieferkette durchzusetzen, erklären sie im UmweltDialog-Gespräch. Die gute Nachricht: In Kambodscha steht die Initiative ACT kurz davor, Tarifverträge zu unterzeichnen.
27.07.2023
Lassen Sie uns weiter über Ihr Nachhaltigkeitsengagement sprechen. In puncto Nachhaltigkeit sagt Tchibo: „Die Zeit des Redens ist vorbei. Die Zeit des Handelns ist da.“ Das müssen Sie erklären, denn in Sachen Nachhaltigkeit ist Tchibo mittlerweile fast 20 Jahre unterwegs …
von Stechow: Dieser Ausspruch stammt aus einer Phase, in der Tchibo und anderen nachhaltig engagierten Unternehmen klar wurde, dass man alleine an seine Grenzen stößt. Zuvor hatte jede Branche zunächst ihren eigenen Wirkungsbereich optimiert. Gerade aus ökologischer Sicht – Stichwort Energieeffizienz et cetera – wurde dabei auch viel erreicht. Viele Nachhaltigkeitsrisiken wie zum Beispiel bestimmte Menschenrechtsverstöße in der Lieferkette können aber nur gemeinsam im Verbund adressiert und minimiert werden.
Infolgedessen wurde auf Konferenzen viel über diese Themen geredet und Forderungen nach Kooperationen wurden laut. Aber: Damit sich die Wirtschaft wirklich nachhaltig transformiert, benötigen wir Verbindlichkeit. Damit war für uns „die Zeit des Redens“ vorbei.
Als Konsequenz forderten Sie, dass sich Unternehmen zu den Branchenansätzen bekennen, die es in Bereichen wie Menschenrechte oder Arbeitsschutz gibt. Außerdem haben Sie sich für das Lieferkettengesetz (Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz) stark gemacht. Damit macht man sich nicht unbedingt „Freunde“. Wie haben Sie es geschafft, andere Unternehmen für Ihre Anliegen zu überzeugen?
von Waldenfels: Das Prinzip der freiwilligen Selbstverpflichtung hat nicht funktioniert, um Menschenrechtsbedingungen in globalen Lieferketten wirklich zu verbessern. Auch der Nationale Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte konnte nicht die gewünschten Ergebnisse erzielen. Die Frage war: Wie können wir ein „Level Playing Field“ – also dieselben Ausgangsvoraussetzungen – für alle Beteiligten erzeugen? Denn: Investitionen in und Maßnahmen für bessere Arbeitsbedingungen et cetera kosten Geld und Zeit, wodurch sich potenziell erst einmal Wettbewerbsnachteile ergeben können.
In puncto Lieferkettengesetz etwa haben wir uns Koalitionspartner und Gleichgesinnte gesucht, um mit einer „lauteren“ Stimme sprechen zu können. Darüber hinaus führten wir viele Hintergrundgespräche, bevor wir das Gespräch auf politischer Ebene gesucht haben. Bei manchen Verbänden und Interessensgruppen war klar, dass wir keinen Konsens finden würden. Das haben wir dann einfach so stehen lassen ….
Frau von Stechow, unterschiedliche Tchibo-Nachhaltigkeitsprogramme und -maßnahmen adressieren bei Ihnen das Thema Menschenrechte in der Lieferkette. Während sich in der Vergangenheit beispielsweise in der Textilbranche im Bereich der Gebäudesicherheit und bei der Vermeidung gefährlicher Chemikalien schon viel Positives getan hat, ist ein großes Problem weiterhin das Thema existenzsichernde Löhne für die Arbeiterinnen und Arbeiter in den Textilfabriken und auf den Baumwollfeldern, aber auch auf den Kaffeeplantagen durchzusetzen. Warum?
von Stechow: Als einzelne Marke kann man leider keinen systemischen Unterschied machen; auch wenn man es wirklich versucht. Wir haben beispielsweise im Textilsektor in der Vergangenheit in Pilotprojekten versucht, höhere Einkaufspreise für die Ware zu zahlen. In der Praxis funktioniert das aber nicht, weil wir nicht der einzige Einkäufer der Textillieferanten sind und die ganze Lohnstruktur verändert werden müsste.
Deswegen haben Sie mit anderen Unternehmen die Initiative Act-On-Living-Wages (ACT) gegründet. An dieser ist auch die globale Gewerkschafsorganisation IndustriALL beteiligt. Ziel ist es, gültige Standards für die gesamte Textilbranche zu etablieren, richtig?
von Stechow: Ja, einerseits geht es darum, mit lokalen Gewerkschaften wirklich faire Tarife für die Arbeiterinnen zu verhandeln und dafür zu sorgen, dass die Gehälter auch für die gesamte Fabrik gelten, unabhängig davon, für welche Marke dort die Näherinnen die Kleidung herstellen. Idealerweise muss dieses Prinzip auch länderübergreifend funktionieren, da die unterschiedlichen Länder in Konkurrenz zueinander stehen. Andererseits müssen Unternehmen intern daran arbeiten, etwa durch die Einkaufspolitik, existenzsichernde Löhne in ihren Lieferketten zu fördern.
Die Initiative ACT steht aktuell endlich vor ihrem ersten Erfolg: In Kambodscha sind wir kurz davor, die ersten Tarifverträge zu unterzeichnen. Jetzt heißt es „Daumen drücken“, dass alles klappt!
Das Beispiel der Durchsetzung existenzsichernder Löhne in Lieferketten zeigt, wie komplex nachhaltige Transformation ist. Einfache Lösungen für drängende Probleme gibt es nicht. Dennoch sagt Tchibo selbst, dem Thema die Komplexität nehmen zu wollen, um nachhaltigen Wandel besser zu gestalten. Wie soll das funktionieren?
von Waldenfels: Menschen neigen dazu, bei komplexen Fragestellungen die Flinte ins Korn zu werfen und gehen davon aus, dass sie unlösbar sind. Um dem vorzubeugen, sollte man einen komplexen Sachverhalt in kleine Einheiten unterteilen. Das gilt für Nachhaltigkeitsthemen genauso wie für jeden anderen Bereich. Welche 25 Fragen müsste ich beantworten können, um dieses Problem zu lösen? Davon ausgehend kann man die Punkte dann nacheinander abarbeiten, bis der Knoten geplatzt ist und der gesamte Komplex bewältigt wurde. Meiner Meinung nach muss man außerdem den Mut haben, auszuprobieren und nicht immer auf Perfektion setzen. Gute Planung ist wichtig, Agilität aber ebenso. Nur wer flexibel bleibt, ist in der Lage, sich gegebenenfalls an neue Bedingungen anzupassen. Denn in komplexen Systemen kommt es im Zeitverlauf zu vielen Veränderungen.
Auch die eben angesprochenen Kooperationen und gute Partnerschaften reduzieren für Unternehmen die Größe der Aufgabe, weil man nicht mehr als Einzelkämpfer unterwegs ist, sondern gemeinsam nach Lösungen sucht. Ob es sich dabei um die Wirtschaft, die Politik oder die Zivilgesellschaft handelt, jeder muss aus seiner Rolle heraus seinen Teil für eine nachhaltige Transformation beitragen.
von Stechow: In der Nachhaltigkeitskommunikation müssen wir tatsächlich Komplexität reduzieren. Wir dürfen die Kundinnen und Kunden nicht mit Details überfrachten, sondern müssen klare, eindeutige Botschaften senden. Denn das erzeugt das notwendige Vertrauen. Diejenigen, die mehr wissen und in die thematische Tiefe gehen wollen, können das über unseren Tchibo Blog und unseren Podcast „5 Tassen täglich“ tun. Beide Formate behandeln komplexe Nachhaltigkeitsthemen in der Tiefe: Allerdings müssen wir gleichzeitig auch noch transparenter kommunizieren. Das Thema „Greenwashing“ nimmt an Fahrt auf. Bestimmte Begriffe dürfen künftig nicht mehr verwendet werden. Unsere Aufgabe ist es dann, klar zu belegen, wie unsere Maßnahmen positiv auf Mensch und Umwelt wirken.
Sie sprechen die sogenannte EU-Green Claims-Initiative an. Diese will verlässlichere Umweltangaben für Produkte und Dienstleistungen durchsetzen, um Greenwashing zu bekämpfen. Wird die kommende Richtlinie Ihre Verbraucherkommunikation noch weiter beeinflussen?
von Waldenfels: Wir unterstützen die Initiative, weil sie ein wichtiger Schritt zu mehr Transparenz für die Kundinnen und Kunden bedeutet. Diese ging in den letzten Jahren eindeutig verloren. Abgesehen davon, dass wir noch mehr Daten und Fakten bereitstellen werden, die belegen, wie unsere Maßnahmen unsere Sozial- und Umweltrisiken reduzieren, wird sich unsere Kommunikation aber nicht verändern. Denn wir gehen schon jetzt vorsichtig mit bestimmten Begriffen und Labels um.
von Stechow: Künftig wird man nur noch Aussagen machen dürfen, die im Zweifelsfall durch eine Drittpartei auditierbar sind. Greenpeace hat jetzt eine Studie veröffentlicht, die einen kritischen Blick auf die Glaubwürdigkeit von Nachhaltigkeitslabels wirft. Wir haben dort ziemlich gut abgeschnitten, weil wir ambitionierte Ziele haben und diese durch unsere Maßnahmen auch erreichen können. Wir sind da auf einem guten Weg.
Vielen Dank für das Gespräch!
Im ersten Teil des Interviews sprach unsere Redakteurin Sonja Scheferling mit Johanna von Stechow und Pablo von Waldenfels darüber, wie es funktioniert, im Job-Tandem gemeinsam eine CR-Abteilung zu leiten und welche Fähigkeiten dafür notwendig sind. Lesen Sie hier den vollständigen Artikel.