Rizinus- statt Erdöl: Outdoorbekleidung aus biobasierten Kunstfasern
Erdöl auf unserer Haut? Kunstfasern wie Polyester, Nylon oder Elastan, die sich in vielen unserer Kleidungsstücke finden, werden aus fossilen Rohstoffen hergestellt. Alternativen gibt es mittlerweile einige. Das Chemieunternehmen Evonik hat zum Beispiel einen Kunststoff entwickelt, der aus nachwachsenden Rohstoffen besteht. Zum Einsatz kommt er als Textilfaser unter anderem bei einer Trekkinghose des Outdoorherstellers Vaude.
22.07.2021
Kunststoff begegnet uns überall im Alltag, zum Beispiel als Frischhaltefolie, in Form von Verpackungen oder der altbekannten Plastiktüte. Wir tragen das Material aber auch an unserem Körper: Viele Kleidungsstücke bestehen zumindest teilweise aus Kunstfasern wie Polyester, Polyacryl, Polyamid (Nylon) oder Elastan. Einer Untersuchung von Greenpeace zufolge enthalten mittlerweile etwa 60 Prozent unserer Kleidung Polyester. Besonders hoch ist der Anteil synthetischer Fasern im Bereich der Funktionstextilien. So besteht Outdoorbekleidung zu 90 Prozent aus Chemiefasern, berichtet das Magazin Utopia. Das hat seinen Grund, denn die Kunstfasern haben zahlreiche Vorteile: Sie nehmen in der Regel nur wenig Feuchtigkeit auf, sind besonders reißfest oder machen Kleidung elastisch.
Solche synthetischen Kunstfasern werden allerdings aus fossilen (und endlichen) Rohstoffen wie Erdöl, Kohle oder Erdgas hergestellt, informiert die Verbraucherzentrale Hessen. Darüber hinaus landen beim Waschen dieser Kleidung kleinste Fasern als Mikroplastik im Abwasser und schließlich im Meer. Immerhin über 30 Prozent des Mikroplastiks im Meer stammt mittlerweile von Textilien. Sind Baumwolltextilien aus ökologischer Sicht also die bessere Wahl? Eindeutig nein, zeigt der Bericht von Greenpeace: „Um möglichst hohe Erträge zu erzielen, werden etwa drei Viertel der weltweit angebauten Baumwolle – zum Teil extrem viel – bewässert. Gerade in Wassermangel-Gebieten können ganze Landstriche ausdörren.“ Die Baumwollbauern setzten außerdem viele Pestizide ein und eine große Anzahl der Sorten seien genetisch manipuliert. Biobaumwolle hingegen sei eine Alternative, da der Rohstoff eine deutlich bessere Umweltbilanz aufweise. Derzeit sei der Marktanteil allerdings zu gering: „Mit Biobaumwolle die weltweite Gier nach modischer Bekleidung zu befriedigen, erscheint vollkommen illusorisch.“
Bio-Kunstfasern aus Vestamid Terra: ökologische Vorteile …
Wie man Kleidung auch aus synthetischen Fasern nachhaltiger herstellen kann, zeigt das Unternehmen Vaude. Bei seinen Produkten setzt der Hersteller von Outdoorausrüstung und -bekleidung nämlich nicht nur auf Recycling- und Naturmaterialien, sondern auch auf Bio-Kunststoffe. So kommt zum Beispiel bei der Trekkinghose „Skarvan Biobased Pants“ ein biobasierter Stoff aus Vestamid Terra zum Einsatz. Das Polyamid, das das Chemieunternehmen Evonik schon vor zehn Jahren entwickelt hat, besteht aus nachwachsenden Rohstoffen.
Vestamid Terra wird aus dem Öl der Rizinuspflanze hergestellt. Die Pflanze hat zahlreiche ökologische Vorteile: Sie findet keine Verwendung als Nahrung oder Futtermittel und auch ihr Anbau steht nicht in Konkurrenz mit Anbauflächen von anderen Nutzpflanzen. „Sie muss weder gedüngt noch künstlich bewässert werden, wächst in trockenen Gebieten, die sich von vorneherein nicht für andere Arten der Landwirtschaft eignen – und ist zwar ein beliebtes Futter für Raupen, aber ungenießbar für Menschen und andere Säugetiere“, heißt es von Evonik.
Das Granulat aus Vestamid lässt sich von Spinnereien zu Fasern verarbeiten und eignet sich daher gut für Textilien, wie Uwe Kannengießer, Director Optics & Filaments im Bereich High Performance Polymers bei Evonik erläutert: „Man erhält eine Faser, die eine sehr komfortable Tragefunktion hat, ein gutes Wassermanagement und sich bei niedrigen Temperaturen gut einfärben lässt, also auch noch ihren Beitrag zur CO2-Ersparnis liefert.“ Laut den Berechnungen des Unternehmens ist der CO2-Fußabdruck von Vestamid Terra sogar nur halb so groß wie bei der Herstellung herkömmlicher Polyamide – sofern man den Kohlenstoff, der durch den Anbau der Rizinuspflanze gespeichert wird, mit einbezieht.
… und bessere Eigenschaften
Für seine Trekkinghose entschied sich Vaude für die Variante des biobasierten Kunststoffs, die zu 62 Prozent aus nachwachsenden Rohstoffen besteht. Nach einer kurzen Testphase war klar: Stoff aus Vestamid Terra kann noch mehr: „Wir haben schließlich festgestellt, der Kunststoff ist nicht nur nachhaltiger, sondern besitzt auch bessere Eigenschaften gegenüber konventionellem Polyamidstoff“, meint René Bethmann, Innovation Manager Materials and Manufacturing von Vaude. So ist das Garn nicht nur leichter und dehnbarer, sondern nimmt auch 49 Prozent weniger Feuchtigkeit auf als Stoff aus herkömmlichen Kunststofffasern. „In unserer Branche ist Vestamid Terra tatsächlich ein komplett neues Material.“
Evonik und Vaude arbeiten nicht zum ersten Mal zusammen: Bereits im Jahr 2019 setzte der Outdoorsport- und Bekleidungshersteller Vestamid Terra bei seiner Rucksack- und Taschenkollektion ein. Das biobasierte Material wurde hier für die Schnallen verwendet. „Mit unseren Produkten nehmen wir die Verantwortung für Mensch und Natur sehr ernst. Deswegen suchen wir nach innovativen Materialien, die uns dabei helfen, dem selbst gesteckten Anspruch gerecht zu werden. Die biobasierten Kunststoffe von Evonik eröffnen uns neue Möglichkeiten, unsere Produkte in Bezug auf den Nachhaltigkeitsaspekt noch ausgewogener produzieren zu können“, erläuterte Bethmann damals gegenüber der Presse.
Ein Kunststoff für alle(s)
Auch andere haben die Vorteile von Vestamid Terra bereits erkannt. So auch der italienische Reißverschlusshersteller Nyguard, der mittlerweile für viele seiner Reißverschlüsse den biobasierten Kunststoff von Evonik verwendet. Der Clou: Um die Recyclingfähigkeit von Kleidung zu verbessern (Textilien lassen sich nur schwer recyceln, wie UmweltDialog kürzlich berichtete), kooperiert Nyguard mit dem italienischen Fabrikanten Fulgar. Dieser stellt das Garn für das Band, an dem die Reißverschlüsse befestigt sind, nämlich auch aus Vestamid Terra her. Dadurch, dass sowohl Reißverschluss als auch Band aus dem gleichen Material gefertigt sind, lassen sie sich besser recyceln. „Wir müssen schließlich auch über das Lebensende von Produkten nachdenken. Wenn es leichter wird, ein Kleidungsstück zu recyceln, dann ist das für alle Seiten eine sinnvolle Sache“, so Alan Garosi, Marketingleiter bei Fulgar.