„Es fehlen noch marktfähige Technologien, um im großen Stil zu recyceln“
Das IBU (Institut Bauen und Umwelt) betreibt ein Programm zur Vergabe von Umweltproduktdeklarationen (kurz: EPDs) für Baustoffe. Welche Vorteile die Hersteller von Bauprodukten haben, wenn sie mit dem IBU kooperieren, weiß Stefan Zwerenz, der die Verifizierungsabteilung im IBU leitet. Dabei spielt auch die Digitalisierung eine entscheidende Rolle, wie er im Interview mit UmweltDialog ausführt.
18.04.2024
UmweltDialog: Das IBU ist nur ein Anbieter von EPDs in Deutschland. Warum sollten sich Bauproduktehersteller dafür entscheiden, mit Ihnen zusammenzuarbeiten? Welche Vorteile hat das?
Zwerenz: Wir haben eine lange Tradition, weil es das IBU bereits über 40 Jahre lang gibt. Somit waren wir die ersten, die sich mit dem Thema beschäftigt haben, weisen ein großes Know-how und Qualität auf. Insbesondere deswegen, weil wir zum Teil strengere Regeln als andere Programmanbieter haben und die EPDs durch unabhängige Dritte nach der europäischen Norm EN 15804 prüfen und bestätigen lassen. Aber das IBU ist mehr als nur ein EPD-Programmhalter. Als Verein bieten wir unseren Mitgliedern und den Herstellern individuelle Lösungen für die jeweiligen Unternehmen an. Das kann eine klassische EPD in Dokumentenform sein oder die Einbindung auf unserer digitalen Plattform, auf der man den gesamten Prozess abwickeln kann. Wir bieten auch beispielsweise die Verifizierung von Software-Tools an. Wir haben Hersteller, die mithilfe von Software EPDs in Echtzeit generieren können. Etwa für ein komplettes Portfolio, das sich täglich ändert und hunderte Produkte aufweist.
Wir sind auch Mitinitiator und Gründungsmitglied der ECO Plattform. Das ist die Dachorganisation der verschiedenen nationalen EPD-Programmhalter. Sie setzt sich für die Qualitätssicherung und Harmonisierung von EPDs auf Basis der europäischen Norm EN 15804 ein; aber mittlerweile auf internationaler Ebene. Zusätzlich zu unserem Logo tragen unsere EPDs auch noch das Siegel der ECO Plattform.
Als oberste fachliche Instanz sichert außerdem ein unabhängiger Sachverständigenrat (SVR) ehrenamtlich die Qualität der Arbeit des IBU, richtig?
Zwerenz: Genau. Die Mitglieder des SVR sind Expertinnen und Experten unter anderem aus Wissenschaft und Normung oder zum Beispiel aus Bau- und Umweltbehörden. Dabei überwachen sie die Normenkonformität und stellen die Qualität des Verifizierungsverfahrens im EPD-Programm sicher. Der SVR ist beispielsweise für die Prüfung der Produktkategorie-Regeln (Product Category Rules, kurz: PCR) verantwortlich und beschäftigt sich auch mit Fragen rund um die Ökobilanzierung. Bei der Auswahl und Bestellung der unabhängigen Verifizierer setzt der SVR hohe Maßstäbe, um die Prüfung der EPDs sicherzustellen. Um als Verifizierer zugelassen zu werden, muss man sich zuvor beim SVR bewerben.
Digitalisierung ist ein wichtiger Baustein, um den Bausektor nachhaltig zu transformieren. Sie haben eine Digitalisierungsstrategie bei Umweltproduktdaten entwickelt, um dem Bausektor zu einem neuen Standard zu verhelfen. Was bedeutet das konkret? Welche Schritte sind geplant?
Zwerenz: Vor dem Hintergrund der Weiterentwicklung des sogenannten Building Information Modellings (BIM), welches neue Möglichkeiten zur Optimierung von Bauprojekten bis hin zur objektspezifischen Ökobilanzierung bietet, müssen EPDs vollständig digitalisert und in entsprechenden Formaten bereitgestellt werden. Ziel ist es, dass künftig alle relevanten Daten zum ökologischen Profil der jeweiligen Produkte im digitalen Planungsprozess unmittelbar zur Verfügung stehen.
Was ist BIM?
BIM steht für eine softwarebasierte Arbeitsmethode in der Bauwirtschaft für die vernetzte Planung, den Bau und die Bewirtschaftung von Gebäuden. Als digitaler Zwilling dargestellt, werden so alle relevanten Daten der Bauwerke digital modelliert und erfasst.
Dafür sind wir gut aufgestellt, da wir bereits vor über zehn Jahren unseren Mitgliedern eine digitale Plattform – epd-online.com – angeboten haben. Dafür mussten wir das Design der EPDs vereinheitlichen. Sie sehen deswegen relativ „einfach“ aus; wie ein Lückentext, den man ausfüllen muss. Dadurch hatten wir alle Informationen in digitaler Form vorliegen und konnten die EPDs relativ einfach weiter „maschinenlesbar“ machen. Ursprünglich haben wir das mit dem Bund innerhalb der ÖKOBAUDAT gemacht, die allen Akteuren eine vereinheitlichte Datenbasis für die Ökobilanzierung von Gebäuden bereitstellt. Deutschland war und ist mit dieser Datenbank ein Vorreiter.
Wir stellen aktuell digitalisierte Datensätze der EPDs für eine Vielzahl von Bauprodukten nicht nur über ÖKOBAUDAT, sondern auch über das ECO Portal und unsere eigene Datenbank ibu.data bereit. Dort werden die Informationen als XML-Dateien auf Basis des ILCD+EPD-Formates zum Download zur Verfügung gestellt. Dadurch ermöglichen wir die Nutzung der EPD-Daten zur Berechnung von Bauteil- und Gebäude-Ökobilanzen in Softwaretools sowie die anschließende Bewertung der Umweltwirkungen auf Gebäudeebene unter Nachhaltigkeitsaspekten.
Geschlossene Wertstoffkreisläufe sind auch ein wichtiger Baustein, um die Bauwirtschaft nachhaltig zu gestalten, und werden politisch und legislativ vorangetrieben. Bisher gab es noch keine Vorgaben für die ökobilanzielle Bewertung von Re-Use-Produkten. Das hat das IBU nun geändert und in den EPDs diesbezüglich Richtlinien eingeführt. Erklären Sie das bitte!
Zwerenz: Wir haben in der Vergangenheit eine starke marktbedingte Nachfrage gespürt, das Thema Re-Use in den Umweltproduktdeklarationen abzubilden. Anfragen erreichten uns branchenübergreifend. Das hat uns veranlasst, dafür einheitliche und verbindliche Regeln mit unserem Sachverständigenrat zu entwickeln. Diese beziehen sich auf Produkte, die nach ihrer Demontage wiederaufbereitet und erneut für den gleichen Zweck verwendet werden. Auf diese Weise können EPDs nun im Kontext von Circular Economy betrachtet werden. Für Bauproduktehersteller, die bereits CE-Konzepte für ihre Produkte umsetzen, ist es wichtig, ihre Wiederverwendung anhand von standardisierten, vergleichbaren und transparenten Daten nachvollziehbar darstellen zu können. Wir legen großen Wert darauf, eine Lösung anzubieten, die überprüfbare Informationen zur Kreislaufwirtschaft in EPDs integriert, um ein ganzheitliches Bild des gesamten Lebenswegs eines Baustoffes abzubilden.
In puncto Kreislaufwirtschaft muss man aber ganz klar sagen, dass es zum jetzigen Zeitpunkt zu wenig Recyclingmaterial gibt und der Bedarf bei Weitem nicht durch Sekundärmaterialien gedeckt werden kann. Das gilt aber auch für andere Branchen. Erinnern Sie sich noch an die „Kreislauftasche“ eines bekannten deutschen Discounters? Die ist ziemlich schnell aus der Werbung verschwunden. Warum? Weil es bei Weitem nicht genug Recyclingmaterial gab, wie dort in der Ökobilanz in Berechnungen angegeben wurde. Insofern war es zwar theoretisch möglich, aber praktisch nicht umsetzbar. Außerdem fehlen uns noch marktfähige Technologien, Materialien ökonomisch in großem Stil zu recyceln.
Erfahren Sie im ersten Teil des Interviews, welche Daten EPDs liefern und warum das wichtig ist.